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Giovanni Boccaccio
Decameron

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    • 6. Novelle
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6. Novelle

 

Man gibt dem Ferondo ein Pulver ein und trägt ihn für tot zu Grabe. Ein Abt, der

sich inzwischen mit seiner Frau die Zeit vertreibt, nimmt ihn aus dem Sarge und

sperrt ihn in einen Kerker, wo man ihm weismacht, daß er sich im Fegefeuer

befinde. Nach seiner Wiederauferstehung beschenkt ihn seine Frau durch den Segen

des geistlichen Herrn mit einem Sohne, den er ohne Umstände für den seinigen

erkennt.

Es war einmal im Toskanischen ein Kloster, welches in einer sehr einsamen Gegend

lag. In diesem Kloster ward ein Geistlicher zum Abt erwählt, der in allen

Stücken einen unsträflichen Wandel führte, die Weiber ausgenommen. Mit diesen

wußte er sich aber so klug zu benehmen, daß niemand etwas davon gewahr ward oder

ihn wegen des großen Geruches seiner Frömmigkeit auch nur in Verdacht hatte. Es

fügte sich einst, daß dieser Abt mit einem reichen Landmann, namens Ferondo,

bekannt ward, der ein plumper, einfältiger Mensch war, und an dessen Umgang er

weiter keinen Gefallen fand., als daß er sich bisweilen mit seiner Einfalt einen

Spaß machte. Er ward aber bei dieser Gelegenheit gewahr, daß Ferondo ein

allerliebstes Weibchen zur Frau hatte, welches dem Abte so sehr gefiel, daß er

Tag und Nacht an nichts anderes denken konnte. Weil er aber merkte, daß Ferondo

bei all seiner Einfalt und Dummheit doch klug genug war, sein hübsches Weib mit

aller Sorgfalt zu bewachen, so verging ihm fast alle Hoffnung. Doch gelang es

ihm, Ferondo dahinzubringen, daß er nebst seiner Frau bisweilen im Klostergarten

mit ihm spazieren ging, und dann pflegte er ihnen mit so vieler Salbung von der

Seligkeit des ewigen Lebens zu erzählen und von den heiligen Werken der frommen

Männer und Frauen der Vorzeit, daß endlich das Weibchen Lust bekam, bei ihm zu

beichten und auch Erlaubnis dazu von ihrem Manne erhielt.

Als sie nun zum Beichtstuhle kam und vor dem Abte niederkniete, fing sie an, ehe

sie von anderen Dingen redete: "Hochwürdiger Herr, wenn mir unser Herrgott einen

rechten Mann gegeben hätte oder auch gar keinen, so könnte ich vielleicht unter

Eurer Leitung ohne Mühe auf den Weg gelangen, von welchem Ihr uns gesagt habt,

daß er zum ewigen Leben führe; aber wenn ich meinen Ferondo und seine Torheiten

betrachte, so muß ich mich wie eine Witwe ansehen und bin doch keine, indem ich

bei seiner Lebenszeit keinen anderen Mann nehmen kann, und er ist so toll und

töricht, daß er mich über alle Maßen mit seiner Eifersucht quält, so daß ich mit

ihm in beständiger Not und Verdruß lebe. Darum bitte ich, ehe ich beichte, Euch

demütigst um Euren guten Rat; denn wenn ich nicht durch Abhilfe dieses Übels in

den Stand gesetzt werde, mein Heil zu befördern, so kann mir das Beichten und

jede andere gute Handlung nicht frommen."

Diese Erklärung war dem Abte Wasser auf seine Mühle, und er freute sich, daß das

Glück ihm die Bahn brach, um seine heißesten Wünsche zu befriedigen.

"Liebste Tochter," sprach er, "ich kann wohl denken, daß es einer so hübschen

und liebenswürdigen Frau, wie Ihr seid, schwer ankommen muß, einen Narren, und

noch viel schwerer, einen Eifersüchtigen zum Manne zu haben; und da beides Euer

Los ist, so glaube ich gerne, was Ihr mir von Eurem Leiden und Verdruß erzählt.

Da ist Euch aber, kurz und gut gesagt, nicht anders zu raten und zu helfen, als

daß man Euren Mann von seiner Eifersucht heilen muß; und dazu weiß ich ein recht

gutes Mittel, wenn Ihr Euch nur entschließen könnt, alles geheimzuhalten, was

ich Euch sagen werde."

