9. Wollen wir seine Meinung vollständig
wiedergeben, so wäre die zweite Ehe als eine Art von Hurerei zu bezeichnen,
nicht anders. Da er nämlich sagt, die Verheirateten seien nur darauf bedacht,
wie sie einander gefallen — natürlich nicht in sittlicher Hinsicht; denn eine
solche löbliche Bedachtnahme würde er nicht getadelt haben, — so will er damit
sagen, sie nehmen auf Putz, Schmuck und jegliche Pflege der äußeren Erscheinung
Bedacht, zum Zwecke, sinnlichen Reiz hervorzurufen. Durch die äußere
Erscheinung aber und den Putz zu gefallen, das ist ein Kunstgriff der
fleischlichen Begierlichkeit, welche auch zur Hurerei führt. Scheint dir denn
die zweite Ehe nicht etwas der Hurerei Verwandtes, da man bei ihr Erscheinungen
findet, welche eigentlich der Hurerei eigentümlich sind? Der Herr selbst sagt:
„Wer ein Weib ansieht, um ihrer zu begehren, der hat in seinem Herzen bereits
Hurerei mit ihr getrieben"25). Wer sie aber ansieht, in
der Absicht, sie zum Weibe zu nehmen, tut der etwas Größeres oder etwas
Geringeres? Wie, wenn er sie nun gar noch nimmt? Er würde das unterlassen, wenn
er ihrer nicht schon zur Ehe begehrt und sie, um ihrer zu begehren, angesehen
hätte. Ohne das ist es ja nicht möglich, eine Frau zu nehmen, ohne sie
angesehen und ihrer begehrt zu haben. Freilich ist es ein großer Unterschied,
ob man als Ehemann oder als Eheloser das Weib eines anderen
anschaut. Für den Ehelosen aber ist
jedes Weib ein anderes, so lange es ein ihm fremdes ist. und sie wird durch den
nämlichen Akt zum Eheweibe, wodurch sie zu einer Ehebrecherin wird. Wie es
scheint, begründen nur die Gesetze die Verschiedenheit zwischen Ehe und
Hurerei, vermöge des Unterschiedes im Unerlaubten, nicht wegen der
Beschaffenheit der Sache an sich. Was dient denn übrigens bei Mann und Weib zum
Vollzug der Ehe wie der Hurerei? Nur die fleischliche Vereinigung, wonach zu
verlangen der Herr der Hurerei gleich erachtet.
Man wendet mir ein,
die Folge davon wäre die Beseitigung auch schon der ersten Ehe, — Nicht ganz
mit Unrecht, Denn auch sie basiert auf demselben Akte wie die Hurerei, Darum
ist es das beste für den Menschen, kein Weib zu berühren, und darum ist die
Heiligkeit der Jungfrau die vorzüglichste, weil sie jeder Verwandtschaft mit
der Hurerei fernsteht. Da diese Momente sogar schon bei der ersten und einzigen
Ehe zur Verteidigung der Enthaltsamkeit geltend gemacht werden können, um
wieviel mehr werden sie ein Präjudiz bilden zur Verwerfung der zweiten! Zeige
dich dankbar, wenn Gott dir das Heiraten einmal nachgesehen hat! Du wirst aber
dankbar sein, wenn du an eine abermalige Nachsicht seinerseits für dich nicht
denkst, du mißbrauchst dagegen die Nachsicht, wenn du dich ihrer ohne die
nötige Mäßigung bedienst. Mäßigung ist abzuleiten von Maß, Es genügt dir noch
nicht, von jener obersten Stufe, der unbefleckten Jungfrauschaft, durch dein
Heiraten auf die zweite zurückgetreten zu sein, sondern du sinkst, nachdem du
auf der zweiten Station nicht enthaltsam gewesen bist, auch noch auf die dritte
und vierte und vielleicht noch weiter hinab, weil er, der zur zweiten Ehe
aufzufordern Anstand nahm, eine noch öftere Wiederholung der Ehe auch nicht
direkt hat verbieten wollen. Heiraten wir mithin doch alle Täge, und wir können
leicht heiratend vom letzten Tage überrascht werden wie Sodoma und Gomorrha;
von jenem Tage, an welchem „das Wehe über die Schwangeren und Säugenden'', d.
h. das Wehe über die Verheirateten