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Giovanni Boccaccio
Decameron

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    • 7. Novelle
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7. Novelle

 

Alibek wird Einsiedlerin. Der Klausner Rustico lehrt sie, den Teufel in die

Hölle zu schicken. Als sie zurückkehrt, wird sie die Frau des Neerbal.

In der Stadt Capsa in der Berberei lebte einmal ein steinreicher Mann, der

 

verschiedene Kinder hatte und unter andern eine sehr schöne, anmutigeTochter,

namensAlibek. Diese, die keine Christin war, hörte oft von den Christen, die in

ihrer Stadt wohnten, den christlichen Glauben und den Gottesdienst der Christen

so sehr rühmen, daß sie einst einen von ihnen fragte, wie man denn am besten und

ungestörtesten Gott dienen könnte. Man sagte ihr, diejenigen dienten Gott am

besten, die den Lockungen dieser Welt am weitesten entfliehen, zum Beispiel die

Einsiedler, die sich in die thebaische Wüste zurückgezogen hätten. Alibek, ein

unschuldiges vierzehnjähriges Mädchen, nicht von einem vernünftigen Antrieb,

sondern von einer gewissen kindischen Lust getrieben, machte sich sogleich am

folgenden Tage heimlich, ohne einem Menschen ein Wort zu sagen, auf den Weg nach

der thebaischen Wüste, wo sie auch, nachdem sie in ihrem ersten Eifer alle

Beschwerden mutig überstanden hatte, glücklich ankam. Hier ward sie in der Ferne

eine kleine Hütte gewahr und näherte sich ihr. Ein frommer Klausner stand an der

Pforte, der sich verwundene, sie zu sehen, und fragte, was sie suche.

Sie antwortete: sie fühle sich von Gott berufen und wünsche sich seinem Dienste

zu weihen und jemand zu finden, der sie darin unterrichte.

Der ehrwürdige Einsiedler, der das Mädchen so jung und hübsch fand, fürchtete,

der Teufel möchte ihm einen Streich spielen, wenn er sie bei sich behielte. Er

lobte ihr frommes Vorhaben, bewirtete sie mit Wurzeln, wilden Baumfrüchten,

Datteln und mit einem Trunk Wasser und sagte: "Meine Tochter, nicht weit von

hier wohnt ein heiliger Mann, welcher in demjenigen, was du suchst, ein weit

größerer Meister ist, als ich es bin. Zu ihm rate ich dir zu gehen."

Er zeigte ihr auch den Weg zur nächsten Klause. Hier erhielt sie denselben

Bescheid, und auf diese Weise ward sie von einem zum andern weiter gesandt, bis

sie endlich zu der Zelle eines frommen, andächtigen, aber jungen Einsiedlers

namens Rustico kam, dem sie ebenso wie den anderen ihr Anliegen vortrug.

Rustico glaubte eine Gelegenheit gefunden zu haben, seine Selbstverleugnung auf

eine große Probe zu stellen. Er schickte also nicht, wie die anderen getan

hatten, das schöne Mädchen weiter, sondern behielt sie bei sich in seiner Zelle.

Als der Abend herankam, bereitete er ihr in einem Winkel ein Lager von

Palmblättern. Kaum war dies geschehen und sie hatten sich niedergelegt, so fing

der Geist der Versuchung an, seiner Standhaftigkeit eine Schlacht anzubieten. Da

er ihn lange Zeit in Ruhe gelassen hatte, so ließ sich Rustico jetzt bei einem

so plötzlichen Überfall von ihm desto leichter überwinden; er vergaß alle seine

frommen Gedanken, Gebete und Bußübungen und beschäftigte seine Einbildung nur

mit der Jugend und Schönheit des Mädchens und mit Anschlägen, wie er es beginnen

wollte, seinen Zweck bei ihr zu erreichen, ohne sich der Unkeuschheit verdächtig

zu machen. Er legte ihr demnach zuerst einige Fragen vor und überzeugte sich

bald durch ihre Antworten, daß sie in den Geheimnissen der Liebe völlig neu und

unerfahren und so unschuldig war, wie sie aussah. Daher kam er auf den Einfall,

sie unter dem Scheine eines verdienstlichen Werkes seiner Absicht willig zu

machen. Er fing also an, ihr weitläufig zu erklären, welch ein geschworener

Feind Gottes der Teufel wäre, und ihr hernach zu bedeuten, daß man dem lieben

Gott keinen größeren Dienst leisten könne als wenn man den Teufel in die Hölle

schicke, die er ihm zum Verdammungsort bestimmt hätte. "Wie geschieht denn das?"

fragte das Mädchen.