"Daran dürft Ihr nicht zweifeln, mein Vater' , sprach die Frau. "Ich wollte

lieber in den Tod gehen als etwas offenbaren, was Ihr mir befehlt,

geheimzuhalten. Wie ist aber die Sache anzufangen?" ..Wenn wir ihn heilen

wollen," sprach der Abt, "so muß er ins Fegefeuer."

"Kann man denn bei lebendigem Leibe ins Fegefeuer kommen?"

"Das nicht", sprach der Abt. "Euer Mann muß sterben, und wenn er so lange gebüßt

hat, daß ihm seine Eifersucht vergangen ist, so wollen wir Gott durch unsere

Gebete bitten, ihn wieder ins Leben zurückzubringen, und er wird wieder

auferstehen."

"Muß ich denn Witwe werden?" fragte das Weibchen. "Jawohl," sprach der Abt, "für

eine gewisse Zeit. Ihr dürft Euch unterdessen beileibe nicht wieder verheiraten;

denn das würde dem Himmel nicht gefallen, und wenn Ferondo zurückkäme und Euch

wiederforderte, so würde er noch eifersüchtiger werden als vorher."

"Wenn er nun von diesem bösen Laster geheilt wird," sprach die Frau, "daß ich

nicht immer wie im Kerker bei ihm sitzen muß, so bin ich's zufrieden; macht's,

wie es Euch gefällt."

"Das will ich tun," sprach der Abt, "aber welchen Lohn gebt Ihr mir für den

wichtigen Dienst, den ich Euch leiste?"

"Lieber Vater," sprach das gute Weib, "alles, was Ihr wollt, wenn es nur in

meinem Vermögen steht; aber was vermag ein armes Weib wie ich zu tun für einen

solchen Mann wie Ihr seid?"

"Madonna," versetzte der Abt, "Ihr könnt ebensoviel für mich tun als ich für

Euch; denn so wie ich das zustande bringen will, was Euch nützlich und angenehm

ist, so könnt Ihr das tun, was mir Glück und Leben gibt."

"Wenn ich das kann," sprach das hübsche Weibchen, "bin ich willig und bereit."

"Wohlan," sprach der Abt, "so schenkt mir Eure Liebe und Euren Leib, für den ich

von der feurigsten Leidenschaft entbrannt bin."

Die gute Frau erstaunte über diesen Antrag.

"Hilf, Himmel, Vater!" rief sie. "Was fordert Ihr von mir! Ich hielt Euch für

einen so heiligen Mann; ziemt es sich denn für fromme Leute, dergleichen Dinge

von Weibern zu begehren, die sich bei ihnen Rats erholen?"

"Mein liebster Engel," erwiderte der Abt, "Ihr müßt Euch darüber nicht wundern;

denn die Frömmigkeit ist Tugend der Seele und wird durch dasjenige nicht

verletzt, was ich von Euch begehre und was nur eine Schwachheit des Fleisches

ist. Doch dem sei wie ihm wolle, genug, Eure Schönheit hat mich dergestalt

eingenommen, daß die Liebe mich zwingt, so zu handeln. Und ich versichere Euch,

Ihr könnt Euch auf Eure Reize weit mehr einbilden als jede andere Frau, wenn Ihr

bedenkt, daß sie den Frommen gefällt, welche gewohnt sind, die Schönheiten des

Himmels von Angesicht zu Angesicht zu sehen. überdies bin ich zwar ein Abt, aber

doch auch ein Mann, und wie Ihr seht, kein alter Mann. Laßt Euch also das nicht

schwer ankommen, was Euch vielmehr lieb sein sollte. Solange Ferondo im

Fegefeuer bleibt, will ich Euch des Nachts Gesellschaft leisten und Euch das

Vergnügen bereiten, das er Euch zu bereiten hätte, ohne daß jemand etwas davon

gewahr werden soll, weil jedermann von mir dieselbe und noch eine höhere Meinung

hat als wie die, die Ihr noch vor wenigen Minuten hattet. Verschmähet nicht die

Gabe, die Euch der Himmel darbietet, die so manche sich wünschen und die Ihr

erlangen könnt und erlangen werdet, wenn Ihr meinem Rate folgt. Überdies habe

ich eine Menge schöner und köstlicher Kleinode, die ich niemand anders als Euch

zugedacht habe. Beweist Euch demnach ebenso gefällig gegen mich, meine Teuerste,

wie ich willig bin, Euch zu dienen."

