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Quintus Septimius Florens Tertullianus
Über die Ehrbarkeit.

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14. Nachdem diese Zwischenfragen erledigt sind, kehre ich zum zweiten Korintherbriefe zurück, um zu zeigen, daß auch der andere Ausspruch des Apostels: „Für einen solchen Menschen mag genug sein die Zurechtweisung, die von vielen kommt”, nicht auf die Person des Hurers passe. Wenn Paulus erklärt hat, daß er dem Satan übergeben werden müsse zum Verderben des


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Fleisches, so hat er ihn jedenfalls verurteilt und nicht bloß zurechtgewiesen. Der, bei dem es mit der Zurechtweisung genug sein sollte, war also eine andere Person. Denn der Hurer hatte ja durch Urteilsspruch des Apostels bereits nicht eine Zurechtweisung, sondern seine Verdammung empfangen. Ich lege dir nämlich auch folgende Frage zur Untersuchung vor: Finden sich im ersten Briefe nicht auch noch andere Personen, die den Apostel durch unpassendes Betragen betrübt hatten, und dann ihrerseits durch ihn betrübt wurden, indem sie Zurechtweisungen erhielten im Sinne des zweiten Briefes? Aus der Zahl dieser letzteren konnte dann im zweiten Briefe der eine oder der andere Verzeihung erhalten. Beachten wir, daß der ganze erste Brief sozusagen nicht mit Tinte, sondern mit Galle geschrieben, daß er voll von Aufwallungen, Zorn, Unwillen, Drohungen, Mißmut und in seinen einzelnen Klagepunkten gegen bestimmte Personen gerichtet ist, als wären sie die Hauptschuldigen. Denn so hatten es ihre Spaltungen, Feindschaften, Spannungen, Anmaßungen, Überhebungen und Streitigkeiten notwendig gemacht, daß sie mit Mißbilligungen überhäuft, durch Tadel zurückgewiesen, durch barsche Behandlung gebessert und durch Strenge eingeschüchtert werden mußten.

Und wie beschaffen ist sein Unwille, der sie zur Demut anspornen soll! „Ich danke Gott”, sagt er, ,,daß ich niemanden von euch getauft habe als nur Crispus und Gajus, damit niemand sagen könne, daß ich auf meinen Namen getauft hätte. Denn ich habe nicht dafür gehalten, etwas zu wissen bei euch, außer Jesum Christum, und zwar diesen als den Gekreuzigten”157), Und weiter: ,,Ich glaube, uns Apostel hat Gott als die letzten auserwählt -- etwa wie die Tierkämpfer -- denn wir sind ein Schauspiel geworden für diese Welt, die Engel und Menschen, und wir sind ein Auskehricht dieser Welt geworden, der Abschaum aller”158). Und wiederum: „Bin ich nicht Apostel, habe ich nicht unsern Herrn Jesus Christus geschaut?”159) Wie groß war auf Seite der


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andem die Überhebung, die ihn nötigte, unumwunden zu erklären: „Mir ist es ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde oder von irgendeinem menschlichen Gerichtstage; denn ich bin mir nichts bewußt” und „meinen Ruhm möge niemand zunichte machen.” „Wisset ihr nicht, daß wir die Engel richten werden?”160) Wie freimütig aber ist seine Rüge, wie blank gezogen das geistige Schwert, wenn er sagt: „Schon seid ihr reich, schon seid ihr gesättigt, schon herrschet ihr”, und „wenn jemand glaubt, er wisse etwas, dann weiß er noch gar nicht, wie man wissen muß”161). Ist es nicht, als wenn er einen ins Gesicht schlüge mit den Worten: „Wer hat dir einen Vorzug gegeben? Was aber hast du, was du nicht empfangen hast? Warum rühmst du dich, als wenn du nicht empfangen hättest?”162) Schlägt er nicht auch jene163) auf den Mund, denen er zuruft: „Manche essen bei ihrem Wissen bis jetzt das Götzenfleisch als Götzenfleisch. Die aber, welche so das Gewissen schwacher Brüder verletzend sündigen, sündigen gegen Christus”?164) Sodann wird er auch persönlich: „Haben wir etwa nicht auch die Befugnis, zu essen und zu trinken und Frauenspersonen mit uns umherzuführen, wie die übrigen Apostel, die Brüder des Herrn und Kephas?” Und an einer anderen Stelle: „Wenn andere ein Verfügungsrecht über euch besitzen, warum nicht vielmehr wir?”165) Er faßt sie auch im Singular: „Darum, wer stehet, der sehe zu, daß er nicht falle”, und: „Wenn jemand streitsüchtig erscheint, wir haben eine solche Gewohnheit nicht, noch auch die Kirche Gottes”166), Wenn er in folgende


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Schlußformel eine Verwünschung einhüllt: „Wenn jemand den Herrn Jesum nicht liebt, der sei Anathema, Maranatha”167), so hat er damit gewiß irgendeine bestimmte Person getroffen.

