11. Novelle
Cimon wird durch die Liebe vernünftig; er entführt
Iphigenia, seine Geliebte,
mit Gewalt auf dem Meere. In Rhodus gerät er in
Gefangenschaft, aus welcher
Lysimachus ihn befreite und geineinschaftlich mit ihm
Iphigenia und Kassandra an
ihrem Hochzeitstage entführt, worauf sie mit ihnen nach
Kreta fliehen, sich mit
ihren Geliebten vermählen und darauf in Frieden nach
Hause berufen werden.
Wir lesen in den alten Geschichten der Cyprier, daß einst
auf der Insel Cypern
ein adeliger Mann lebte namens Aristippus, der unter
allen seinen Landsleuten
den größten Überfluß an zeitlichen Gütern besaß. Nichts
werde seinem Glück
gefehlt haben, wenn das Schicksal ihm nicht in einer
Hinsicht ein größeres
Herzeleid als anderen Menschen beschieden hätte; er hatte
nämlich unter mehreren
Kindern einen Sohn, der zwar an Größe, Wohlgestalt und
Schönheit alle übrigen
Jünglinge übertraf, allein ein Halbidiot war, so daß alle
Hoffnung verloren
schien, etwas aus ihm zu- machen. Er hieß eigentlich
Galeso; weil aber weder die
Mühe, die seine Lehrer sich mit ihm gaben, noch die Güte
oder Strenge seines
Vaters, noch irgendein Mittel, welches andere Leute
ersonnen, imstande waren,
ihm das geringste, von den Wissenschaften oder guten
Sitten beizubringen, so
pflegte man ihn wegen seiner groben und plumpen Stimme,
Gebärden und Handlungen,
die mehr viehisch als menschlich waren, Cimon zu nennen,
ein Beiname, der bei
ihnen ebensoviel bedeutete, als wenn wir jemand ein Vieh
schelten. Sein
ungeschliffenes Benehmen machte seinem Vater vielen
Verdruß, bis er endlich alle
Hoffnung aufgab, ihn zu einem rechtlichen Menschen zu
erziehen. Um ihn nur aus
seinen Augen zu entfernen, schickte er ihn auf ein Dorf
und befahl ihm, bei den
Knechten und Bauern zu bleiben. Dieses ließ er sich auch
gern gefallen, weil ihm
selbst die bäurische Lebensart besser behagte als der
Umgang mit den Menschen in
der Stadt.
Als nun Cimon auf dem Lande lebte und sich mit Feldarbeit
beschäftigte, traf es
sich eines Tages kurz. nach Mittag, daß er mit seiner
Hacke auf der Schulter von
einem Dorf nach einem andern ging und durch ein hübsches
Gehölz kam, welches, es
war im Mai, in dem herrlichsten Laube prangte. Hier
schien sein Glücksstern
seine Schritte nach einer Wiese zu leiten, die von hohen
Bäumen umgeben und an
einer Seite von einem schönen kühlen Bache umflossen
ward. . An dessen Ufer sah
er auf dem grünen Rasen ein wunderschönes Mädchen in
einem so leichten Gewande
schlafen, daß es fast keinen ihrer blendenden Reize
verbarg; denn vom Gürtel
niederwärts hatte sie nur eine feine weiße Decke über
sich gebreitet. Zu ihren
Füßen schliefen zwei Frauen und ein Mann, wohl ihre
Bediensteten. Als Cimon das
Mädchen erblickte, stutzte er, als wenn er noch nie eine
weibliche Gestalt
gesehen hätte, stützte sich auf seine Hacke und
betrachtete sie mit stummer
Verwunderung. In seiner rauhen Brust, der tausend Lehren
und Ermahnungen nicht
einen Funken Empfindung für eine gesittete Aufführung
hatten beibringen können,
ward auf einmal ein Gefühl erweckt, welches seinem
groben, plumpen
Vorstellungsvermögen zu verstehen gab, dies sei das
schönste Wesen, welches
jemals ein Sterblicher erblickt habe. Jetzt fing er an,
auch die einzelnen Teile
dieser Schönheit zu mustern; er bewunderte ihr Haupthaar,
dem das Gold an Glanze
weichen mußte, die Stirne, die Nase, den Mund, den Hals
und die Arme; vor allen
Dingen aber die sanften Brüste, die eben anfingen, sich
zu wölben. Und als wenn
er aus einem Bauern auf einmal zum Kenner und Richter der
Schönheit geworden
wäre, so konnte er sich den Wunsch nicht versagen, ihre
Augen zu sehen, die ein
tiefer Schlaf noch verschlossen hielt. Um diese zu
erblicken, wandelte ihn mehr
als einmal die Lust an, die schöne Schläferin zu wecken.
