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13. Die falschen Vermutungen, denen sie sich auch - s420/766 -
in Bezug auf diesen Punkt
hingeben, sind uns freilich genugsam bekannt. Sie machen in Wirklichkeit die
törichte Annahme, der Apostel Paulus habe im zweiten Korintherbriefe demselben
Hurer Vergebung erteilt, über den er im ersten die Sentenz gesprochen hatte, er
sei dem Satan zum Verderben des Fleisches zu übergeben, er, der ruchloserweise
als Erbe in die Ehe seines Vaters eintrat. Also hätte er seine früheren Worte
später ausgestrichen132), als er schrieb: „Wenn jemand Ursache
zur Betrübnis gegeben hat, so hat er sie nicht mir gegeben, sondern zum Teil --
ich will nicht beschwerlich sein -- euch allen. Es genügt für einen solchen
jene Züchtigung, die von vielen ausgeht, so daß ihr im Gegenteil vielmehr
vergebet und tröstet, damit ein solcher nicht durch übermäßige Traurigkeit
verschlungen werde. Darum bitte ich euch, daß ihr ihm Liebe zuwendet. Denn ich
habe auch deswegen an euch geschrieben, um eure Bewährung zu erkennen, ob ihr
mir in allem gehorcht. Wenn ihr aber jemand Vergebung habt zuteil werden
lassen, dann auch ich. Denn auch ich habe, wenn ich etwas nachgelassen, es in
Christo133) nachgelassen, damit wir nicht vom Satan hintergangen
würden; denn seine Einflüsterungen sind uns nicht unbekannt”134).
Wo ist hier etwas,
was auf den Hurer, was auf den Verunreiniger des Ehebettes seines Vaters, was
auf den Christen, der die Schamlosigkeit der Heiden überboten hatte, zu
beziehen wäre? Der Apostel würde jedenfalls einen, den er in spezieller
Entrüstung verurteilt, doch auch ebenso in spezieller Vergebung losgesprochen
haben135). Er ist ja in seiner Barmherzigkeit undeutlicher als in
seiner Entrüstung! Er ist in seiner Strenge - s421/767 -
besummier als in seiner Milde!
Nun aber pflegt sich doch der Zorn mehr versteckt zu halten als die Nachsicht.
Man zögert mehr mit traurigen als mit freudigen Dingen. Es handelte sich
nämlich nur um eine Nachlassung in einer geringen Sache, die vielleicht nicht
einmal besondere Aufmerksamkeit erregte, während doch die Nachlassung bei den
größten Verbrechen nicht einmal ohne feierliche Verkündigung zu geschehen
pflegt, geschweige denn gar ohne bestimmte Bezeichnung136).
Selbst du, wenn du
die Brüder in die Kirche einführst, um für den büßenden Ehebrecher Fürbitte zu
leisten137), läßest ihn im härenen Bußgewand, in Asche, - s422/768 -
im
schimpflichen und schauerlichen Aufzuge sich in der Mitte niederwerfen vor den
Witwen und vor den Priestern; allen sucht er Tränen zu entlocken, aller Fußstapfen
küsset er, aller Knie umfasset er, und auf ein solches Schicksal dieses
Menschen predigst138) du, mit allen möglichen Reizmitteln
des Mitleidens als „guter Hirt und preiswürdiger Vater”139), und suchst dann im Gewände
der Parabel140) vom verlorenen Schaf deine Ziegen, damit ferner dein
Schaf nicht noch einmal von der Herde fortlaufe -- als ob erst von nun an nicht
gestattet wäre, was keinmal gestattet war141) --, flößest - s423/769 -
du auch den
übrigen Schafen Furcht ein, in dem Augenblick, wo du doch in Wirklichkeit die
größte Nachsicht übst: der Apostel dagegen soll es mit Verzeihung der
verbrecherischen Lust der Hurerei, die noch durch Blutschande erschwert war, so
leicht genommen haben, daß er von ihm nicht einmal die geschilderten
gesetzmäßigen Übungen der Buße, die du doch von ihm erlernen sollst, verlangt,
keine Drohungen für die Zukunft gemacht und keine Ermahnungen für die Folgezeit
hinzugefügt hätte?! Ja er geht noch weiter, er beschwört die Korinther, sie
sollen dem Betreffenden Liebe zuwenden, wie einer, der etwas wieder gut macht,
nicht wie einer, der verzeiht!142) Und doch, ich höre nur das
Wort Liebe, nicht das Wort Kirchengemeinschaft. Ebenso spricht er auch im
Briefe an die Thessalonicher: „Wenn einer nicht hört auf mein Wort in diesem
Schreiben, den weiset zurecht und verkehret nicht mit ihm, damit er in sich
gehe, aber haltet ihn nicht wie einen Feind, sondern tadelt ihn wie einen
Bruder”143). Also hätte er wohl sagen können, daß auch dem Hurer
nur Liebe zuteil geworden sei, nicht aber die Kirchengemeinschaft; dem
Blutschänder aber auch nicht einmal Liebe, da er ihn nämlich aus ihrer Mitte --
noch viel mehr also aus ihrem Sinne -- zu entfernen befohlen hatte. - s424/770 -
Aber er fürchtete
wohl, sie würden vom Satan betrogen werden, durch das Verlorengehen einer
solchen Person, die er selbst dem Satan übergeben hatte -- oder der werde durch
übergroße Traurigkeit verzehrt werden, den er doch selbst dem Verderben des
