8. Novelle
Bruder Alberto macht einer Frau weis, daß der Engel
Gabriel in sie verliebt sei,
und stattet unter diesem Vorwande einige Male einen
nächtlichen Besuch bei ihr
ab. Endlich muß er aus Furcht vor ihren Verwandten durch
das Fenster entspringen
und nimmt seine Zuflucht zu dem Hause eines armen Mannes.
Dieser führt ihn am
folgenden Tage unter der Maske eines Wilden nach dem
Markusplatz; dort erkennt
man ihn, und er wird von seinen Mitbrüdern weggeführt und
eingekerkert.
Es lebte einmal in Imola ein äußerst verworfener und
lasterhafter Mensch, namens
Berto della Massa. Sein schändlicher Lebenswandel war bei
allen seinen
Mitbürgern so berüchtigt, daß ihm nicht nur kein Mensch
in Imola eine Lüge,
sondern auch die Wahrheit selbst nicht mehr glaubte. Weil
er nun fand, daß er
dort mit seinen Bubenstücken nicht mehr durchkommen
konnte, ging er aus
Verzweiflung nach Venedig, ,wo man allen und jeden
Auswurf aufnimmt, und plante,
daselbst auf eine andere Art sein gottloses Wesen zu
treiben und etwas Neues
anzufangen, das er an anderen Orten noch nicht versucht
hatte. Er stellte sich
also, als wenn er sich zum gottseligsten Menschen von der
Welt umzubilden
bestrebte; verfluchte seine früheren Streiche, gebärdete
sich unsäglich de- und
reumütig. Er ging hin und ward Mönch bei den Minoriten,
wo er sich Bruder
Alberto von Imola nennen ließ. Er führte auch anfänglich
in der neuen Tracht zum
Schein ein sehr strenges Leben; sprach von nichts als von
Fasten und Kasteien,
aß kein Fleisch und trank keinen Wein, wenn er ihn nicht
recht wohlschmeckend
fand. Man hatte noch nie einen Menschen gesehen, der so
bald aus einem Diebe,
Kuppler, Betrüger und Mörder auf einmal ein gewaltiger
Prediger geworden wäre,
ohne deswegen seinen vorigen Lastern zu entsagen, wenn er
sie nur heimlich genug
ausüben konnte. Wenn er als Priester, zu dem er geweiht
worden war, am Altar ein
Hochamt hielt und von vielen Leuten gesehen ward, so
weinte er über das Leiden
Christi wie ein Kind, weil ihm die Tränen nichts
kosteten, wenn er sie brauchte.
Kurz, er wußte mit seinen Predigten und Tränen die
Venezianer dergestalt zu
betören, daß ihm fast von allen Testamenten die
Ausführung anvertraut ward, daß
ihn manche ehrliche Leute über ihre Beutel und Kisten
schalten ließen, und daß
ihn die meisten Männer und Weiber zu ihrem Beichtvater
und Ratgeber erwählten.
So warf sich dieser Wolf zum Hirten auf und stand fast in
größerem Geruch der
Heiligkeit als je der heilige Franz von Assisi.
Da begab es sich, daß ein junges, einfältiges, albernes
Weibchen namens Madonna
Lisetta da Caquirino, die Frau eines angesehenen
Kaufmanns, der zu Schiff nach
Flandern verreist war, mit einigen anderen Frauen zu
diesem heiligen Mann kam,
um ihm zu beichten. Wie sie nun vor ihm hinkniete und als
echte venezianische
Plaudertasche ihm einen Teil ihrer Heimlichkeiten
entdeckt hatte, fragte sie
Bruder Alberto, ob sie auch einen Liebhaber hätte.
"Was, Herr Pater?" gab sie ihm erzürnt zur
Antwort.
