Richtigkeit
und Gerechtigkeit der Wirtschaft
58. Um eine
Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Gerechtigkeit und Markt
zu geben, hat die Kirche in ihrer Soziallehre versucht, den Begriff des
gerechten Preises, den sie der Scholastik entnimmt, nicht nur auf das Kriterium
der ausgleichenden Gerechtigkeit anzuwenden, sondern auch auf das sehr viel
weitere Gebiet der sozialen Gerechtigkeit, d.h. auf den gesamten Bereich der
Rechte und Pflichten des Menschen. Die Verwirklichung dieser sozialen
Gerechtigkeit durch gerechte Preise beruht auf einer zweifachen
Übereinstimmung: Übereinstimmung des juristischen Kontextes, der den
Markt bestimmt, mit den ethischen Prinzipien; Übereinstimmung der
vielfältigen Wirtschaftsaktionen, die den Marktpreis festlegen, mit eben
diesen ethischen Prinzipien.
Es reicht nicht
aus, wenn die Verantwortung jedes einzelnen sich auf das Bürgerliche
Gesetz beschränkt, denn es beinhaltet vielfach den »Verzicht auf das
eigene sittliche Gewissen«.(85) Genauso wie der Marktpreis vom
Gebrauchswert abhängt, dem ihn jeder einzelne Konsument beimißt, so
wird unser sittliches Verhalten, das über die Gebrauchswerte urteilt, den
Marktpreis hin zum gerechten Preis tendieren lassen oder nicht. Wenn die Marktteilnehmer
sich in ihren wirtschaftlichen Entscheidungen nicht von der Pflicht, die
sozialen Gerechtigkeit zu verwirklichen, leiten lassen, dann wird der
Marktmechanismus selbst den Wettbewerbspreis vom gerechten Preis abspalten.
Bei der
Vorbereitung der Feier des Jubeljahres 2000 sind wir aufgefordert, das
sittliche Gesetz in den Alltag unserer wirtschaftlichen Entscheidungen zu
transponieren.(86)
Daraus folgt,
daß wir es gewissermaßen »in der Hand« haben, ob ein Preis gerecht
oder ungerecht ist; der Produzent hat es in der Hand, der Investor, der
Verbraucher sowie der staatliche Entscheidungsträger. Das enthebt den
Staat und die Staatengemeinschaft nicht ihrer Aufsichtspflicht, die unter
anderem in der Lage ist, den individuellen Mangel gegenüber der sozialen
Gerechtigkeit mehr schlecht als recht zu verschleiern, jenen Mangel an
Übereinstimmung mit dem Sittengesetz, dem jeder verpflichtet ist. Das
politische Ziel des Gemeinwohls muß Vorrang haben vor einer simplen
»ausgleichenden Gerechtigkeit«.
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