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10. Nachdem also das Joch, das uns die
Psychiker für die Deutung dieser Parabeln auflegen wollten,
abgeschüttelt106), und ein für allemal die
Notwendigkeit, sie - s412/758 -
nicht anders zu erklären, als Stoff
und klare Veranlassung es fordern, erkannt und angenommen ist, behaupten jene
nunmehr, die Verkündigung der Buße sei gar nicht an die Heiden gerichtet, da
die Sünden der Heiden ihr nicht unterliegen, weil sie der Unwissenheit
beizumessen seien; diese aber sei bloß infolge der Natur vor Gott
sündhaft107). Mithin fänden auch die Heilmittel keine Anwendung auf
solche, für welche die Gefahren nicht in Frage kommen. Der Seinsgrund der Buße
sei nur da vorhanden, wo mit Wissen und Willen gesündigt wird, wo von Schuld
und andererseits von Gnade die Rede sein könne. Nur der trauere, nur der sei
gebeugt, der weiß, was er verloren hat und was er wieder erlangen wird, wenn er
Gott seine Buße dargebracht hat, der sie selbstverständlich mehr seinen Kindern
anbiete als den Fremden.
Gut; dann hat also
auch wohl Jonas aus diesem Grunde bei den heidnischen Niniviten eine Buße nicht
für nötig gehalten, da er dem Auftrag zu predigen sich zu entziehen suchte.
Oder fürchtete er nicht vielmehr, die Barmherzigkeit Gottes, welche er auch
über die draußen Stehenden ausgegossen hat, werde sogar seine Ankündigung
gleichsam zuschanden machen?108) Und da ist nun wegen einer
unheiligen Stadt, die Gott noch gar nicht einmal angehörte, der Prophet beinahe
ums Leben gekommen! Freilich hat er ein Vorbild des Leidens des Herrn
durchgemacht, welches auch die bußfertigen Heiden erlösen sollte109). Gut trifft es sich, daß - s413/759 -
auch
Johannes, der Wegebereiter des Herrn, nicht weniger den Soldaten und Zöllnern,
als den Söhnen Abrahams Buße predigte. Der Herr selbst glaubte an die
Bußfertigkeit der Bewohner von Tyrus und Sidon, im Falle sie die Belege seiner
Wunderkraft sähen110). Umgekehrt möchte ich behaupten,
Buße passe für die, welche von Natur Sünder sind, noch mehr als für die
freiwillig Sündigenden. Denn der, welcher von ihr noch gar nicht Gebrauch
gemacht hat, wird ihren Lohn eher verdienen, als wer sie schon gemißbraucht
hat, und es haben die Heilmittel mehr Wirkung, wenn sie zum ersten Mal
gebraucht werden, als wenn sie abgenutzt sind. Natürlich, der Herr ist ja auch
lieber gütig gegen die Undankbaren als gegen die Unwissenden; er erbarmt sich
schneller der schlecht Bewährten als der noch nicht Bewährten; er zürnt nicht
gegen den Schimpf, der seiner Milde angetan wird, sondern er freut sich dessen
vielmehr; er verschleudert letztere lieber an seine Kinder, als daß er sie an
die draußen Stehenden verteilte, weil er die Heiden dann erst an Kindesstatt
annahm, als die Juden mit seiner Langmut ihr Spiel trieben. Aber, so wollen es
einmal die Psychiker, Gott, der Richter über das Böse, soll lieber die Buße,
als den Tod desjenigen Sünders wollen, der doch den Tod lieber wollte als die
Buße, Wenn dem so ist, dann erwerben wir uns durch Sündigen am Ende wohl gar
Verdienste.
Also wohlan denn,
mache deine Seiltänzerkünste mit der Züchtigkeit, Keuschheit und Heiligung des
Geschlechtslebens, du, der du auf dem dünnen Faden einer solchen Disziplin, die
der Wahrheit fremd111) ist, mit luftigem Schritte
einherschreitest, das Fleisch durch den Geist im Gleichgewicht haltend, die
Geistesgegenwart durch das Zutrauen aufrechthaltend, das Auge durch die Furcht
zügelnd112). Was richtest du deine ganze - s414/760 -
Aufmerksamkeit auf deinen
Schritt? Schreite nur zu, so wie du kannst, so wie du willst, da du so sicher
bist und gleichsam wie auf festem Boden wandelst. Wenn dich irgendein Schwanken
des Fleisches, ein Verlassen der Geistesgegenwart, ein Abirren des Auges vom
Laufe abbringt: Gott ist ja gütig. Er hat für die Seinigen seinen Mantel
untergebreitet, nicht etwa für die Heiden; die zweite Buße wird dich aufnehmen,
und nachdem du Ehebrecher gewesen, wirst du wieder Christ sein! Mit so etwas
kommst du mir, du nachsichtigster Dolmetsch Gottes!
Trotzdem würde ich
dir recht geben, wenn jene Schrift „der Pastor”, die allein113) den Ehebrechern günstig
gesinnt ist, unter die göttlichen Urkunden gesetzt zu werden verdiente, wenn
sie nicht vielmehr von jeder Kirchenversammlung, auch den eurigen, für apokryph
und falsch erklärt worden wäre; sie ist selber ehebrecherisch114) und darum eine Beschützerin
ihrer Genossen, Von ihr empfängst du auch sonst deine Einweihung115). Ihr wird höchstens noch
Beistand leisten jener Pastor, den du in deinem Becher abgebildet hast, er, der
selbst auch ein Schänder der christlichen Heilslehre ist, so recht ein
Götzenbild der Trunkenheit und eine Zuflucht für den Ehebruch, der auf das
Bechern zu folgen pflegt. Von ihm saugst du nichts lieber in dich - s415/761 -
hinein als
das Schaf der zweiten Buße116). Ich hingegen schöpfe aus den
Schriften des Hirten, der unzerbrechlich ist117). Sie bringt mir sofort
Johannes mit seiner Bußtaufe und seiner Bußpredigt entgegen, der
ausruft118): „Bringet würdige Früchte der Buße und saget nicht:
Unser Vater ist Abraham” -- nämlich damit sie nicht aus der Gnade119), die ihren Vätern zuteil
wurde, einen Anreiz, zu sündigen, nehmen sollten -- „denn Gott kann aus Steinen
Söhne Abrahams erwecken”120). Damit meint er auch uns121), nämlich als solche, die
nicht mehr sündigen sollen und würdige Früchte der Buße bringen. Denn welche
Frucht reift aus der Buße, als die bewirkte Besserung? Allein auch wenn die
Vergebung eher die Frucht der Buße ist122), dann kann auch diese nicht
bestehen ohne das Aufhören der Sünde. So ist denn das Aufhören der Sünde die
Wurzel der Vergebung, damit diese letztere die Frucht der Buße sein könne.
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