] Sache mit sich, wenn also von irgend
einer Tugend die Rede ist, auch das Gegenteil davon zu betrachten. Das, wonach
man streben muß, wird besser ins Licht gesetzt werden, wenn dargelegt ist, was
man folgerecht zu meiden hat. Erwägen wir also in betreff der Ungeduld, ob sie
nicht etwa ähnlich wie die Geduld in Gott als das Gegenteil davon von unserm
bösen Feinde erzeugt und empfunden sei, und es wird daraus erhellen, wie sehr
sie vor allem dem Glauben widerstrebe. Denn, was sein Dasein dem Nebenbuhler
Gottes verdankt, das kann fürwahr dem Eigentum Gottes nicht günstig sein! Unter
dem Eigentum besteht dieselbe Feindschaft wie unter den Besitzern. Wenn aber
Gott die höchste Güte ist, so ist der Teufel im Gegenteil die größte Bosheit.
Eben durch ihre Gegensätzlichkeit geben sie zu erkennen, daß keiner dem ändern
Vorschub leistet, und es kann ebensowenig den Schein haben, als gehe von dem
Schlechten etwas Gutes aus, als von dem Guten etwas Schlechtes. Ich finde also
den Ursprung der Ungeduld im Teufel selbst. Denn daß Gott der Herr alle Dinge,
die er gemacht, seinem Ebenbilde, d. i. dem Menschen, unterwarf, das ertrug
jener schon damals mit Unwillen. Hätte er das geduldet, so hätte er keinen
Schmerz darüber empfunden, und wenn er keinen Schmerz empfunden hätte, so hätte
er auch keinen Neid gegen den Menschen gehegt. Den letzteren betrog er, weil er
ihn beneidete, er hatte ihn aber beneidet, weil er Schmerz empfand, er empfand
Schmerz sicher nur deshalb, weil er jenes nicht geduldig ertragen konnte. Wie
dieser Engel des Verderbens zu Anfang war, ob erst schlecht oder erst
ungeduldig, verschmähe ich zu untersuchen; denn es ist offenbar, daß entweder
die Ungeduld mit der Schlechtigkeit oder die Schlechtigkeit mit Ungeduld
begonnen hat, daß sie nachher gemeinschaftliche Sache miteinander machten und
auf gemeinsamem väterlichen Schöße unzertrennbar heranwuchsen.
Was der Teufel zuerst
gefühlt und womit er den ersten Schritt zur Sünde getan hat, ebendasselbe, die
Ungeduld, ruft er, durch eigene Erfahrung über die Reizmittel zum Sündigen
belehrt, nun seinerseits zu Hilfe,
] um den Menschen ins
Verbrechen hineinzutreiben. Er veranstaltete sofort ein Zusammentreffen mit dem
Weibe, und sie wurde, ich will keinen zu kühnen Ausdruck gebraucht haben, schon
durch das bloße Gespräch mit ihm von seinem durch Ungeduld verpesteten Geiste
angeweht. Sie würde überhaupt gar niemals gesündigt haben, wenn sie, dem
göttlichen Gebote gehorchend, Ausdauer bewahrt hätte. Aber sie ließ es sich
ferner nicht mit dieser Zusammenkunft für sich allein genügen, sondern in
Gegenwart Adams, der noch nicht ihr Ehemann war und ihr noch kein Gehör zu
geben brauchte, konnte sie das Schweigen nicht mehr ertragen und machte ihn zum
Fortleiter dessen, was sie vom Bösen eingesogen hatte. Es geht nun also auch
der andere Mensch durch die Ungeduld des ersten zugrunde; er geht sofort
zugrunde auch durch seine eigene Ungeduld, die nun in beiden Beziehungen
begangen war, sowohl in betreff der Vorschrift Gottes als der Umgarnung des
Teufels, indem er jene zu halten, diese zurückzuweisen nicht ertrug. Das ist
der erste Ursprung der Verurteilung und des Verbrechens; da fing Gottes Zorn
an, wo der Mensch ihn zu beleidigen angeleitet wurde. Von da an, wo der erste
Unwille stattfand, datiert bei Gott das erste Eintreten der Geduld. Er begnügte
sich damals mit der bloßen Verfluchung und entsprach den Anforderungen der
Strafgerechtigkeit nur am Teufel.
