IV.
DIE DIMENSIONEN
DER AUSBILDUNG
ZUM STÄNDIGEN DIAKON
1. Die
menschliche Bildung
66.
Die menschliche Bildung hat zum Ziel, die Persönlichkeit der geweihten
Diener so zu formen, daß diese »für die anderen bei der Begegnung
mit Jesus Christus, dem Erlöser des Menschen, zur Brücke und nicht
zum Hindernis« (77) werden. Sie sollen deshalb dazu erzogen werden,
sich eine Reihe menschlicher Qualitäten anzueignen und zur Reife zu
bringen, die es ihnen ermöglichen, das Vertrauen der Gemeinde zu gewinnen,
sich mit Freude dem pastoralen Dienst zu widmen, und die ihnen Begegnung und
Austausch erleichtern.
Entsprechend
zu dem in Pastores dabo vobis über die Ausbildung der Priester
Gesagten müssen auch die Kandidaten für den Diakonat »zu Wahrheitsliebe,
Aufrichtigkeit, Achtung vor jedem Menschen, Gerechtigkeitssinn, Einhaltung des
gegebenen Wortes, zu echtem Mitgefühl, zu einem konsequenten Lebensstil
und besonders zu Ausgewogenheit im Urteil und Verhalten« (78) erzogen
werden.
67.
Von besonderer Bedeutung für die Diakone, die ja berufen sind, Menschen
des Gemeinschaftssinnes und des Dienstes zu sein, ist die Fähigkeit der
Kontaktpflege mit anderen. Dies verlangt, daß sie verläßlich
seien, gastfreundlich, aufrichtig in ihren Worten und im Herzen, besonnen und
verschwiegen, hochherzig und dienstbeflissen, fähig, herzliche und
brüderliche Beziehungen von sich aus anzubieten und in anderen zu
erwecken, und bereit zum Verstehen, zum Vergeben und zum
Trösten.(79) Ein Kandidat, der übermäßig in sich
verschlossen, leicht erregbar und unfähig zu echten und ungezwungenen
Beziehungen zu anderen sein sollte, müßte eine tiefe Umkehr
vollziehen, bevor er sich entschlossen auf den Weg zum Dienstamt machen kann.
68. An
der Wurzel der Fähigkeit, mit anderen in Beziehung zu treten, steht die
affektive Reife, die mit einem hohen Maß an Sicherheit vom ledigen wie
vom verheirateten Kandidaten erreicht sein muß. Eine solche Reife setzt
in beiden Arten von Kandidaten die Entdeckung voraus, daß die Liebe im
Mittelpunkt der eigenen Existenz zu stehen hat, sowie den Kampf gegen den
eigenen Egoismus. Tatsächlich kann, wie Papst Johannes Paul II. in der
Enzyklika Redemptor hominis sagt, »der Mensch nicht ohne Liebe leben.
Wenn ihm nicht die Liebe geoffenbart wird, wenn er nicht der Liebe begegnet,
wenn er sie nicht erfährt und sie sich nicht zu eigen macht, wenn er nicht
lebendig an ihr teilhat, dann bleibt er für sich selbst ein
unverständliches Wesen und sein Leben bleibt ohne Sinn«.(80) Es
handelt sich um eine Liebe — so erklärt der Papst in Pastores dabo
vobis — die alle Dimensionen der Person, die physischen, die psychischen
und die geistlichen einbezieht, und die deshalb eine vollkommene Beherrschung
der Sexualität verlangt, die wirklich und in vollem Sinne personal werden
muß.(81)
Die
Liebe zu verwirklichen bedeutet für die unverheirateten Kandidaten, das
Ganze des eigenen Seins, der eigenen Kräfte und des eigenen Bemühens
Christus und der Kirche darzubringen. Es ist eine anspruchsvolle Berufung, die
mit den Neigungen der Affektivität und mit den Triebkräften des
Instinktes rechnen muß und darum des Verzichts und der Wachsamkeit, des
Gebets und der Treue zu einer ganz bestimmten Lebensregel bedarf. Eine
entscheidende Hilfe dabei können wahre Freundschaften bieten, die eine
wertvolle Hilfe sind und eine von der göttlichen Vorsehung geschenkte
Unterstützung, um die eigene Berufung leben zu können.(82)
Für
die verheirateten Kandidaten bedeutet die Verwirklichung der Liebe, sich selbst
der eigenen Frau in gegenseitiger Zugehörigkeit hinzugeben, in einer
ganzheitlichen, treuen und unlösbaren Bindung, nach dem Bild der Liebe
Christi zu seiner Kirche; es bedeutet gleichzeitig auch die Kinder anzunehmen,
sie zu lieben und zu erziehen und die familiäre Zusammengehörigkeit
in die ganze Kirche und die Gesellschaft hineinstrahlen zu lassen. Es ist eine
Berufung, die heutzutage infolge der besorgniserregenden Abstufung einiger
fundamentaler Werte, der Überbetonung der Genußsucht und eines
falschen Freiheitsverständnisses einer harten Probe ausgesetzt ist. Um in
ihrer Fülle gelebt werden zu können, bedarf die Berufung zum
Familienleben der Stärkung durch das Gebet, durch die Liturgie und durch
eine täglich neue Hingabe seiner selbst.(83)
69. Voraussetzung
für wirkliche menschliche Reife ist die Erziehung zur Freiheit, die sich
als Gehorsam gegenüber der Wahrheit des eigenen Seins darstellt. »So
verstanden, erfordert die Freiheit, daß die menschliche Person wahrhaft
Herrin über sich selbst ist: Sie ist entschlossen, die verschiedenen
Formen des Egoismus und Individualismus, die das Leben jedes einzelnen
beeinträchtigen, zu bekämpfen und zu überwinden, und bereit,
sich in selbstloser Hingabe und im Dienst am Nächsten den anderen
gegenüber zu öffnen«.(84) Die Ausbildung zur Freiheit
beinhaltet auch die Erziehung zu einem moralischen Gewissen, das dazu
drängt, die Stimme Gottes in der Tiefe des Herzens zu hören und ihr
ohne Abstriche zu folgen.
70.
Diese vielseitigen Aspekte der menschlichen Reife — menschliche
Qualitäten, Fähigkeit zu Beziehungen, affektive Reife, Erziehung zur
Freiheit und zum moralischen Gewissen — müssen unter Berücksichtigung
des Alters und der vorausgegangenen Ausbildung der Kandidaten beachtet und in
auf die jeweilige Person abgestimmte Programme eingeplant werden. Der
Ausbildungsleiter und der Tutor haben dabei in ihrem Zuständigkeitsbereich
tätig zu werden; der geistliche Leiter wird es nicht versäumen, auf
diese Aspekte zu achten und ihr Vorhandensein in den geistlichen
Gesprächen zu überprüfen. Ferner sind auch Begegnungen und
Vorträge nützlich, die eine selbstkritische Wandlung erleichtern und
Anregungen für den Reifungsprozeß geben. Das gemeinschaftliche Leben
stellt — in all den verschiedenen durchführbaren Formen — einen
vorzüglichen Rahmen für die konkrete Überprüfung und
für eine brüderliche Ermahnung dar. Wo es nach dem Urteil der
Ausbilder nötig werden sollte, kann bei Zustimmung der Betroffenen auch
psychologische Beratung in Anspruch genommen werden.
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