Weil er sie aber
unendlich schöner fand als alle Frauen, die er jemals
gesehen hatte, so
zweifelte er, ob sie nicht vielleicht eine Göttin wäre,
und weil er noch
Verstand genug hatte, um einzusehen, daß er Göttern mehr
Ehrfurcht schuldig wäre
als Menschen, so enthielt er sich und wollte lieber
warten, bis sie von selbst
erwachen würde. Wiewohl ihm darüber die Zeit fast zu lang
ward, so empfand er
doch so viel Vergnügen, daß er sich nicht entschließen
konnte, sich zu
entfernen. Endlich fügte es sich, daß die Jungfrau, deren
Name Iphigenia war,
früher als ihre Leute erwachte und, indem sie ihre Augen
aufschlug und ihr Haupt
erhob, den Cimon erblickte, wie er auf seine Hacke
gestützt vor ihr stand. Da
ihn jedermann kannte, sowohl wegen seines bäurischen
Wesens und seiner schönen
Gestalt, als weil er der Sohn eines so angesehenen und
vermögenden Mannes war,
so nannte sie ihn bei seinem Namen und fragte:
"Cimon, was hast du um diese
Stunde hier im Walde zu schaffen?" Cimon antwortete
nicht, sondern indem ihre
Augen sich öffneten, blickten die seinigen sie unverwandt
an, und er schien zu
empfinden, daß eine sanfte Süßigkeit, die sie ihm
einflößten, sein Innerstes mit
einem nie gekannten Entzücken erfüllte. Dieses bemerkte
die Jungfrau, und weil
sie fürchtete, sein starrer Blick möchte ihn bei seinem
bäurischen Wesen zu
Unanständigkeiten führen, so weckte sie ihre Frauen,
stand auf und sagte: "Gehab
dich wohl, Cimon!" Cimon antwortete: "Ich gehe
mit dir." Und obwohl die Jungfrau
sich seine Begleitung verbat, weil sie sich noch immer
vor ihm fürchtete, so
konnte sie ihn doch nicht los werden, bis er sie ganz
nach ihrem Hause begleitet
hatte. Von Stunde an ging er zu seinem Vater und erklärte
ihm, er habe durchaus
keine Lust, wieder nach dem Dorfe zurückzukehren. Dem
Vater war dies zwar nicht
lieb, doch ließ er ihm seinen Willen, indem er neugierig
war, zu sehen, was ihn
bewogen hätte, seinen Entschluß zu ändern. Da indessen
Cimons Herz, auf welches
weder Lehren noch Ermahnungen einigen Eindruck hatten
machen können, von
Iphigenias Reizen bezwungen, der Pfeil der Liebe
getroffen hatte, so entwickelte
sich nunmehr bei ihm von Tag zu Tag ein neuer Begriff
nach dem andern, so daß
sein Vater, seine Verwandten und alle, die ihn kannten,
darüber in die äußerste
Verwunderung gerieten. Zuerst bat er seinen Vater, ihn
zierlich und ordentlich,
so wie seine übrigen Brüder, kleiden zu lassen, was der
mit Vergnügen tat.
