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Quintus Septimius Florens Tertullianus
Über die Ehrbarkeit.

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9. Wir aber legen uns den Gegenstand nicht willkürlich nach den Parabeln zurecht, sondern deuten die Parabeln nach dem Gegenstand der Lehre. Darum quälen wir uns auch nicht so ab, alles in eine Auslegung zu pressen, wenn wir nur alles vermeiden, was ihr entgegensteht92). Warum sind es gerade hundert Schafe? warum


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zehn Drachmen? und was bedeutet der Besen? Wenn er eben ausdrücken wollte, die Errettung selbst eines einzigen Sünders sei Gott sehr wohlgefällig, so mußte er notwendig irgendeine bestimmte Zahl nennen, von welcher er eins als verloren gegangen darstellte. Es war auch notwendig, der Frau einen Besen und ein Licht in die Hand zu geben, um ihr so die Haltung einer den Drachmen im Hause suchenden Person zu verleihen. Solche neugierige Fragen erregen in Bezug auf einzelne Züge der Parabeln allerlei Vermutungen93) und leiten durch die Spitzfindigkeit gezwungener Deutungen oft von der Wahrheit ab. Manches steht aber klar und einfach da, um die Parabel auszubauen, zu disponieren und durchzuführen, um so auf das hinzuführen, wofür das Beispiel gewählt wird,

So werden denn auch die beiden Söhne gewiß eben demselben Zwecke dienen wie die Drachme und das Schaf. Denn sie haben dieselbe Veranlassung wie das, womit sie in Zusammenhang stehen, nämlich dasselbe Gemurre der Pharisäer gegen den Umgang des Herrn mit Heiden, Oder sollte jemand zweifeln, daß die Zollpächter in Judäa, welches schon seit langer Zeit durch die Truppen des Pompejus und Lukullus besetzt war, Heiden gewesen, dann lese er das Deuteronomium, wo es heißt: „Es soll keine Abgabe verhängt werden über die Söhne Israels94). Auch wäre der Name der


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Zollpächter vor dem Herrn nicht so verabscheuungswert gewesen, wenn er nicht ein fremder gewesen wäre, ein Name von Leuten, die die Zugänge zum Lande und zum Meere, ja zur Luft selbst sich bezahlen ließen. Wenn er aber den Zöllnern die Sünder anreiht, so deutet er damit nicht gleich auf die Juden, wenn deren auch einige darunter sein konnten, sondern in der einen Gattung der Heiden unterscheidet er als die eine Art die Sünder von Profession, das sind die Zöllner, die andere sind die Sünder von Natur, nämlich die Nichtzöllner, und stellt sie so zusammen. Übrigens würde sein Zusammenleben mit Juden gar nicht getadelt worden sein, sondern nur sein Umgang mit Heiden, von deren Tisch die jüdische Disziplin fernzubleiben nötigte.

Jetzt müssen wir hinsichtlich des verschwenderischen Sohnes zuerst erwägen, was das Nützlichere sei. Denn eine Identifizierung der Gleichnisse, wäre sie auch so passend, daß sie auf der Goldwage gewogen erscheint, kann doch nicht gestattet werden, wofern sie dem Seelenheil schädlich ist. Wir sehen aber, daß der ganze Bestand des Seelenheils, der ja auf der Festigkeit der Disziplin beruht, durch diese Interpretation, welche von unsern Gegnern beliebt wird, völlig untergraben wird. Wenn der, welcher den vom Vater erhaltenen Vermögensanteil -- d. i. natürlich der Schatz der Taufe, sowie des Hl. Geistes und infolgedessen der Hoffnung des ewigen Lebens -- durch heidnisches Leben, weit vom Vater umherschweifend, vergeudete, ein Christ ist, wenn es ein Christ ist, der, der geistigen Güter beraubt, sogar dem Fürsten dieser Welt -- was natürlich kein anderer sein kann als der Teufel -- Knechtesdienste leistete, von ihm mit der Fütterung der Säue, d. h. dem Dienste der unreinen Geister, beauftragt, endlich zur Besinnung kam und zum Vater zurückkehrte, dann würden zufolge dieser Parabel schon nicht bloß die Ehebrecher und Hurer, sondern auch die Götzendiener, Gotteslästerer, Verleugner und der ganze Schwärm der Apostaten dem Vater auf Grund dieser Parabel Genugtuung leisten können. Dann wäre in Wahrheit das ganze Hab und Gut unserer Religion durch eine solche Beziehung des in Frage stehenden