Die Frau schlug die Augen nieder; sie konnte sich nicht entschließen, nein zu

sagen, und sie glaubte doch auch nicht recht zu tun, wenn sie ihre Einwilligung

gäbe. Als nun der Abt sah, daß sie seinen Antrag bei sich erwog und unschlüssig

war, was sie ihm darauf antworten sollte merkte er, daß er halb gewonnen hatte,

und fuhr fort: mit so verführerischen Worten in sie zu dringen, daß er sie

endlich glauben machte, es wäre alles gut und wohlgetan. Sie sagte demnach mit

verschämtem Blicke, sie wäre zu allen seinen Befehlen bereit, doch könnte sie

sich eher zu nichts verstehen, bis Ferondo sich im Fegefeuer befände.

"Dahin wollen wir ihn bald schicken", sprach der Abt. "Macht nur, daß er morgen

oder übermorgen zu mir kommt."

Mit diesen Worten steckte er ihr einen kostbaren Ring an den Finger und entließ

sie. Vergnügt über das schöne Geschenk und begierig nach weiteren rühmte das

Weibchen ihren Begleiterinnen die Frömmigkeit des Abts und ging mit ihnen nach

Hause.

Ein paar Tage nachher kam Ferondo aus eigenem Antrieb zu dem Abte, der sich

vornahm, wie er ihn kommen sah, ihn sogleich ins Fegefeuer zu schicken. Er besaß

ein Pulver, das ihm einst ein Fürst im Morgenlande geschenkt und ihm versichert

hatte, daß der Alte vom Berge sich dessen zu bedienen pflege, wenn er jemand im

Schlafe auf eine Zeitlang in sein Paradies schicken oder ihn daraus wieder holen

wolle, und daß es, ohne zu schaden, den, dem man es eingäbe, auf eine kürzere

oder längere Zeit, nachdem es in größerer oder kleinerer Gabe genommen würde, so

fest einschläfere, daß er einem Toten völlig ähnlich wäre, solange die Wirkung

dauere. Von diesem Pulver gab er auf seiner Zelle ihm so viel in einem Glase

Most zu trinken, als er für nötig hielt, ihn auf drei Tage einzuschläfern.

Darauf ging er mit ihm zu den anderen Mönchen im Kreuzgang und belustigte sich

mit ihnen an seinem einfältigen Geschwätz. Es dauerte nicht lange, so wirkte das

Pulver, und es überfiel ihn ein so jäher und wütender Schlaf, daß Ferondo

stehend einschlief und zur Erde niedersank. Der Abt stellte sich, als ob er über

diesen Zufall äußerst bestürzt wäre; er ließ Ferondo auskleiden, mit Wasser

bespritzen und allerhand mit ihm vornehmen, als wenn er glaube, daß Blähungen

aus Magen oder Darm ihm diese Ohnmacht zugezogen hätten und er ihn wieder zur

Besinnung bringen wolle. Als er sich aber bei alledem nicht wieder erholte und

weder Pulsschlag noch irgendein anderes Zeichen des Lebens an ihm zu spüren war,

hielten sie ihn insgesamt für tot. Es wurde also nach seiner Frau und nach

seinen Verwandten geschickt, welche sich eiligst einstellten, und wie sie ihn

eine Zeitlang beweint und beklagt hatten, ließ ihn der Abt in seiner Kleidung in

eine Gruft legen. Die Frau ging nach Hause und tat ein Gelübde, nicht von ihrem

Kinde zu weichen, das sie von Ferondo hatte, und nicht aus dem Hause zu gehen.