Welches Vergehen gibt
es sonst, das dem Menschen vor diesem Ungeduldsfehler zur Last gelegt werden
könnte? Er war voll Unschuld, Gott und dem Nächsten Freund und ein Bewohner des
Paradieses. Sobald er dagegen einmal der Ungeduld unterlegen war, hörte er auf,
an Gott Gefallen zu finden, er hörte auf, die himmlischen Dinge tragen zu
können. Von da an war der Mensch der Erde überantwortet, von den Augen Gottes
verstoßen und fing an, der Ungeduld leicht zugänglich zu werden für alles, was
Gott mißfällt. Denn da die Fruchtbarkeit des Weibes aus der Saat des Teufels
sofort eine böse geworden war, so gebar sie alsbald einen Sohn des Zornes und unterrichtete
ihren Sprößling in ihren Künsten. Was dem Adam selbst und der Eva
] den Tod gegeben hatte, das leitete
auch ihren Sohn an, den ersten Mord zu begehen. Wenn Kain, dieser erste Mörder
und erste Brudermörder, die Verschmähung seiner Opfergaben seitens des Herrn
gleichmütig und geduldig ertragen hat, wenn er nicht zornig gegen seinen Bruder
wurde, wenn er niemanden getötet hat, dann habe ich keinen Grund, jenen Mord
der Ungeduld zuzuschreiben. Wenn er also ohne Zorn keinen Mord begehen und ohne
Ungeduld nicht zornig werden konnte, so legt er damit den Beweis ab, daß seine
aus Zorn begangene Handlung auf das zurückzuführen sei, was den Zorn eingab.
Das war die Wiege der
Ungeduld, die sich damals sozusagen noch in ihrer Kindheit befand. Und welches
Wachstum erlangte sie alsbald! Es ist auch kein Wunder, Wenn sie die erste
Sünderin war, so folgt notwendig daraus, daß sie, weil die erste, deshalb
notwendig auch jeder Sünde ganz allein das Dasein gibt und aus ihrer Fülle die
verschiedenen Kanäle des Verbrechens ihren Ausgang nehmen. Vom Morde ist schon
die Rede gewesen. Da er jedoch uranfänglich vom Zorn seine Entstehung nahm, so
führen auch alle Anlässe, die er nachmals fand, auf die Ungeduld als seinen
eigentlichen Ursprung zurück. Mag jemand aus Feindschaft oder eines Raubes
wegen dieses Verbrechen begehen, so geht immer die Erscheinung vorher, daß er
ein ungeduldiger Sklave des Zornes oder der Habsucht war. Welcher Antrieb auch
immer vorhanden ist, ohne Mangel an Geduld kann er nicht zur Verwirklichung
gelangen. Wer hat je einen Ehebruch begangen, außer wenn er den Trieb der Lust
nicht mehr aushalten konnte? Und wenn dergleichen bei den Weibern auch durch
Bezahlung erzwungen wird, so ist ein solches Preisgeben der Keuschheit um Geld
sicher doch nur durch ein ungeduldiges Verlangen nach Gewinnst
veranlaßt2).
So viel darüber, weil
die genannten Laster als die Hauptlaster vor dem Herrn gelten. Jede Sünde ist,
um
] die Sache summarisch zu
fassen, auf Rechnung der Ungeduld zu schreiben. Das Böse ist die mangelnde
Geduld im Guten. Der Unzüchtige hat keine Geduld dafür, Keuschheit zu üben, der
Unehrliche keine für die Rechtschaffenheit, der Gottlose keine für die
Frömmigkeit, der Unruhige keine für die Eingezogenheit, Um schlecht zu werden,
dazu gehört bei jedem, wer er auch sei, weiter nichts, als daß man im Guten
nicht zu verharren vermag. Wie sollte also ein solcher Bandwurm3) von Sünden nicht den Herrn,
dem alles Schlechte mißfällt, beleidigen?
Ist es nicht
offenkundig, daß das Volk Israel den Herrn fortwährend durch seine Ungeduld
beleidigt hat, indem es des Armes, der es aus den Plagen Ägyptens
herausgezogen, späterhin vergessend von Aaron Götzen zu Führern begehrt und das
beigesteuerte Gold zu einem Götzenbilde umgießt ? Es hatte das so notwendige
Verweilen des Moses, der mit dem Herrn redete, mit Ungeduld aufgenommen.
Unmittelbar nach dem eßbaren Regen des Manna und dem Geleite des
wasserspendenden Felsens verzweifeln sie am Herrn und können einen dreitägigen
Wassermangel nicht ertragen. Auch dies wird ihnen als eine Ungeduld vom Herrn
zum Vorwurf gemacht. Und um uns nicht ganz ins einzelne zu verlieren -- sie
sind mit einem Wort stets nur durch Sünden der Ungeduld umgekommen. Wie hätten
sie sonst Hand an die Propheten legen können, als weil sie zum Zuhören keine
Geduld hatten? An den Herrn selbst haben sie Hand angelegt; sie hatten nicht
einmal Geduld genug, ihn zu sehen. Hätten sie sich zur Geduld bequemt, so wären
sie befreit worden.