Ich will indes lieber bei der Stelle bleiben, wo sich der Apostel noch mehr aufgebracht zeigt, wo der Hurer auch noch anderen Ungelegenheit bereitet hat: „Einige sind aufgeblasen, als wenn ich nicht zu euch kommen würde. Ich werde aber rascher kommen, wenn es der Herr gibt, und Einsicht nehmen, nicht von den Worten derer, die aufgeblasen sind, sondern von ihrer Kraft. Denn das Reich Gottes besteht nicht im Reden, sondern in der Kraft. Was zieht ihr vor, soll ich zu euch kommen mit der Rute oder im Geiste der Milde”168). Was lag denn vor? Dies: „Man hört überhaupt bei euch von Hurerei, und zwar von solcher Hurerei, wie nicht einmal bei den Heiden ist, daß einer die Frau seines Vaters hat. Und da seid ihr noch aufgeblasen, da habt ihr euch nicht vielmehr betrübt, damit der aus eurer Mitte entfernt werde, der eine solche Schandtat begangen hat?”169) Über wen sollten sie trauern? Natürlich über einen Toten, Und zu wem hin sollte ihre Trauer gerichtet sein? Natürlich zum Herrn hin, damit jener auf irgend welche Weise aus ihrer Mitte entfernt werde, sicherlich nicht, damit er aus der Kirche gestoßen würde. Denn das sollte doch nicht von Gott erbeten werden, was zur Pflicht des Vorstehers gehörte, sondern damit er durch den gewöhnlichen Tod des Leibes im buchstäblichen Sinne noch vollständiger aus der Kirche entfernt würde, er, der bereits ein verwesender Leichnam, der durch die unaustilgbare Unzucht eine Modergruft geworden war. Und deshalb sprach der Apostel über einen solchen Menschen das Urteil -- auf diese Weise konnte er vorläufig weggeschafft werden170) -- er sei dem Satan zu übergeben zum Verderben des Leibes. Denn es war die natürliche Folge, daß das Fleisch, welches dem Teufel


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hingeworfen worden war171), verflucht werden mußte, so daß er des Sakramentes der Segnung172) verlustig erklärt wurde und niemals wieder in das Heerlager der Kirche zurückkehren sollte.

Wir sehen also, daß die Strenge des Apostels hier verteilt sei auf eine aufgeblähte Person und auf eine unzüchtige und sich gegen die eine mit der Rute, gegen die andere mit einem Strafurteil gewappnet habe. Die Rute war es, womit er drohte, die Strafsentenz, die er aussprach; jene war noch erhoben, diese ließ er sofort herniederfahren, durch die eine schalt, durch die andere verdammte er. Und sicher ist, daß von da an der Gescholtene unter der ihm drohenden Rute zitterte, der Verdammte aber unter der sofort eintretenden Strafe zugrunde ging. Der erstere nämlich, der den Schlag fürchtende, steht noch (in ihrer Mitte), der andere aber, der die Strafe büßende173), ist (aus ihrer Mitte) verschwunden.

Als nun derselbe Apostel zum zweiten Male einen Brief an die Korinther schrieb, wurde allerdings eine Verzeihung erteilt, aber es bleibt ungewiß,


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wem, weil weder die Person noch die Sache bekannt gegeben wird. Ich will die Sachen mit dem Eindruck, den sie hervorrufen, vergleichen174). Wenn der Unzüchtige vor Augen gestellt wird, so steht auch der Übermütige neben ihm. Sicherlich wird man dem, was die Sache fordert gerecht, wenn der Übermütige gescholten, der Unzüchtige aber verworfen wird. Dem Übermütigen wird verziehen, jedoch nur, nachdem er zurechtgewiesen ist, der Unzüchtige erweckt nicht den Anschein175), daß ihm verziehen worden ist, da er verdammt wurde. Wenn demjenigen verziehen wurde, bei dem man fürchtete, der übergroße Kummer werde ihn verzehren, so war der bis dahin nur Zurechtgewiesene176) in Gefahr, verzehrt zu werden, wenn er den Mut verlor ob der Strafandrohung und in Trauer versenkt wurde ob der Rüge; der Verdammte aber wurde als bereits durch Schuld und Strafsentenz verschlungen angesehen, als einer, der gar nicht mehr zu trauern, sondern nur noch für das zu leiden habe, was er vor diesem Leiden hätte betrauern können. Wenn die Vergebung deswegen stattfand, „damit wir nicht vom Satan betrogen würden”, so wurde doch sicherlich Vorsorge gegen Erleidung eines Verlustes nur bei dem getroffen, was noch nicht zugrunde gegangen war; für das, womit es vorbei ist, trifft man keine Vorsorge mehr, sondern nur für das, was