Sie blieb demnach bei ihrem Kinde und verwaltete den Nachlaß ihres Mannes. Als

es Nacht ward, stand der Abt auf, und mit Hilfe eines Bologneser Mönchs, auf den

er sich verlassen konnte - er war am gleichen Tage erst aus Bologna eingetroffen

-, holte er Ferondo aus der Gruft und brachte ihn in ein finsteres Gewölbe,

welches Mönchen, die etwas verbrochen hatten, zum Kerker diente. Hier zogen sie

ihm seine Kleider aus, taten ihm eine Mönchskutte an und legten ihn auf ein Bund

Stroh, wo sie ihn liegen ließen, bis er wieder zu sich kam. Dem Bologneser Mönch

trug der Abt alles auf, was er mit ihm vornehmen sollte, sobald er wieder

aufwachte, und außer diesem wußte kein Mensch im Kloster um die Sache. Am

folgenden Tage ging der Abt mit einigen seiner Mönche unter dem Vorwande eines

Trauerbesuchs nach dem Hause der Frau. Er fand sie in tiefer Trauer und mit

betrübter Miene, worauf er ihr einige Trostworte zusprach und sie zugleich

heimlich an ihr Versprechen erinnerte. Die Frau, die jetzt weder Ferondo noch

jemand anders zu scheuen hatte und einen zweiten schönen Ring am Finger des

Abtes blitzen sah, gab ihm zu verstehen, daß sie bereit wäre, und verabredete

sich mit ihm, daß er sie noch denselben Abend besuchen solle. Der Abt zog also

Ferondos Kleider an und ging in Begleitung seines Mönches zu seiner Geliebten,

bei der er die Nacht zu seinem größten Vergnügen bis zur Mette lag und des

Morgens wieder nach seinem Kloster zurückkehrte. Diesen Weg nahm er zum gleichen

Zwecke in der Folge ziemlich oft. Wer ihm bisweilen beim Kommen oder Gehen von

ungefähr begegnete, der hielt ihn für Ferondos Gespenst, der seiner Sünden wegen

umginge; und bald erzählte das leichtgläubige Landvolk sich von ihm manches

Geschichtchen, das denn auch oft seiner Frau wiedererzählt ward, welche am

besten wußte, wie es damit zuging.

Als Ferondo im Gewölbe erwachte und nicht wußte, wo er war, ging der Bologneser

mit einem Bündel Ruten in der Hand zu ihm hinein, redete ihn mit einer

fürchterlichen Stimme an und gab ihm eine derbe Züchtigung. Ferondo schrie und

heulte und fragte beständig, wo er wäre.

"Du bist im Fegefeuer", sprach der Mönch.

"Was, bin ich denn tot?" fragte Ferondo.

"Allerdings", versetzte der Mönch.

Nun fing Ferondo an, sich selbst, seine Frau und sein Kind zu bejammern und das

albernste Zeug von der Welt zu schwatzen. Der Mönch brachte ihm darauf etwas

Speise und Trank.

"Essen denn auch die Toten?" fragte Ferondo, als er das sah.

Jawohl," sprach der Mönch, "und was ich dir bringe, hat deine ehemalige Frau

diesen Morgen dem Kloster geopfert, um für deine Seele Messen zu lesen, und

unser Herrgott hat befohlen, es dir zu reichen."

"Nun, Gott lohne es ihr!" sprach Ferondo. "Ich bin ihr in meinem Leben recht gut

gewesen, so gut, daß ich sie die ganze Nacht im Arm hielt und sie küßte und auch

wohl etwas anderes mit ihr tat, wenn mir's in den Sinn kam.

Da er sehr hungrig und durstig geworden war, fiel er begierig über das Essen und

Trinken her; weil aber der Wein ihm eben nicht vom besten zu sein dünkte, rief

er auf einmal: "Daß sie der Henker, warum hat sie dem Kloster nicht aus dem

Fasse geschickt, das an der Kellerwand liegt?"

Wie er gegessen hatte, nahm der Mönch die Ruten wieder zur Hand und gab ihm eine

zweite Geißelung. Ferondo schrie mörderisch und rief: "Warum tust du mir das?"

"Weil unser Herrgott befohlen hat, daß es zweimal. des Tages geschehen soll",

sprach der Mönch.

"Und warum denn?" fragte Ferondo.

"Weil du eifersüchtig gewesen bist, da du doch das beste Weib in der ganzen

Gegend zur Frau hattest.

"O weh! Du sprichst wohl wahr", sagte Ferondo. "Sie war süßer als Honigkuchen;

aber ich wußte es nicht, daß unser Herrgott es übelnehme, wenn man eifersüchtig

ist, sonst wäre es nicht geschehen."