Habt ihr denn keine Augen im Kopfe? Scheinen Euch meine
Reize von der Sorte wie
die Reize anderer Frauenzimmer? Es sollte mir wohl an
Liebhabern nicht mangeln,
wenn ich nur wollte; aber meine Schönheit ist für den
ersten besten Liebhaber zu
gut. Wie viele habt Ihr wohl schon gesehen, die so hübsch
wären wie ich? Im
Paradiese selbst würde man mich für schön müssen gelten
lassen." So fuhr sie
fort, noch eine Menge Albernheiten über ihre Schönheit
bis zum Überdruß
auszukramen, so daß Bruder Alberto bald gewahr ward, daß
sie nicht allzuviel
Verstand übrig hatte; weil sie ihm jedoch im übrigen wohl
behagte, so verliebte
er sich in sie, doch verschob er es bis zu bequemerer
Zeit, ihr Artigkeiten zu
sagen, und um für diesmal den Schein der Heiligkeit
beizubehalten, fing er an,
sie zu ermahnen sie wegen ihrer Eitelkeit zu strafen und
was dergleichen
Redensarten mehr waren.
Sie gab ihm aber zur Antwort, er wäre nicht gescheit und
wüßte keinen
Unterschied zwischen gewöhnlicher und übernatürlicher
Schönheit zu machen.
Bruder Alberto wollte sie nicht zu böse machen; er
erteilte ihr also die
Absolution und entließ sie mit ihren Freundinnen. Einige
Tage nachher ging er
mit einem vertrauten Freunde nach ihrem Hause, wo er mit
ihr in ein besonderes
Zimmer ging, und als niemand ihn beobachten konnte, fiel
er ihr zu Füßen und
sagte: "Madonna, ich bitte Euch um Gottes willen,
verzeiht mir, was ich Euch am
verwichenen Sonntage wegen Eurer Schönheit sagte; man hat
mich in der Nacht
darauf so unbarmherzig dafür gezüchtigt, daß ich erst
heute habe von meinem
Lager wieder aufstehen können."
"Ei, wer hat Euch denn so gezüchtigt?` fragte die
dumme Gans.
"Das will ich Euch sagen", sprach Bruder
Alberto. "Als ich meiner Gewohnheit
nach mein Gebet mitten in der Nacht verrichtete, sah ich
mich plötzlich von
einem großen Lichte umgeben, und ehe ich mich umkehren
konnte, zu sehen, was es
wäre, fiel ein wunderschöner Jüngling mit einem derben
Knüttel über mich her,
zog mich bei meiner Kutte unter sich und drosch mir fast
alle Knochen im Leibe
entzwei. Ich fragte ihn hernach, warum er das getan
hätte. "Weil du dich heute
unterstanden hast," sprach er, "die himmlische
Schönheit der Madonna Lisetta
herabzuwürdigen, die ich nächst unserm Herrgott am
meisten liebe." "Aber wer
bist denn du?" fragte ich ihn. Er gab mir zur
Antwort, er wäre der Engel
Gabriel. "Ach mein Herr," sprach ich,
"dann bitt' ich um Verzeihung." "Gut,"
sprach er, "ich will dir verzeihen; doch mit der
Bedingung, daß du hingehst,
sobald du nur kannst, und sie um Verzeihung bittest, und
wenn sie dir nicht
vergibt, so komm' ich wieder und gebe dir noch so viel
dazu, daß du dein Leben
lang an mich denken sollst." Was er mir noch weiter
sagte, das mag ich Euch eher
nicht erzählen, bis Ihr mir verziehen habt." Frau
Windbeutel die mehr Grütze als
Hirn im Kopfe hatte, freute sich mächtig über diese
Nachricht und hielt jedes
Wort für pure Wahrheit: "Ich hab' es Euch wohl
gesagt, Bruder Alberto," sprach
sie, "daß meine Reize himmlisch wären; aber bei
Gott! Es ist mir doch leid um
Euch, und damit Euch in Zukunft nicht mehr Leid geschehe,
so will ich Euch
herzlich gern verzeihen, wenn Ihr mir sagt, was der Engel
noch weiter mit Euch
gesprochen hat."