Leibes preisgegeben hatte?! Nun deuten sie schon in der in Rede stehenden
Stelle144) das „Verderben des Leibes” auf die Leistung der
Bußübung, die145) durch Fasten, schmutzige Kleidung,
durch jegliche Selbstvernachlässigung und absichtliche Selbstpeinigung das
Fleisch gleichsam aufreibe und Gott dadurch Genugtuung leiste, um daraus den
Schluß abzuleiten, der Apostel habe den Hurer, ja sogar jenen Blutschänder
nicht dem Satan zum Verderben übergeben, sondern zur Besserung, als werde er
nachher wegen dieses Verderbens, d. i. wegen der Kasteiungen seines Leibes
Verzeihung erlangen und habe sie also auch erlangt. -- Allerdings hat derselbe
Apostel den Hymenäus und Alexander dem Satan übergeben, damit sie gebessert
würden und nicht mehr lästerten, wie er an seinen Timotheus schreibt146). Allein er sagt auch, daß
ihm selbst „ein Pfahl beigegeben sei, ein Engel des Satans, der ihm
Backenstreiche versetze, damit er sich nicht überhebe”147). Wenn sie auch auf diese
letztere Stelle den Finger legen, auf daß wir die von ihm dem Satan
Überlieferten als nur zur Besserung, nicht zum Verderben ihm übergeben ansehen
sollen, so frage ich, welche Ähnlichkeit hat denn Gotteslästerung und
Blutschande mit einer Seele, die von diesen Dingen rein ist, ja, die aus keinem
anderen Grunde als wegen ihrer höchsten Heiligkeit und vollkommenen Keuschheit
hoch erhoben ist148), die beim Apostel allenfalls durch - s425/771 -
Backenstreiche
gezügelt werden sollte, das ist, wie man glaubt, durch Ohren- und Kopfschmerzen?
Blutschande und Lästerung aber verdienten es, daß jene Menschen ganz149) dem Satan selber, nicht etwa
bloß seinem Engel als Besitz überliefert wurden. Auch darin liegt ein
Unterschied, ja darauf kommt sehr viel an, daß die Genannten, wie wir lesen,
vom Apostel dem Satan förmlich übergeben wurden, dem Apostel selbst aber ein
Engel des Satans nur beigegeben war.
Schließlich, als
Paulus zum Herrn rief, was bekam er zu hören? „Meine Gnade genügt dir; denn die
Kraft vollendet sich in der Schwachheit”150). Das kann man zu denen, die
dem Satan übergeben sind, nicht sagen. Wenn aber das Vergehen des Hymenäus und
Alexander, nämlich die Blasphemie, unvergebbar ist, sowohl in dieser als in
jener Welt151), dann hat sicherlich der Apostel sie, die sich vom
Glauben ab- und der Blasphemie zugewendet hatten, nicht, entgegen der
Vorschrift des Herrn, mit der Hoffnung auf Verzeihung dem Satan übergeben.
Darum hat er sie auch für schiffbrüchig im Glauben erklärt, für Leute, die
bereits den Trost des Schiffleins der Kirche nicht mehr besitzen. Denn die
Vergebung wird denen verweigert, welche vom Glauben aus152) in die Blasphemie gefallen
sind. Die Heiden und Häretiker dagegen erheben sich jeden Tag aus der
Blasphemie. Wenn er aber auch gesagt hat: „Ich habe sie dem Satan übergeben,
damit sie lernen, nicht zu lästern”, so hat er das auf die anderen berechnet,
welche, nachdem jene dem Satan übergeben, d. h. aus der Kirche hinausgestoßen
waren, lernen sollten, daß man - s426/772 -
nicht lästern dürfe153). So also hat er auch den
Blutschänder dem Satan, zu dem er durch seine mehr als heidnische Sünde bereits
übergetreten war, nicht zur Besserung, sondern zum Verderben überliefert, damit
man an ihm lerne, keine Unzucht zu treiben.
Endlich sagt er: zum
Untergang, nicht zur Peinigung des Fleisches, und verurteilt die Substanz
selbst, mittels derer jener abgefallen war, welche von da an bereits dem
Untergang verfallen war durch den Verlust der Taufe. „Damit der Geist”, heißt
es, „gerettet werde am Tage des Herrn.” Denn auch in Bezug auf diesen Punkt muß
man die Frage stellen, ob der Geist desselben154) Menschen gerettet werde?
Gerettet also soll werden ein mit einem solchen Verbrechen befleckter Geist,
nachdem der Leib deshalb zugrunde gerichtet worden ist? Gerettet soll er sein
in der Strafe? Folglich würde die entgegengesetzte Meinung eine Bestrafung ohne
Leib annehmen: damit geben wir die Auferstehung des Fleisches preis155). Es bleibt also nur eins
übrig, nämlich daß er dem Geist, der unter der Kirche verstanden wird, Rettung
zugesprochen habe, d. h. daß er am Tage des Herrn rein dastehen soll von der
Befleckung jeglicher Unlauterkeit, nachdem der blutschänderische Unzüchtige
hinausgeworfen ist. Denn er fügt hinzu: „Wißt ihr nicht, daß ein wenig
Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert?”156) Die blutschänderische
Hurerei war aber doch nicht ein wenig Sauerteig, sondern eine ganze Masse.
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