3. Seinen geoffenbarten Willen kennen wir
alle, und bei ihm ist nur zu untersuchen, in welcher Weise er offenbar geworden
ist. Denn obwohl es Dinge gibt, welche dem Willen Gottes genehm erscheinen,
indem sie von ihm nachgesehen werden, so geht doch nicht sogleich alles, was
erlaubt wird, aus dem reinen und vollen Willen des Erlaubenden hervor. Wenn
eine Erlaubnis gegeben wird, so bedingt dies ein Nachgeben6), Dieses geschieht zwar nicht
ohne Beteiligung des Willens, aber weil für denselben irgend ein Motiv in der
Person dessen, der die Nachsicht erhält, vorliegt, so kommt die Nachgiebigkeit
von einem sozusagen unwilligen Willen, da sie sich ein Motiv gefallen lassen
muß, welches den Willen zwingt. Aber siehe zu, was für ein Wollen das sein
kann, wovon etwas anderes die Ursache ist!
Die zweite Art, der
reine Wille, ist ebenfalls zu betrachten. Gott will, daß wir gewisse, ihm
wohlgefällige Dinge tun. Dabei ist nicht die Nachsicht unsere Beschützerin,
sondern die Sittenlehre unsere Gebieterin. Wenn er nun desungeachtet anderen
Dingen vor
diesen den Vorzug gegeben hat,
natürlich nur solchen, welche er lieber will, kann es dann wohl zweifelhaft
sein, daß wir das befolgen müssen, was er lieber will? Denn das, was er weniger
gern will, ist eben deswegen, weil er das andere lieber will, so anzusehen, als
wenn er es gar nicht wollte. Wenn er zu erkennen gegeben hat, was er lieber
will, so hat er damit den untergeordneten Willen durch den höheren aufgehoben.
In dem Grade, wie er beides dir zur Kenntnis vorgelegt hat, ist es seine
bestimmte Anordnung, daß du das befolgen sollst, wovon er angezeigt hat, daß er
es lieber will. Wenn er sich also in der Absicht erklärt hat, damit du dich
nach dem richtest, was er lieber will, so ist, wenn du es nicht tust, deine
Gesinnung ohne Zweifel seinem Willen entgegen. Sie ist nämlich gegen seinen
höheren Willen gerichtet, und du beleidigst ihn mehr, als daß du ihn dir
geneigt machst; denn du tust zwar, was er will, verschmähst aber das, was er
lieber sähe. Einerseits begehst du eine Sünde; anderseits erwirbst du dir, wenn
du keine Sünde begehst, doch seine Gunst nicht. Und nun — seine Gunst nicht
verdienen wollen, ist denn das keine Sünde? — Wenn sich also die zweite Ehe auf
jene Art des Willens Gottes gründet, den man Nachsicht nennt, so würden wir den
reinen Willen Gottes, dem erst eine Ursache eingeräumt werden muß, negieren,
wenn wir nicht7) aus dem Willen, vor dem eine andere auf eine
vorzüglichere Enthaltsamkeit gerichtete Willensoffenbarung den Vorzug erhält,
gelernt haben, daß der weniger gute durch den vorzüglicheren aufgehoben wird.
So viel möchte ich
vorausgeschickt haben, um nunmehr die Aussprüche des Apostels durchzugehen. Zuvörderst
glaube ich nicht, die Ehrerbietung zu verletzen, wenn ich eine Bemerkung, die
er selbst von sich macht, vorausschicke, nämlich die, er habe jede Nachsicht
hinsichtlich der Ehen nur auf Grund seiner eigenen, d. i.
einer menschlichen Meinung,
nicht kraft göttlicher Vorschrift eingeführt. Denn auch da, wo er über die
Witwen und Unverehelichten die Bestimmung gibt, daß sie heiraten sollen, wenn
sie nicht enthaltsam sein können, weil heiraten besser sei, als Brunst
empfinden, wendet er sich zu der ändern Klasse und sagt: „Den Verheirateten
aber verkündigte nicht ich, sondern der Herr"8). So gibt er durch den
Übergang von seiner Person zu der des Herrn zu erkennen, daß er das
Vorausgegangene: „Es ist besser zu heiraten als Brunst zu leiden", nicht
in der Person des Herrn, sondern in seiner eigenen gesprochen habe9). Obwohl sich dieser
Ausspruch nur auf die bezieht, welche die Gnade des Glaubens im Stande der
Ehelosigkeit oder Witwenschaft trifft, so möchte ich mich, weil sich alle an
besagte Erlaubnis, zu heiraten, anklammern, doch darüber auslassen, wie hoch in
der Meinung des Apostels ein Gut stehen dürfte, welches besser ist als eine
Strafe und nur dann als gut aufzutreten vermag, wenn es mit dem Schlimmsten
verglichen wird, so zwar, daß das Heiraten nur deshalb ein Gut ist, weil Brunst
leiden noch schlimmer ist. Ein Ding ist nur dann gut, wenn es beständig diesen
Namen behauptet, abgesehen von jeder Vergleichung, ich sage nicht mit etwas
Schlechtem, sondern sogar mit einem anderen Guten, so daß es, auch wenn es mit
einem anderen Guten verglichen und danach skizziert wird, nichtsdestoweniger
die Benennung „Gut" behält. Wofern es aber erst durch Vergleich mit etwas
Schlechtem sich die Benennung „Gut" erzwingt, so ist es nicht sowohl ein
Gut, als vielmehr ein Übel geringerer Art, das, von einem größeren Übel
überholt, zur Benennung „Gut" gelangt. Fort überhaupt mit dem Vergleiche,
zu sagen: „Heiraten ist besser als Brunst leiden!" Dann frage ich, ob man
sich erkühnen möchte, zu sagen: „Heiraten ist besser", ohne hinzuzusetzen,
in Vergleich womit es besser ist. Was also dann nicht mehr etwas Besseres ist,
das ist sicherlich nicht einmal mehr gut, weil du den Vergleich beseitigt und
hinweggenommen hast, welcher
jenes Ding dadurch gut macht,
daß er nötigt, es für etwas Besseres zu halten. Der Satz: „Heiraten sei besser
als Brunst leiden", ist so zu verstehen, wie der: Es ist besser, ein Auge
zu entbehren, als beide. Wenn man aber von dem Vergleiche absieht, so wird es
nicht besser sein, nur ein Auge zu haben, weil es nicht gut ist. Niemand möge
also aus der angeführten Stelle eine Verteidigung für sich herleiten. Sie
bezieht sich eigentlich auf die Unverheirateten und Witwen, bei denen sich
überhaupt noch gar keine Verbindung angeben läßt. Doch ich möchte auch
hinsichtlich dieser dartun, daß bei ihnen der Fall einer bloßen Erlaubnis als
vorhanden anzunehmen sei.