"Madonna," sprach Bruder Alberto, "da Ihr
mir verziehen habt, so will ich es
Euch gern sagen; aber hütet Euch um Gottes willen, daß
Ihr mit keinem Menschen
in der Welt davon redet, sonst verderbt Ihr Euch selbst
den ganzen Handel. Wißt
demnach, Ihr seid das glücklichste Weib auf Erden; denn
der Engel Gabriel läßt
Euch durch mich sagen, er liebe Euch so sehr, daß er
schon manchmal gern eine
Nacht bei Euch würde zugebracht haben, wenn er nicht
gefürchtet hätte, daß Ihr
Euch vor ihm entsetzen würdet. Jetzt hat er mir
aufgetragen, Euch zu melden, daß
er Euch einmal des Nachts besuchen und ein wenig bei Euch
verweilen will. Weil
er aber ein Engel ist und Ihr mit ihm in seiner Engelsgestalt
nicht in Berührung
kommen könntet, so will er Euch zuliebe eine menschliche
Gestalt annehmen, und
wenn Ihr ihn nur wollt wissen lassen wann es Euch
gefällt, daß er kommen soll,
und in wessen Gestalt, so will er gleich zu Euch kommen;
Ihr könnt Euch
deswegen, mehr als irgendein Weib auf Erden, selig
preisen."
Frau Gimpel antwortete, sie freue sich sehr, daß der
Engel Gabriel ihr so
zugetan wäre, denn auch sie wäre ihm von Herzen gut, und
seitdem sie zuerst sein
Bild gemalt gesehen, hätte sie nie versäumt, ihm ein
Dreierlicht zu opfern; wenn
er kommen wolle, so solle er ihr zu jeder Stunde
willkommen sein und sie in
ihrer Kammer finden; er dürfe sie aber auch nicht der
Jungfrau Maria zuliebe
wieder verlassen; denn sie hätte schon längst gehört, daß
er dieser gut wäre,
und das schiene wohl auch wahr zu sein, denn
allenthalben, wo sie ihn nur sähe,
läge er vor ihr auf den Knien; übrigens stände es bei
ihm, zu kommen, in welcher
Gestalt er wollte, wenn er sie nur nicht erschrecke.
"Madonna," sagte Alberto, "Ihr habt
klüglich gesprochen, und ich werde ihm alles
richtig bestellen, was Ihr mir sagt. Ihr könnt mir aber
auch wieder eine große
Gnade erweisen, die Euch nichts kostet, wenn Ihr ihn
nämlich in dieser meiner
Gestalt bei Euch erscheinen laßt. Ich will Euch auch
sagen, weshalb Ihr mir
dadurch eine Gnade erzeigt. Er wird nämlich meine Seele
aus meinem Leibe gehen
lassen und sie ins Paradies schicken, indem er in meinen
Leib fährt, und solange
er bei Euch bleibt, solange wird meine Seele im Paradiese
weilen."
"Ich bin es zufrieden," sprach Frau Einfalt,
"daß ihr dieses Vergnügen genießt
für die Prügel, die er Euch um meinetwillen gegeben
hat."
"So laßt nur", sprach Alberto, "diesen
Abend Eure Haustür offen, damit er
hineinkommen kann; denn da er einer menschlichen Leib
annimmt, so kann er nicht
anders, als durch die Tür hereinkommen."
Sie versprach es; Bruder Alberto ging fort, und sie
sprang so außer sich vor
Freude umher, daß das Hemd ihr hoch über dem Hintern
wehte, und es sie tausend
Jahre dünkte, bis der Engel Gabriel zu ihr käme.
Bruder Alberto, der glaubte, es sei nicht überflüssig,
wenn sich der Engel
Gabriel zugleich als ein mannhafter Ritter zeige, hielt
es deswegen für gut,
sich mit Konfekt und andern stärkenden Mitteln
auszurüsten, um sich nicht aus
dem Sattel heben zu lassen. Er forderte deswegen nebst
einem treuen Gefährten
Urlaub und ging mit ihm gegen Abend zu einer guten
Freundin, von der aus er
schon öfter zum Wettrennen gestartet war, wenn es nach Stuten
laufen hieß. Wie
er nun glaubte, daß es Zeit wäre, zog er mit allem
möglichen Firlefanz sich als
Engel an, begab sich nach dem Hause der Dame und ging als
leibhaftiger Engel
hinauf in ihre Kammer.