Hierauf suchte er den Umgang gebildeter Jünglinge und
bemerkte mit
Aufmerksamkeit die Aufführung, die sich für Edelleute und
besonders für
Verliebte schickte; und so lernte er gleich anfangs zu
jedermanns Verwunderung
in kurzer Zeit nicht nur die ersten Anfangsgründe der
Wissenschaften, sondern
ward auch bald einer der ersten und geschicktesten
Philosophen. Die Liebe, die
er zu Iphigenie im Herzen trug, wandelte nicht allein
seine rohe bäurische
Stimme zum städtischen Wohllaut, sondern er ward auch ein
Meister im Gesang und
Saitenspiel, im Reiten und Fechten, und bewies sich in
allen kriegerischen
Übungen zu Wasser und zu Lande gleich tapfer und
geschickt. Mit einem Worte, es
waren seit dem ersten Tage seiner Liebe noch keine vier
Jahre verflossen, so war
er der anmutigste, tugendhafteste und vollkommenste
Jüngling auf der ganzen
Insel Cypern.
Obwohl nun Cimon, wie Jünglinge wohl pflegen, in den
Äußerungen seiner Liebe zu
Iphigenia manches übertrieb, so ließ sich doch sein Vater
dieses nicht nur gerne
gefallen, sondern tat ihm auch selbst allen möglichen
Vorschub, um in dieser
Hinsicht nach seiner Neigung zu handeln, in der Erwägung,
daß die Liebe ihn ja
aus einem Tiere wieder zu einem Menschen gemacht hatte. Cimon,
welcher nach
diesem nie wieder Galeso heißen wollte, weil Iphigenia
ihn einmal Cimon genannt
hatte, suchte endlich das Ziel seiner Wünsche zu
erreichen und ließ deswegen bei
Cypseo, Iphigenias Vater, wiederholt um sie anhalten.
Allein Cypseo gab zur
Antwort, er, habe sie einem gewissen adeligen Jüngling in
Rhodus, namens
Pasimunde, bereits versprochen, und er wolle sein Wort
nicht brechen. Als nun
die Zeit kam, daß die festgesetzte Vermählung sollte
vollzogen werden, und der
Bräutigam Abgesandte schickte, um seine Braut
heimzuholen, dachte Cimon bei
sich: Jetzt, Iphigenia, ist es Zeit, zu beweisen, wie
sehr ich dich liebe. Dein
Anblick hat mich zum Menschen gemacht, dein Besitz würde
mich ohne Zweifel zu
dem Glück eines Gottes erheben; und wahrlich, ich will
dich besitzen oder
sterben!
Er warb hierauf in der Stille einige junge Edelleute an,
die seine Freunde und
Waffenbrüder geworden waren, ließ heimlich ein Schiff
ausrüsten und mit allem
Nötigen zum Seegefecht versehen und stach in See, um das
Fahrzeug abzufangen,
das Iphigenia zu ihrem Bräutigam führen sollte. Dieses
ging gleichfalls in See
und steuerte gerade nach Rhodus zu. Der Vater des
Mädchens hatte inzwischen den
Freunden ihres Gatten die ihnen gebührende Ehre erwiesen;
sie waren mit ihr zu
Schiff gegangen und richteten geradeswegs auf Rhodus.
Cimon aber lag nicht auf
der Bärenhaut; er traf am folgenden Tage mit ihnen
zusammen und schrie ihnen zu:
"Streicht die Segel oder erwartet euren Tod in den
Wellen, wenn ich euch
überwinde!"
Seine Gegner brachten ihre Waffen aufs Verdeck und
rüsteten sich zum
Widerstande. Cimon aber warf nach seinen Worten dem
modischen Schiffe einen
eisernen Enterhaken an Bord, als es sich schnell zu
entfernen suchte, und
befestigte es damit an dem Schnabel des seinigen. Er
wartete nicht, bis seine
Gefährten ihm folgten, sondern grimmig wie ein Löwe
sprang er in das Schiff der
Rhodier, achtete nicht die Zahl seiner Gegner, indem die
Liebe ihm
unüberwindliche Kraft verlieh, stürzte sich, einen Dolch
in der Hand, mit
erstaunlicher Gewalt mitten unter seine Feinde und
schlachtete sie, mit seinem
Dolch bald hier- bald dorthin stoßend, wie Schafe ab.