"Das sollst du bald erfahren", sprach Rustico. "Tu nur, was du mich tun siehst."

 

Er warf die wenigen Kleidungsstücke, die er trug, ab und warf sich völlig nackt

auf die Knie, als wolle er beten. Das Mädchen ahmte ihm in allem nach. Er

befahl, daß sie ihm gegenüber knie. Als er sie so verlockend schön sah, ward

seine Begierde immer brünstiger, und schließlich zeigte sich die Auferstehung

des Fleisches, welches Alibek gewahr ward und fragte: "Was ist das, Rustico, was

Ihr da vorne habt und ich nicht?"

"Ach, meine Tochter," sprach Rustico, "das ist eben der Teufel, von dem ich dir

gesagt habe, und wie du siehst, so beunruhigt er mich so sehr, daß ich es fast

nicht aushalten kann."

"Nun, gottlob", sprach Alibek. "Mir geht es besser als dir., denn ich habe

keinen solchen Teufel wie du."

"Da ist wahr", sprach Rustico. "Dafür hast du aber etwas, das ich nicht habe,

und das ist ebenso schlimm."

"Was wäre denn das?" fragte Alibek.

"Du hast die Hölle," sprach Rustico, "und ich glaube, Gott hat dich zum Heile

meiner Seele zu mir gesandt. Wenn du so viel Barmherzigkeit mit mir hättest, daß

du .wir vergönntest, den Teufel jedesmal, wenn er mir arg zusetzt, in die Hölle

zu schicken, so könntest du mir eine Wohltat und dem Himmel einen großen Dienst

tun, wenn das wirklich die Absicht ist, in der du hergekommen bist wie du mir

sagtest."

Das Mädchen antwortete ihm treuherzig: "Ehrwürdiger Vater, wenn ich die Hölle

habe, so mögt Ihr den Teufel nur hineinschicken, sobald Ihr wollt."

"Gott segne dich, meine Tochter!" sprach Rustico. "Laß uns nicht säumen, den

Teufel in die Hölle zu schicken, daß er mich hernach in Ruhe läßt."

Damit führte er sie zu einem ihrer Palmblätterbetten und lehrte sie, diesen

hartnäckigen Feind Gottes einzukerkern. Und da sie den Teufel sonst noch nie

gekannt hatte, konnte sie sich nicht enthalten zu sagen: "Vater, der Teufel ist

doch wohl ein rechter Bösewicht und Gottesfeind, daß er sogar der Hölle weh tut,

von anderem zu schweigen, wenn er hineinkommt."