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Gleichnisses95) förmlich vernichtet. Denn wer wird sich scheuen, verschwenderisch mit einer Sache umzugehen, die er wieder erwerben kann? Wer wird besorgt sein, sich das für immer zu bewahren, was er nicht für immer verlieren kann? Sicherheit beim Sündigen ist zugleich eine anstachelnde Lust zum Sündigen, Es wird also auch der Apostat sein früheres Kleid wieder gewinnen, das Gewand des Hl. Geistes, und abermals den Ring, das Siegel der Taufe, Christus wird wiederum für ihn geschlachtet werden, und er wird bei jenem Gastmahle zu Tische sitzen96), von dem die nicht angemessen Gekleideten durch die Henker weggewiesen und in die Finsternis geworfen zu werden pflegen, geschweige diejenigen, die ihres Gewandes beraubt worden sind. Es kommt also noch als verschärfendes Moment hinzu97), daß die Beziehung der Geschichte des verlorenen Sohnes auf den Christen auch nicht frommt. Da nun aber auch das Bild des unbescholtenen98) Sohnes auf den Juden nicht paßt, so wird die Deutung sich einfach der Absicht des Herrn anbequemen müssen.

Der Herr war gekommen, um zu retten, was verloren war, als ein Arzt, der mehr für die Kranken als für die Gesunden notwendig war. Das bildete er in den Gleichnissen vor, das lehrte er in seinen Aussprüchen, Welcher Mensch nun ist verloren, wer leidet an einer Krankheit, wenn nicht vor allem der, der von Gott nichts weiß?! Wer ist wohlaufgehoben und gesund, als nur wer Gott kennt? Diese beiden Fälle, der Art nach 


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verbrüdert, sie dürften auch in dieser Parabel versinnbildet sein. Frage dich, ob dem Heiden nicht jenes Besitztum eignet, daß er von Gott als Vater abstammt99) und sich jener Weisheit und natürlichen Erkenntnis Gottes erfreut, durch welche, wie der Apostel tadelnd bemerkt, die Welt in der Weisheit Gottes Gott nicht durch die Weisheit erkannt hat100), obwohl sie dieselbe doch von Gott empfangen hatte. Der Heide also hat sie verschwendet, indem er sich in seinen Sitten weit von Gott entfernte, zwischen den Irrtümern, Lockungen und Lüsten dieser Welt, wo er, vom Hunger nach der Wahrheit geplagt, sich dem Fürsten dieser Welt übergeben hat. Derselbe hat ihm die Obhut über die Schweine übertragen, damit er diese, den Dämonen vertraute101) Tiergattung weide, womit er nicht einmal sein Brot erwerben konnte und zugleich sehen mußte, wie die anderen im Tagelohn Gottes Überfluß an Himmelsbrot hatten. Er erinnert sich Gottes, seines Vaters, nach ihm geleisteter Genugtuung kehrt er zurück und erhält sein früheres Kleid wieder, nämlich den Zustand, den Adam durch seine Übertretung verloren hatte. Auch erhält er zum erstenmal102) den Ring, womit er den Bund des Glaubens


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auf die Fragen hin besiegelt, und so ausgestattet103) genießt er von da an von dem reichlichen Gastmahle des Leibes des Herrn, nämlich die Eucharistie.

Dieser also wird der verlorene Sohn sein, der früher noch nie brav, sondern von Anfang an ein Verschwender war, was doch nicht gleich von Anfang an der Christ ist104). Er war es, über den die Pharisäer sich betrübten, als er in den Personen der Zöllner und Sünder aus dem Heidentum in die Arme seines Vaters zurückkehrte. Darum paßt der Neid des älteren Bruders auch bloß auf diesen allein105), nicht weil die Juden unschuldig und Gott gehorsam waren, sondern weil sie die Heiden um die Erlösung beneideten; natürlich hatten sie immer bei dem Vater sein müssen. Es seufzt ja auch der Jude bei der ersten Berufung des Christen, nicht aber bei der zweiten Wiederaufnahme. Denn jene ist eine auch den Heiden offen bekannte Sache, diese zweite aber, wie sie in den Kirchen stattfindet, ist nicht einmal den Juden bekannt.

Ich glaube damit Deutungen gegeben zu haben, welche dem Gegenstande der Parabeln, dem Zusammenhang der Dinge und der Wahrung der Sittenzucht angemessener sind. Wofern übrigens die Gegenpartei darnach lechzt, das Schaf, die Drachme und den unzüchtigen Sohn auf den christlichen Sünder zu deuten, um so den Ehebruch und die Hurerei durch die Buße zu vergeben, so wird man entweder auch die übrigen Kapitalsünden ebenso vergeben müssen, oder auch diejenigen, welche diesen gleichstehen, den Ehebruch und die Hurerei, als unvergebbar vorbehalten müssen. Allein höher stellen wir die Forderung, daß man keine Auseinandersetzung über die Grenzen hinausführen darf, innerhalb deren der Gegenstand des Streites liegt. Dürfte man die