Erschrocken warfen die
Rhodier ihre Waffen von sich und baten einstimmig um
Pardon. "Jünglinge," sprach
Cimon zu ihnen, "mich trieb weder Raubgier noch Haß
gegen euch, von Cypern
auszulaufen und euch im offenen Meere mit bewaffneter
Hand anzugreifen, sondern
mich bewog das, was mir das Teuerste ist, was ich
erwerben kann und was ihr mir
ohne Mühe in Frieden gewähren könnt, nämlich Iphigenia,
die ich über alles in
der Welt liebe. Da ich sie nicht von ihrem Vater in
Frieden und Freundschaft
erhalten konnte, so zwang mich die Liebe, sie mit den
Waffen in der Hand von
euch zu gewinnen. Ich bin willens, die Stelle bei ihr zu
vertreten, die man
eurem Pasimunde bestimmt hatte. Gebt sie mir und zieht in
Gottes Namen eure
Wege."
Die Jünglinge überlieferten ihm, mehr gezwungen als
freiwillig, die in Tränen
schwimmende Iphigenia. Als Cimon ihre Tränen fließen sah,
sprach er: "Edle
Jungfrau, sei unbekümmert. Ich bin dein Cimon, dem seine
standhafte Liebe ein
größeres Recht gibt, dich zu besitzen, als Pasimunde die
gegebene Zusage."
Sobald Cimon sie an Bord seines Schiffes sah, kehrte er wieder
um zu seinen
Gefährten und ließ die Rhodier fahren, ohne sie im
geringsten an ihrem Eigentum
zu verletzen. Höchst entzückt über die teure geliebte
Beute, sann er nur darauf,
sie zu beruhigen, und stellte hiernächst seinen Gefährten
vor, daß es nicht
ratsam wäre, gleich nach Cypern zurückzukehren; er fand
sie auch einstimmig
seiner Meinung, daß es besser sein würde, nach Kreta zu
gehen, wo sie fast alle
und Cimon insbesondere, durch ältere und neuere
Verbindungen mit vielen
angesehenen Geschlechtern verwandt und befreundet waren,
und weil sie daselbst
mit Iphigenia in Sicherheit zu sein glaubten, so
richteten sie ihren Lauf dahin.
Allein das Glück, welches dem Cimon die Eroberung seiner
Geliebten leicht genug
gemacht hatte, blieb ihm nicht lange treu, sondern es
verwandelte nur zu bald
die innige Freude des liebenden Jünglings in die
bitterste Betrübnis. Es waren
noch nicht vier Stunden seit jenem Gefecht mit den
Rhodiern vergangen, als mit
anbrechender Nacht, von der Cimon sich unaussprechliche,
nie gefühlte Seligkeit
versprochen hatte, sich ein fürchterlicher Sturm mit
Ungewitter erhob, so daß
die tobenden Wellen im schrecklichen Kampfe mit dem
schwarzen GewöIk sich fast
zu vermengen schienen und es den Schiffsleuten unmöglich
machten, nicht nur das
Schiff zu regieren, sondern sich auf Deck auch nur
aufrecht zu erhalten, um
alles Nötige zu unternehmen. Cimon war äußerst bekümmert
um Iphigenia; er
glaubte, die Götter hätten ihm nur deswegen seine Wünsche
zum Teil gewährt,
damit sie ihm den Tod desto schmerzlicher machten, dem er
vorher mutig
entgegengegangen war. Seine Gefährten waren nicht weniger
in Ängsten; am meisten
aber Iphigenia, die bei jeder Schlagwelle ihren Tod in
den Wogen zu finden
glaubte und Cimon mit seiner Liebe verwünschte und seine
Vermessenheit schalt,
weil sie gewiß glaubte, das Ungewitter wäre aus keiner
anderen Ursache
entstanden, als weil die Götter nicht zugeben wollten,
daß der, welcher sie
wider ihren Ratschluß zu seiner Gemahlin machen wollte,
die Frucht seiner
verwegenen Unternehmung genießen, sondern daß er sie
zuerst elendiglich umkommen
sehen und dann selbst dem Tode geweiht werden sollte.