"Daran hättest du denken und dich bessern sollen, wie du noch in der Welt

warst," sprach der Mönch, "und wenn du jemals wieder dahinkommst, so schreibe

dir fein ins Gedächtnis, was ich dir jetzt tue, damit du nie wieder eifersüchtig

werdest."

"Kommen denn die Toten wieder zurück?" fragte Ferondo.

"O ja, wenn Gott will", versetzte der Mönch.

"Wenn ich jemals wiederkehren" sprach Ferondo, "so will ich gewiß der beste

Ehemann von der Welt werden, will meine Frau nie wieder schlagen und ihr nie ein

Wort im Bösen sagen, außer wegen des Weins, den sie heute morgen geschickt hat,

und daß sie mir auch nicht einmal ein Licht schickt und läßt mich so im Finstern

essen.

"Sie hat Lichte geschickt," sprach der Mönch, "allein sie sind heute früh bei

der Messe verbrannt. "Ei ja, es wird wohl wahr sein", antwortete Ferondo. "Wenn

ich also wieder zu ihr komme, will ich sie auch tun lassen, was sie will. Aber

sage mir, wer bist denn du, der du mit mir so übel umgehst?"

"Ich bin auch tot", sprach der Mönch. "Ich bin aus Sardinien, und weil ich

meines Herrn Eifersucht noch gepriesen habe, bin ich zu der Buße verurteilt, daß

ich dich füttern und dich geißeln muß, bis über uns beide anderes verhängt

wird."

"Sind wir beide denn ganz allein hier?" fragte Ferondo. "Nein," sprach der

Mönch, "hier gibt's viele Tausende, aber du kannst sie so wenig sehen und hören

als sie dich."

"So sage mir doch," sprach Ferondo, "wie weit sind wir denn hier von meinem

Dorfe?"

"Noch viele Meilen weiter als die Kackelackei", sprach der Mönch.

"Das mag wohl wahrhaftig weit genug sein," sprach Ferondo, "und ich glaube gar,

wenn's so weit ist, so sind wir schon aus der Welt heraus."

Mit solchen und anderen dergleichen Reden, mit Essen und Trinken und mit

Geißelhieben ward Ferondo fast zehn Monate hingehalten, indes der Abt sich die

Zeit desto angenehmer mit seiner schönen Frau vertrieb und sie häufig mit vielem

Glück besuchte. Wie denn aber der Krug so lange zu Wasser geht, bis er voll

wird, so befand sich endlich das Weibchen in solchen Umständen, was sie alsbald

bemerkte, daß sie und der Abt meinten, es wäre nun hohe Zeit, Ferondo aus seinem

Fegefeuer auferstehen zu lassen, damit er zu seiner Frau käme und sie ihm

begreiflich machte, wenn sie wieder bei ihm gelegen hätte, daß er es wäre, der

sie in diese Schwangerschaft versetzt hätte. Der Abt ließ ihm demnach in der

folgenden Nacht in seinem Gefängnis durch eine verstellte Stimme zurufen:

"Ferondo, sei getrost, es ist des Himmels Wille, daß du in die Welt

zurückkehrst, wo dir deine Frau nach deiner Ankunft ein Kind gebären wird, dem

du den Namen Benedikt geben sollst, weil dir diese Gnade durch das Gebot des

heiligen Benedikts und seines frommen Abtes und deiner Frau widerfährt."

"Das freut mich von Herzen", sprach Ferondo. "Gott gebe dem lieben Gott einen

guten Tag dafür und auch dem Abte und dem heiligen Benedikt und meinem wie Honig

süßen, wie Lebkuchen schmackhaften, wie Käse duftenden Weibchen."