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noch am Leben ist. Der aber, welcher verurteilt war, und zwar in den Besitz des Satans, der ging für die Kirche bereits verloren, als er diese Schandtat verübte, vollends aber, als er von der Kirche feierlich exkommuniziert wurde. Wie sollte sie noch fürchten, den zu verlieren, den sie einerseits als einen ihr Entrissenen bereits verloren hatte und den sie andererseits als einen Verworfenen gar nicht mehr besitzen konnte? Der Richter endlich, für was wird er Verzeihung geben dürfen? Für das, was er durch Endurteil entschieden, oder für das, was er durch einen Zwischenspruch vertagt hat? Und vollends ein Richter, dessen Gewohnheit es nicht ist, was er zerstört hat, wieder aufzubauen, damit er nicht für einen Übertreter gehalten werde!

Wohlan, wenn die Zahl der Personen, welche der erste Brief in Betrübnis versetzte, auch nicht groß wäre, wenn er niemanden ausgescholten, niemanden in Furcht versetzt, wenn er bloß den Blutschänder allein niedergeschlagen hätte, wenn er ferner bei der Sache des letzteren177) niemanden in Schrecken gesetzt und keinen Aufgeblasenen niedergeschmettert hätte, würde selbst dann deine Vermutung nicht besser, deine Argumentation nicht getreulicher178) sein, wenn du annähmest, damals habe es, im Zusammenhang mit der genannten Sache179), in Korinth noch einen ganz anderen gegeben, der zurechtgewiesen, in Schrecken gesetzt und dann von Kümmernis ganz aufgezehrt wurde, und dieser habe später, da es die Geringfügigkeit seines Vergehens gestattete180), Verzeihung erhalten, als daß du diese Verzeihung auf den blutschänderischen Hurer beziehst? Das hättest du herauslesen sollen, wenn auch nicht aus dem Briefe, dann doch aus der ganzen Handlungsweise des


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Apostels, indem es deutlicher in seinem Charakter, als durch seine Feder ausgedrückt ist, damit du nicht ihn, einen Paulus, den Apostel Christi, den Lehrer der Völker im Glauben und in der Wahrheit, das Gefäß der Auserwählung, den Gründer der Kirchen, den Zensor über die Kirchenzucht eines solchen Wankelmutes bezichtigtest, als habe er den, den er bald darnach wieder lossprechen wollte, leichtfertiger Weise verdammt, oder umgekehrt den in leichtfertiger Weise losgesprochen, den er doch wahrlich nicht leichtfertig verurteilt hätte, selbst wenn er ihn bloß wegen einfacher Hurerei verurteilt hätte, geschweige denn wegen einer blutschänderischen Ehe gottloser Wollust und vatermörderischer Unzucht, eine Unzucht, die er nicht einmal mit der Unzucht bei den Heiden auf eine Linie gestellt hatte181), damit sie nicht mit dem Herkommen entschuldigt werde, eine Unzucht, über die er abwesend das Urteil gesprochen, damit der Schuldige nicht etwa Zeit gewinne, eine Unzucht, die er sogar mit Anrufung der Autorität des Herrn verdammt hatte, damit die Strafsentenz nicht etwa als eine bloß menschliche angesehen werde. Er hat also mit seinem eigenen Geiste, dem Engel der Kirche182) und der Autorität des Herrn183) nur sein Spiel getrieben, wenn er das Urteil, welches er nach dem Rate dieser gesprochen hatte, wieder vernichtete.




1571) 1 Kor. 1, 14; 2, 2.



1582) Ebd. 4, 9. 13.



1593) Ebd. 9, 1.



1601) 1 Kor. 4, 3; 9, 15; 6, 3. 



1612) Ebd. 4, 8; 8, 2. 



1623) Ebd. 4, 7.