Indem nun der Sturm immer
heftiger, die Wehklage immer lauter und die Verlegenheit
der Schiffsleute immer
größer und allgemeiner ward, und niemand wußte, wohin das
Schiff triebe, wurden
sie bis in die Nähe der Insel Rhodus verschlagen; sie
wurden das Land gewahr,
und ohne zu wissen, daß es Rhodus war, bemühten sie sich
nur, das Schiff unter
dem Schutze des Landes vor Anker zu bringen, um ihr Leben
zu retten. Das Glück
war ihnen auch insoweit günstig, daß sie eine kleine
Bucht entdeckten, in die
kurz vorher die Rhodier, mit welchen Cimon gekämpft
hatte, eingelaufen waren,
und kaum entdeckten sie in der Morgendämmerung, daß sie
bei Rhodus vor Anker
gekommen waren, so bemerkten sie auch, indem sich das
Wetter ein wenig
aufklärte, in der Entfernung eines Bogenschusses das
Schiff, mit welchem sie
sich des Abends vorher geschlagen hatten. Cimon ward
darüber sehr bestürzt, und
weil er ahnte, was ihm bevorstand, so befahl er, alle
Kräfte anzustrengen, um
das Schiff wieder in See zu bringen und sich dann der
Führung des Schicksals zu
überlassen, weil sie an keinen schlimmeren Ort als an
diesen geraten könnten.
Man tat alles mögliche, um die See wieder zu gewinnen,
jedoch vergeblich. Der
widrige Wind verhinderte sie nicht nur, aus der Bucht
wieder auszulaufen,
sondern er trieb sie, aller Anstrengungen ungeachtet, nur
immer näher ans Land,
wo sie von der Mannschaft des modischen Schiffes
allsobald gesehen und erkannt
wurden.
Unverzüglich lief einer von ihnen nach einem
nahegelegenen Landgut, wohin die
modischen Edelleute schon vorausgegangen waren, und
meldete, daß Cimon und
Iphigenia mit ihrem Schiffe zufälligerweise an die
gleiche Stelle vom Unwetter
verschlagen worden wären.
Dies war den Edelleuten sehr lieb zu hören; sie
versammelten eine Menge Leute
aus dem Dorfe und eilten nach dem Gestade, wo Cimon mit
den Seinigen soeben
gelandet und im Begriffe war, mit ihnen in den
nahegelegenen Wald zu flüchten.
Sie wurden aber sämtlich mit Iphigenia gefangengenommen
und nach dem Landgut
gebracht. Lysimachus, dem in diesem Jahr die oberste
Gewalt auf der Insel
anvertraut war, begab sich dahin, begleitet von einem
zahlreichen Gefolge
bewaffneter Leute aus der Stadt und ließ Cimon nebst den
Seinigen, vermöge ihrer
Anklage, die Pasimunde bei dem Senat von Rhodus
angebracht hatte, ins Gefängnis
führen.
So ward dem armen verliebten Cimon seine Iphigenia wieder
entrissen, nachdem er
sie eben erst entführt und ihr nichts als ein paar Küsse
geraubt hatte.
Iphigenia ward indessen von vielen edlen Frauen in Rhodus
empfangen, die sich
bemühten, ihr nach dem Schrecken über ihre Entführung und
über die Wut des
ungestümen Meeres einige Erholung zu verschaffen, und bei
denen sie bis an den
Tag verweilte, der zu ihrer Hochzeit angesetzt war. Cimon
und seinen Gefährten
schenkte man zwar das Leben, weil sie am Tage zuvor den
Rhodischen Jünglingen
freien Abzug vergönnt hatten (obgleich Pasimunde sich
alle Mühe gab, ein
Todesurteil gegen sie auszuwirken), doch verdammte man
sie alle zu
lebenslänglicher Gefangenschaft.