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Parabeln überhaupt anderswohin übertragen, so würden wir die durch sie bereitete Hoffnung lieber auf das Martyrium hinlenken. Dieses allein wird imstande sein, den Sohn nach Verprassung seiner sämtlichen Habe zu restituieren; dieses allein wird mit Freude verkünden, daß die Drachme wiedergefunden ist, wenn auch im Kote; dieses allein wird das Schaf, wenn es sich auch in alle möglichen Einöden und Abhänge verlaufen hatte, sogar auf den Schultern des Herrn selbst zurücktragen. Doch wir wollen von der Hl, Schrift lieber ein zu geringes, wenn dem so sein sollte, als ein unrichtiges Verständnis haben. Mithin müssen wir sowohl die Meinung des Herrn wahren als sein Gebot. Ein Abirren in der Deutung ist nicht geringfügiger als ein Abweichen im Lebenswandel.




923) dum contraria quaeque caveamus. Kellner übersetzt: „sondern wir vermeiden alle Extreme'', was nicht angeht; de Labriolle : „il nous suffit, d'éviter toute contradiction” = Deutungen zu geben, die einen Widerspruch enthalten; aber das will T. nicht sagen, sondern, wie die folgenden Ausführungen besagen, daß jede Deutung unbedingt auszuschließen ist, welche der Lehre widerspricht oder der Disziplin schädlich ist.



931) Huiusmodi curiositates sind nicht „solche Nebendinge”, sondern solche neugierigen, grüblerischen Fragen, wie die vorhergenannten: Weshalb gerade hundert Schafe usw.? suspecta faciunt quaedam (der Gegensatz ist: sunt autem, quae et simpliciter posita sunt) = als ob in solchen nur zur Einkleidung dienenden Zügen etwas Besonderes vorgebildet wäre; vgl. de res. carn. 21 : significantiae figuratae suspicio. Gerade in solche Züge legten die Gnostiker allerlei Deutungen hinein; vgl. z. B. de carne Chr. 8.



942) Tertullian scheint an Deut. 23, 19 und Lev. 25, 37 gedacht und aus dem Gedächtnis zitiert zu haben. Die Stellen lauten aber in Wirklichkeit ganz anders.



951) Nach der Lesart hoc imaginis modo; imago = Gleichnis oder Parabel.



962) Gemeint ist die Eucharistie. Vgl. kurz nachher: opimitate dominici corporis vescitur, eucharistia scilicet.



973) Plus est igitur. T. glaubt bewiesen zu haben (Kap. 8), daß nach der Anlage der Parabel der jüngere Sohn auf den Christen nicht gedeutet werden darf, weil der ältere Sohn auf den Juden nicht paßt. Jetzt hat er noch hinzu bewiesen, und dies bildet ein erschwerendes Moment, daß diese Deutung dem Heile schädlich ist. Deshalb schreibt er: plus est, eine bei ihm häufig vorkommende Ausdrucksweise.



984) Es ist zu lesen integri (nicht integre). T. rekapituliert kurz den Inhalt von Kap. 8.



991) substantiam in deo census ; census darf nicht mit ethnicus verbunden werden, sondern ist Genitiv zu substantiam. Letzteres Wort ist gewählt mit Rücksicht auf die Parabel Luk. 15, 12 f.; in deo patre census bezeichnet also das Vermögen, das Besitzrecht, das der Heide hat, weil es auf den Namen Gottes als seines Vaters eingetragen ist. Wenn also in der Parabet von einem Sohn des Vaters die Eede ist, so hat auch der Heide Anspruch auf diesen Namen kraft seiner Abstammung. Es ist ein tiefer Gedanke, wenn T. aus diesem Verhältnis die Fähigkeit des Menschen ableitet, von Natur aus Gott zu erkennen. Zum Gebrauch von „censere in” vgl. de an. 40: Omnis anima eo usque in Adam ceasetur, donec in Christo recenseatur; de monog. 5: quod tibi in Adam censetur et in Noe recensetur; 6 : Non enim passivus tibi census est in illo (sc. Abraham). Vgl. auch de orat. 6 : corpus eius in pane censetur, eine Stelle, die von Kellner unrichtig übersetzt ist: „weil sein Leib im Brote befindlich ist”, statt: „weil sein Leib unter dem Brote (nämlich dem „panem nostrum” im Vaterunser) zu verstehen ist”.



1002) 1 Kor. 1, 21.



1013) T. denkt an Mark. 5, 11 ff.



1024) also nicht denuo.



1031) ita; vgl. kurz vorherindigne vestiti”.



1042) quod non statim Christianus darf nicht übersetzt werden: „weil er noch nicht gleich Christ war”. Der Sinn ist: Vom Christen kann man doch nicht sagen, er sei sofort ein Verschwender, also kann der verlorene Sohn in der Parabel nicht einen christlichen Sünder bezeichnen.



1053) Nach der Konjektur von Rauschen ad hunc (nicht hoc) solum.






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