Als sie die weiße Gestalt hereintreten sah, kniete sie
nieder; der Engel gab ihr
seinen Segen, erhob sie von der Erde und winkte ihr, sich
zu Bette zu begeben.
Sie gehorchte ihm willig; der Engel folgte nach und legte
sich neben sie, und da
Bruder Alberto ein wohlgewachsener und ein noch rüstiger
Kerl mit festen breiten
Schenkeln war, so lag seine schöne Anbeterin, deren
Fleisch fest und deren Haut
weich war, besser bei ihm als bei ihrem Gatten gebettet
und er lehrte sie mehr
als einmal ohne Flügel fliegen, und erzählte dazwischen
so vieles von den
Freuden des Paradieses, daß er sie ganz vergnügt machte.
Wie es bald tagen
wollte, nahm er seine Sachen wieder zusammen, versprach
wiederzukommen und
kehrte wieder zu seinem Gefährten zurück, dem indessen
(damit ihm nicht bange
würde, wenn er allein schliefe) seine Wirtin Gesellschaft
geleistet hatte.
Nach dem Mittagessen ging Frau Lisetta mit einigen
Freundinnen zum Bruder
Alberto und erzählte ihm von dem Engel Gabriel, was er
ihr von den himmlischen
Freuden berichtet hatte, wie er gestaltet wäre und noch
hundert andere Märchen
dazu.
"Madonna," antwortete ihr Bruder Alberto,
"ich kann nicht wissen, wie Ihr Euch
bei ihm befunden habt; aber von mir kann ich Euch sagen,
daß er diese Nacht zu
mir kam, und als ich Euren Auftrag an ihn ausgerichtet hatte,
trug er den
Augenblick meine Seele an einen Ort, wo so viele Rosen
und andere Blumen waren,
wie ich in meinem Leben nicht gesehen habe, und bis zur
Mette befand ich mich an
dem reizendsten Orte von der Welt. Was unterdessen aus
meinem Leibe geworden
ist, davon ist mir nichts bekannt."
"Hört Ihr denn nicht," sprach Frau Lisetta,
"daß ich ihn samt dem Engel die
ganze Nacht in meinen Armen gehabt habe? Wenn Ihr's nicht
glaubt so seht nur
unter Eurer linken Brustwarze nach, wohin ich ihn so fest
geküßt habe, daß das
Mal noch ein paar Tage zu sehen sein wird."
"Sehr wohl," sprach Alberto, "ich will
einmal heute etwas tun, was ich seit
langer Zeit nicht getan habe, ich will mich ausdrücklich
deswegen ausziehen, um
zu sehen, ob Ihr die Wahrheit sagt."
Nach mancherlei dergleichen Geschwätz ging das Weib
wieder nach Hause, und
Bruder Alberto stattete ihr in der Gestalt des Engels
noch öfter ungehindert
seinen Besuch ab.
Eines Tages kam Frau Lisetta einmal zu einer Gevatterin,
und wie die Rede von
der Schönheit war und Frau Lisetta die ihrige über alle
anderen erheben wollte,
sagte sie in ihrer Einfalt: "Wenn Ihr wüßtet, wer an
meinen Reizen Gefallen
findet, so würdet Ihr wahrlich von allen anderen
schweigen."
Die Gevatterin, die ihre Freundin wohl kannte und sie
gern ausforschen wollte,
antwortete: "Freundin, Ihr mögt wohl wahr sprechen;
aber mancher würde dies denn
nicht so leicht zugeben, wenn man nicht weiß, wen Ihr
damit meint."
Das blöde Ding ließ sich nicht lange fragen, sondern
sagte: "Hört, Gevatterin,
es soll es zwar niemand wissen, aber Euch will ich es
gestehen: der Engel
Gabriel ist mein Liebhaber. Er liebt mich mehr als sich
selbst und hält mich,
wie er sagt, für das schönste Weib über Land und
Meer."
Die Gevatterin wollte fast platzen vor Lachen, doch
bezwang sie sich, um sie
noch mehr schwatzen zu hören. "Bei Gott, Frau
Lisetta!" sprach sie. "Wenn der
Engel Gabriel Euer Liebhaber ist und Euch so etwas sagt,
dann muß es wohl wahr
sein; aber ich hätte nie gedacht, daß die Engel sich mit
solchen Dingen
befaßten."
