12. Was die Übung der Friedfertigkeit, die
Gott so angenehm ist, betrifft, so frage ich, welcher Mensch, der überhaupt der
Ungeduld ergeben ist, wird, ich will nicht sagen siebenmal und siebenzigmal
siebenmal, sondern auch nur ein einziges Mal seinem Bruder verzeihen? Wer wird,
wenn er gegen seinen Gegner einen Prozeß angestrengt hat, die Sache durch
Vergleich beilegen, außer er hat vorher schon seinen Unwillen, seine Härte und
Bitterkeit, d. i. das Gift der Ungeduld, unterdrückt? Wie wäre es dir möglich,
zu vergeben und Vergebung zu erlangen, wenn man aus Mangel an Geduld zäh beim
Unrecht beharren wollte? Niemand, der im Geiste gegen seinen Bruder aufgebracht
ist, wird seinen Dienst am Altar vollenden, außer er sei vorerst durch Aussöhnung
mit seinem Bruder zur Geduld zurückgekehrt. Ist erst die Sonne über unserm
Zorne untergegangen,
] dann sind wir in Gefahr, Es
ist uns nicht erlaubt, auch nur einen einzigen Tag ohne Geduld zu bleiben.
Wenn die Geduld jede
Art der Heilshandlungen leitet und regiert, was Wunder dann, daß sie auch der
Buße dient, welche das gewöhnliche Hilfsmittel für die Gefallenen ist, sie
erhofft, ersehnt und erbittet die Buße für die, welche einst zum Heile gelangen
sollen. Wie großen Vorteil schafft das beiden! da sie trotz Trennung der Ehe --
allerdings nur aus einem Grunde, woraufhin es beiden, dem Manne und der Frau,
erlaubt ist, in Absonderung zu verharren -- den einen Teil nicht zum Ehebrecher
macht und den ändern läutert18). So findet sie sich auch an den
Beispielen derer in den Gleichnissen des Herrn, die durch Geduld gerettet
werden19). Die Geduld des Hirten ist es, welche das verirrte
Schaf aufsucht und findet. Denn Ungeduld hätte sich aus dem einzelnen Schafe
wohl nichts gemacht. Aber die Geduld nimmt die Mühe des Suchens über sich, und
der geduldige Träger bringt das verlassene Sündenschaf noch dazu auf seinen
Schultern herbei. Den verschwenderischen Sohn nimmt die Geduld des Vaters
wieder auf, kleidet ihn, nährt ihn und entschuldigt ihn auch gegen die Ungeduld
des zürnenden Bruders. Gerettet ist also, wer verloren war, weil er die Buße
angetreten hat.
Die Buße ist nicht
verloren, weil sie die Geduld gefunden hat. Denn die Liebe, dieses höchste
Geheimnis des Glaubens, das Kleinod des christlichen Bekenntnisses, welches der
Apostel mit allen Kräften, die der Hl. Geist ihm gibt, anempfiehlt -- sie wird
erlernt nur durch die Schule der Geduld allein. „Die Liebe", sagt er, „ist
großmütig" -- so hat sie sich die Geduld zu eigen gemacht. „Sie ist
gütig" -- die Geduld tut nichts Böses. „Sie beneidet nicht" -- das
gerade ist die Eigentümlichkeit der Geduld. „Sie ist nicht übermütig" --
sie hat aus der Geduld Bescheidenheit geschöpft. „Sie ist nicht aufgeblasen,
nicht unbescheiden" -- das eben paßt nicht
] zur Geduld. „Sie sucht auch
nicht das ihrige" -- sie gibt das ihrige hin, falls es dem ändern nicht
schadet, „Sie läßt sich auch nicht reizen" -- dann hätte sie der Ungeduld
noch Raum gegönnt. Deswegen sagt er: „Die Liebe erträgt alles, sie duldet
alles"20), -- natürlich weil sie geduldig ist. Sie wird also mit
Recht niemals aufhören, denn alles übrige wird vergehen und ein Ende nehmen.
Erschöpfen wird sich die Sprachengabe, die Gabe der Wissenschaft und der Weissagung:
es bleiben aber Glaube, Hoffnung, Liebe -- der Glaube, den Christi Geduld
eingeführt hat, die Hoffnung, welche des Menschen Geduld erwartet, und die
Liebe, welcher nach Anleitung Gottes die Geduld als Begleiterin dient.