Hierauf ließ ihm der Abt wieder so viel von dem Pulver in seinen Wein mischen,

daß es ihn ungefähr vier Stunden einschläferte. Unterdessen ließ er ihm seine

eigenen Kleider wieder anziehen, und er und der Bologneser Mönch trugen ihn

heimlich in die Gruft zurück, worin man ihn beigesetzt hatte. Gegen Tagesanbruch

kam Ferondo zu sich selbst und ward durch ein Loch in dem Deckel ein wenig Licht

gewahr, welches er zehn Monate lang nicht gesehen hatte. Weil er daraus schloß,

daß er wieder lebendig geworden wäre, so fing er an aus vollem Halse zu

schreien: "Macht auf, macht mir auf!" Zugleich arbeitete er gegen den Deckel,

den er auch, weil er nicht schwer war, bald aufhob und anfing wegzuschieben. Die

Mönche, die eben die Frühmette gesungen hatten, liefen hinzu und erkannten

Ferondo, der schon aus seinem Grabe hervorkroch, an der Stimme. Erschrecken über

den unerhörten Vorfall, liefen sie davon und sagten es ihrem Abte. Dieser

stellte sich, als ob er eben von seinem Gebete aufstünde, und sprach: "Fürchtet

euch nicht, meine Söhne, nehmt das heilige Kreuz und das Weihwasser und folget

mir nach; wir wollen sehen, was Gottes Allmacht uns zeigen will."

Ferondo, der in so langer Zeit das Tageslicht nicht gesehen hatte, kam blaß und

bleich aus seinem Grabe, warf sich dem Abte, sobald er ihn gewahr ward, zu Füßen

und sagte: "Mein Vater, Euer Gebet, wie mir ist offenbart worden, und die

Fürbitte des heiligen Benedikts und meiner Frau haben mich aus der Qual des

Fegefeuers erlöst und mich wieder lebendig gemacht; drum wünsche ich, daß der

liebe Gott Euch allewege ein gutes Jahr und guten Tag geben wolle."

"Gelobt sei die Allmacht des Herrn!" sprach der Abt. "So gehe denn hin, mein

Sohn, da dich der Himmel wieder hergesandt hat, und erfreue deine Frau, die sich

seit deinem Hinscheiden beständig in Tränen gebadet hat, und betrage dich

künftig immer wie ein Freund und Knecht Gottes."

"Das hat man mir auch gesagt, Hochwürdiger Herr", sprach Ferondo. "Laß mich nur

machen, ich will sie schon herzen, wenn ich sie wiedersehe, denn ich habe sie

lieb."

Der Abt stellte sich gegen seine Mönche höchst verwundert über diese Begebenheit

und ließ ein andächtiges Miserere singen. Ferondo wanderte nach seinem Dorfe, wo

ein jeder, der ihn sah, ihm aus dem Wege ging wie einem gespenstischen Wesen,

vor welchem man sich fürchtet. Er gab sich aber Mühe, die Leute zurückzurufen

und ihnen zu sagen, daß er wieder auferstanden wäre. Selbst seine Frau war ein

wenig bange vor ihm. Wie aber die Leute sich nach und nach seinetwegen

beruhigten und sahen, daß er wirklich lebte, und anfingen, ihn allerlei zu

fragen, gab er ihnen solche Antworten, als wenn er klüger wiedergekommen wäre.

Er erzählte ihnen viel Neues von den Seelen ihrer Verwandten und schwatzte ihnen

von sich und von dem Zustande im Fegefeuer die schönsten Märchen von der Welt

vor. Auch erzählte er ihnen in voller Versammlung die Offenbarung, die ihm durch

den Mund des Erzbengels Lafferel war gegeben worden. Wie er nun wieder von

seinem Weibchen und von seinem Hause Besitz nahm, ward sie seiner Meinung nach

von ihm schwanger, und es geschah, daß sie ihm zur gehörigen Zeit einen Knaben

gebar - das heißt was die Toren gehörige Zeit heißen, die glauben, daß die

Frauen gerade neun Monate die Kinder unterm Herzen tragen. Der Knabe wurde

Benedetto Ferondi getauft. Ferondos Wiederkunft und seine Reden, die jedermann

überzeugten, daß er vom Tode auferstanden wäre, vermehrten ungemein den Ruf der

Frömmigkeit des Abtes. Da er für seine Eifersucht tüchtige Geißelhiebe bekommen

hatte, so nahm er sich sehr vor einem Rückfall in acht und ward von seinem

Fehler geheilt, wie der Abt seiner Frau versprochen hatte. Deswegen lebte sein

 

Weibchen auch nachher mit ihm so züchtig und ehrbar wie zuvor; doch vergönnte

sie, wenn es mit Schicklichkeit geschehen konnte, dem Abte, dem sie so vieles zu

danken hatte, bisweilen eine angenehme Unterhaltung.

 

 

 




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