"Da irrt Ihr Euch, Gevatterin", sprach Lisetta.
"Bei den Wunden Jesu! Er
versteht's besser als mein Mann und er sagt mir, daß
sie's dort oben auch tun;
weil ich ihm aber besser gefalle als irgendeine im
Himmel, so hat er sich in
mich verliebt und kommt recht oft zu mir; versteht Ihr
mich?"
Wie die Gevatterin von Frau Lisetta Abschied nahm, konnte
sie die Zeit kaum
erwarten, bis sie jemand fand, dem sie alles wiedersagen
konnte; und am nächsten
Feiertage erzählte sie es laut in einer Gesellschaft von
Weibern. Diese sagten
es wieder ihren Männern und anderen Frauen, so daß in
weniger als zwei Tagen die
Geschichte in ganz Venedig herum war. Unter denen,
welchen sie zu Ohren kam,
waren auch Lisettas Schwäger, die sich in der Stille
vornahmen, den Engel
kennenzulernen und zu versuchen, ob er auch fliegen
könne, weswegen sie ihm
einige Abende nacheinander aufpaßten. Zufälligerweise
hatte auch Bruder Alberto
etwas von dem Gerücht vernommen und begab sich eines
Abends zu Lisetta, um sie
deswegen zur Rede zu stellen. Kaum hatte er Flügel und
Kleider abgelegt, so
waren auch ihre Schwäger, die ihn hatten kommen sehen, an
der Kammertür und im
Begriffe, sie aufzusprengen. Bruder Alberto, der das
Geräusch hörte und ahnte,
was es zu bedeuten hätte, Öffnete ein Fenster, welches
nach dem großen Kanal
hinausging und sprang hinab in das Meer. Da er Tiefe
genug hatte und ein guter
Schwimmer war, so kam er ohne Schaden hinüber nach der
anderen Seite, wo er eine
Haustür offen fand, in welche er sich flüchtete, und
einen ehrlichen Mann, der
ihm entgegen kam, um Gottes willen bat, ihm das Leben zu
retten, indem er ihm
eine Fabel erzählte, warum er nackt und zu solcher Stunde
sich dort befände. Der
gute Mensch erbarmte sich über ihn, und da er schon früh
etwas zu tun hatte, so
räumte er ihm sein Bett ein und hieß ihn, darin liegen zu
bleiben, bis er
wiederkäme. Dann schloß er ihn ein und ging das seinige
besorgen. Unterdessen
waren Lisettas Schwäger in ihre Kammer gekommen und
fanden, daß der Engel
Gabriel davongeflogen war, aber die Flügel im Stiche
gelassen hatte, worüber sie
sich ärgerten, und das Weibchen, nachdem sie ihr die
bittersten Vorwürfe gemacht
hatten, ganz trostlos verließen und das Rüstzeug des
Erzengels mit sich nach
Hause nahmen. Es war inzwischen Tag geworden, und als der
gute Mann, der den
Bruder Alberto bei sich beherbergt hatte, auf Rialto
vernahm, daß der Engel
Gabriel in der vergangenen Nacht bei Frau Lisetta zu
Besuch gewesen und wie er
in Gefahr geraten wäre, von ihren Schwägern ertappt zu
werden, vor Furcht in den
Kanal gesprungen sei und sich noch nicht wiedergefunden
habe, so kam er auf den
Gedanken, daß er ihn vermutlich bei sich in seinem Hause
beherberge. Er kehrte
also zurück, entlockte seinem Gast ein Geständnis und
brachte es nach einigem
Wortwechsel dahin, daß er ihm fünfzig Dukaten geben
mußte, damit er ihn nicht
den Schwägern ausliefere. Als Bruder Alberto auf Mittel
sann, weiter zu
entkommen, sagte sein Wirt zu ihm: "Ich weiß nur ein
einziges Mittel, und es
kommt nur darauf an, ob Ihr Euch dazu entschließen könnt.