"Das tut er aber nicht immer", sprach Rustico, und um es dahinzubringen,

schickten sie, bevor sie vom Bett aufstanden, ihn noch sechsmal in die Hölle, so

daß der Hochmütige am Ende den Kamm sinken ließ und Ruhe gab. Er erhob sich

allerdings hochmütig in der Folgezeit des öfteren wieder, und stets war Alibek

willig, ihm den Hochmut auszutreiben. Nach und nach fand sie an dem Spiel

Gefallen und sagte öfter zu Rustico: "Die guten Christen in Capsa hatten doch

wohl recht, als sie sagten, Gott zu dienen sei süß. Ich kann mich nicht

entsinnen, je etwas getan zu heben, was mir so viel Freude und Vergnügen

bereitete, als den Teufel in die Hölle zu schicken. Jeder, der sich nicht nach

Kräften bemüht, Gott zu dienen, ist weiß Gott ein Esel" Sie kam also oft zu

Rustico und drängte ihn: "Ehrwürdiger Vater, ich bin hierher gekommen, Gott zu

dienen, nicht aber müßig zu gehen. Kommt, wir wollen den Teufel in die Hölle

schicken." Bei dieser Beschäftigung meinte sie zuweilen: "Rustico, ich begreife

nicht, warum der Teufel aus der Hölle wieder herausgeht. Wäre er so gern darin,

als die Hölle ihn gern einläßt und festhält, er ginge nie wieder heraus. Sie

ermunterte auf diese Weise den jungen Rustico, und lud ihn zum Dienste Gottes

ein. Schließlich hatte sie ihm die Wolle derart von der Jacke gezupft, daß er

fror, wo ein anderer geschwitzt hätte. Deshalb ermahnte er denn das Mädchen, man

dürfe den Teufel nur dann geißeln und in die Hölle schicken, wenn er voll

Hochmut sein Haupt erhöbe. Durch Gottes Gnade hätten sie ihm seine Hoffart

genommen, und er wäre nun so zerknirscht, daß er Gott bitte, in Frieden gelassen

zu werden. Das verstummte eine Weile. Als sie aber sah, daß Rustico keine

Anstalten machte, den Teufel wieder in die Hölle zu schicken, sagte sie eines

Tages zu ihm: "Rustico, dein Teufel mag gezüchtigt sein und dir nichts mehr zu

schaffen machen. Jetzt läßt mir meine Hölle aber keine Ruh. Du wirst ein gutes

Werk verrichten, wenn du mit deinem Teufel mir die Glut meiner Hölle löschen

willst, so wie ich dir mit meiner Hölle geholfen habe, den Stolz deines Teufels

zu demütigen." Rustico, der von Kräuterwurzeln und Wasser lebte, konnte dieser

Aufforderung nicht mehr Folge leisten. Er sagte, daß viele Teufel dazu gehörten,

die Hölle zu beschwichtigen. Doch wolle er tun, was er irgend könne, und

befriedigte sie noch dann und wann, aber so selten, daß es nicht mehr besagte,

als wenn man einem Löwen eine Bohne in den Rachen wirft. Hierüber maulte das

Mädchen, das Gott zu dienen bestrebt war. Der Streit zwischen Rusticos Teufel

und Alibeks Hölle dauerte wegen übermäßigen Verlangens einerseits und allzu

geringen Vermögens andererseits noch an, als in Capsa ein Feuer ausbrach und

Alibeks Vater samt seinen Kindern und sonstigen Angehörigen in den Flammen

seines brennenden Hauses umkam und Alibek die Erbin des ganzen Gutes wurde.

Wie ein gewisser junger Mann namens Neerbal, der das seinige vertan hatte,

hörte, daß sie noch am Leben sei, machte er sich auf, sie zu suchen, und war

eben zu rechter Zeit glücklich genug, sie zu finden, ehe der Hof die Erbschaft

wegen Mangel rechtmäßiger Erben an sich nahm. Er führte sie wider ihren Willen

zur hellen Freude Rusticos nach Capsa, heiratete sie und ward Besitzer ihres

Vermögens. Ehe er bei ihr lag, ward sie von den anderen Frauen gefragt, womit

sie Gott in der Wüste gedient hätte. Sie antwortete, sie hätte den Teufel in die

Hölle geschickt, und Neerbal hätte nicht wohl getan, sie von diesem Dienste

abwendig zu machen. Als die Frauen darauf fragten, wie man den Teufel in die

Hölle schicke, und sie es ihnen erklärte, halb mit Worten, halb mit Zeichen,

mußten sie herzlich lachen und lachen wohl noch heute, und versicherten ihr:

"Liebes Kind, sorge dich nicht, das kann man hier auch. Neerbal wird schon

fleißig auf die gleiche Weise mit dir dem lieben Gott dienen." - Eine erzählte

es der andern in der Stadt, und es wurde zum Sprichwort: Der lustigste

Gottesdienst sei, den Teufel in die Hölle zu schicken. Dieses Sprichwort ist

übers Meer gekommen und noch heute im Schwange. Darum, ihr hübschen Mädchen, die

ihr der Gnade Gottes bedürftig seid, lernt den Teufel in die Hölle schicken,

denn das heißt Gott wohlgetan; die Beteiligten haben lebhaftes Vergnügen davon,

und viel Gutes kann daraus erwachsen und auf die Welt kommen.

 

 

 




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