1634) illos sind die in der zitierten Stelle mit „quidam” Angeredeten.



1645) 1 Kor. 8, 7, 12. Der Vers 8, 7 wird nach dem Text von T. zitiert: quidam autem in conscientia usque nunc quasi idolothytum edunt. Die Vulgata liest cum conscientia usque nunc idoli. Vielleicht ist „idoli” im Text ausgefallen. Beide, sowohl T. wie die Vulgata, setzen aber im griechischen Text „suneidh&sei” voraus, nicht „sunhqei/a”.



1656) 1 Kor, 9, 4. 5. 12.



1667) Ebd. 10, 12; 11, 16.



1671) 1 Kor. 16, 22.



1682) Ebd. 4, 18--21.



1693) Ebd. 5, 1 f.



1704) ehe der Herr selbst ihn durch den Tod wegnahm.



1711) durch die Unzucht.



1722) der Taufe.



1733) Der Text ist hier unsicher. Gangneius überlieferte: statim ille timens plagam abiit ille luens poenam. Die Wiener Ausgabe wollte nach plagam eine Lücke annehmen, die etwa durch ,,rediit” auszufüllen sei, so daß zu lesen wäre: statim ille timens plagam redüt, abiit ille luens poenam. Hartel schlug vor, statt „statim” zu lesen „stat enim”, und dies scheint mir richtig zu sein. Stat erklärt sich aus der angeführten Stelle 1 Kor. 10, 12 Qui se putat stare etc., von der T. gesagt hat: singulari stilo illos figit. Wenn also der Apostel so spricht, so kann er bei diesen Worten nur an einen anderen, als den Unzuchtssünder, gedacht haben, an einen, der noch in ihrer Mitte steht, nicht aus ihrer Mitte weggeschafft ist; es ist also von zweien die Eede, und wenn nun im 2. Korintherbrief von einer venia die Rede ist, so kann sie nur demjenigen zuteil geworden sein, der noch „stand”, gegen den er aber die Rute schon erhoben hatte. Vom Unzuchtssünder sagt er kurz nachher, der Apostel habe ihn niedergeschlagen. „Redüt” darf nicht gelesen werden; denn der mit der Rute bloß Bedrohte war ja nicht ausgeschlossen worden.



1741) Res cum sensibus conferam. Zur Erklärung verweist Rauschen auf de fuga 4: Status enim uniuscuiusque certum quid est et dat sensui legem ita sentiendi statum sicuti est. Si autem statu quidem bonum quod a deo venit, sensui vero maium videtur, erit Status in tuto, sensus in vitio. Sensus ist also hier die äußere Auffassung einer Sache, der Eindruck, den eine Sache hervorruft bezw. hervorrufen kann.



1752) incesto non videtur ignotum, ut damnato. Aus dem „videtur” schließt Kellner mit Unrecht, daß T. selbst Mißtrauen in seine Beweisführung setze. Man bedenke, daß er gesagt hat: res cum sensibus conferam. Da der Unzüchtige verdammt worden ist, so erweckt er gar nicht den Anschein, bringt er gar nicht auf den Gedanken, daß er begnadigt worden sei. Vielmehr fordere es die „ratio rei”, die in dem „damnare” zum Ausdruck kommt, daß man einen solchen Gedanken ausschließe. Die Annahme, er sei begnadigt worden, sei also willkürlich.



1763) adhuc increpitus; zum Gebrauch von adhuc vgl. Hoppe 109.



1771) Nach der Lesart in causa eius, nämlich des Blutschänders. T. denkt an 1 Kor. 5. 1 ff., wo bei der Erwähnung des Blutschänders noch andere scharf getadelt werden.



1782) fidelius gegenüber einem Apostel wie Paulus.



1793) in eadem causa, nämlich der genannten causa des Blutschänders ; vgl. 1 Kor. 5. 1 ff.



1804) permittente modulo delicti, nämlich Aufgeblasenheit, oder eine andere Sünde, die im Gegensatz zur Unzucht keine Kapitalsünde war.



1811) comparare = in eine Gattung, eine Art zusammenstellen, auf eine Linie stellen. T. denkt an 1 Kor. 5, 1.



1822) Der Ausdruck ist im Anschluß an die Sendschreiben Offenb. 2, 1 ff. gebraucht. T. denkt aber nicht etwa an den Bischof der Gemeinde in Korinth, sondern an einen diese Kirche besonders beschützenden Engel.



1833) 1 Kor. 5, 4.






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