Wir haben heute ein
Volksfest, bei welchem man Menschen als Bären, wilde
Männer usw. verkleidet,
aufzuführen und hernach auf dem Markusplatz eine Hetze zu
geben pflegt. Sobald
der Spaß vorbei ist, geht ein jeder mit dem, den er zur
Schau geführt hat, wohin
er will. Wollt Ihr, ehe man Euch hier sucht, Euch auf die
eine oder andere Art
von mir dahin führen lassen, so kann ich Euch hernach
bringen, wohin Ihr wollt,
denn die Schwäger der Dame, die Euch in dieser Gegend
vermuten, haben überall
Wächter aufgestellt, Euch einzufangen."
So schwer es dem Bruder Alberto auch ankam, in einem
solchen Aufzuge zu
erscheinen, so trieb ihn doch dies Furcht vor Lisettas
Verwandten, sich den
Handel gefallen zu lassen; er sagte also seinem Wirt,
wohin er ihn bringen
solle, und überließ ihm die Art und Weise. Dieser
beschmierte ihn erst von oben
bis unten mit Honig und beklebte ihn hernach mit
Flaumfedern, legte ihm eine
Kette um den Hals, tat ihm eine Maske vor, gab ihm eine
große Keule in die Hand
und ließ ihn an der anderen ein Paar Bullenbeißer führen,
die er von einem
Fleischer borgte. Darauf schickte er jemand nach Rialto
und ließ ausrufen: wer
den Engel Gabriel sehen wolle, der solle nach dem
Sankt-Markus-Platz kommen. So
offenbarte sich an ihm die berühmte venezianische Treue.
Nachdem dieses
geschehen war, machte er sich mit ihm auf den Weg und
ließ ihn an der Kette vor
sich hergehen. Unter einem großen Zulauf von Menschen,
die beständig riefen:
"Was ist das? Was gibt's da?" führte er ihn
nach dem Platze, wo die Menschen,
die ihm nachgefolgt waren und diejenigen, die der Ausruf
auf Rialto herangelockt
hatte, eine ungeheure Menge ausmachten. Hier band er
seinen wilden Mann an einem
hohen hervorragenden Ort an eine Säule und stellte sich,
als ginge er hin, um
die Hetze mit anzusehen, indes den armen Teufel, der mit
Honig angeschmiert war,
die Fliegen und Wespen bis aufs Blut marterten. Wie nun
der Platz ganz mit
Menschen angefüllt war, ging er zu seinem wilden Mann,
als wenn er ihn wieder
losmachen wolle, zog ihm aber statt dessen die Maske vom
Gesicht und rief: "Ihr
Herren, weil heute der Eber nicht gehetzt wird und sonst
nichts zu tun ist, so
will ich euch den Engel Gabriel zeigen, der des Nachts
zur Erde heruntersteigt,
um den Weibern in Venedig ein Vergnügen zu machen."
Sobald die Maske herunter war, erkannte jeder den Bruder
Alberto, und es erhob
sich überall ein Geschrei über ihn, und ein jeder warf
ihm so viele
Schimpfwörter und abscheuliche Flüche ins Gesicht, als
jemals ein Lump hat
anhören müssen. überdies bewarf man ihn von allen Seiten
mit Kot und Unrat, und
dieses dauerte so lange, bis von ungefähr die Brüder in
seinem Kloster Nachricht
davon bekamen; worauf sechs von ihnen herbeieilten, ihm
eine Kutte umwarfen, ihn
losmachten und nicht ohne ein lärmendes Gefolge nach
ihrem Kloster schleppten,
dort wurde er eingekerkert und soll elend umgekommen
sein. So ging es diesem
Heuchler, der Tugend log und Laster trieb und dennoch
unbescholten blieb, bis er
sich unterfing, den Engel Gabriel zu spielen, worüber er
aus diesem in einen
Wilden verwandelt wurde und mit verdienter Schmach lange
Zeit für seine
Lastertaten büßen mußte. Umsonst beweinte er seine
vergangenen Verbrechen. Gott
lasse es allen seinesgleichen so ergehen.
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