Pasimunde eilte indessen, Anstalten zu seiner Vermählung
zu treffen; doch indem
er sich damit beschäftigte, schien das Schicksal es schon
wieder zu bereuen, daß
es Cimon plötzlich einen so bösen Streich gespielt hatte,
und es führte von
neuem eine Gelegenheit herbei, um ihm wieder aufzuhelfen.
Pasimunde hatte
nämlich einen Bruder, dem er zwar an Jahren, aber nicht
an guten Eigenschaften
überlegen war, namens Ormisda. Dieser hatte sich seit
langer Zeit um ein schönes
und edles Mädchen der Stadt, Kassandra genannt, beworben,
in das Lysimachus
gleichfalls sehr verliebt war; doch hatten dieser Heirat
bisher verschiedene
Hindernisse im Wege gestanden. Als. aber Pasimunde jetzt
im Begriffe war, seine
eigene Hochzeit mit großem Gepränge zu begehen, hielt er
es für das beste, um
doppelte Unkosten und doppelte Feierlichkeiten zu sparen,
daß Ormisda sich zur
gleichen Zeit verheirate. Er knüpfte demnach die
Unterhandlungen mit Kassandras
Eltern wieder an und brachte es glücklich zustande, daß
am gleichen Tage, an dem
Pasimunde Iphigenia heirate, Ormisda sich Kassandra
vermählen solle.
Als Lysimachus dies vernahm, schmerzte es ihn sehr, alle
seine Hoffnungen
getäuscht zu sehen, weil er sich ganz gewiß geschmeichelt
hatte, Kassandra
selbst zu bekommen, wenn aus der Heirat mit Ormisda
nichts würde. Er verbarg
inzwischen listig seinen Unmut darüber, indes er auf
Mittel sann, Ormisdas
Absichten zu vereiteln; doch sah er, dazu keinen anderen
Ausweg, als Kassandra
zu entführen. Vermöge der Macht, die er in Händen hatte,
schien ihm dieses nicht
schwer zu sein; doch hielt er eben deswegen diese
Maßregel für weniger erlaubt
und anständig, als wenn ihm diese Gewalt nicht wäre
anvertraut gewesen. Nachdem
er jedoch lange darüber hin und her gedacht hatte,
behielt endlich die Liebe den
Sieg über die Gewissenhaftigkeit, und er entschloß sich,
Kassandra zu entführen,
es koste was es wolle. Indem er nun überlegte, welche
Gehilfen er sich wählen
und wie er die, Anstalten treffen wolle, fiel ihm Cimon
ein, der mit seinen
Gefährten im Gefängnis schmachtete, und er glaubte, daß
er nirgends einen
besseren und treueren Helfer seiner Sache finden könne.
Er ließ demnach an einem
Abend Cimon insgeheim zu sich kommen und redete ihn
folgendermaßen an: "Cimon!
So wie die Götter sich den Menschen als die besten und
reichlichsten Geber alles
Guten zeigen, so wissen sie auch am besten, ihre Tugenden
auf die Probe zu
stellen und diejenigen nach Verdienst zu belohnen, welche
am festesten und
beständigsten in allen Wechselfällen des Schicksals
befunden werden. Sie
verlangten von deiner Tugend größere Beweise, als du in
dem Hause deines Vaters
hättest geben können, der, wie ich weiß, an allen
Glücksgütern einen Überfluß
hat. Deswegen haben sie dich, wie ich höre, zuerst durch
den Stachel der Liebe
aus einem unempfindlichen Tierleben zu einem vernünftigen
Zustande erweckt;
darauf hat dein hartes Schicksal dich hierher in eine
beschwerliche
Gefangenschaft geführt, weil die Götter versuchen
wollten, ob dein Mut sich
durch den plötzlichen Verlust deiner eroberten geliebten
Beute würde wankend
machen lassen. Bist du aber noch ebenso gesinnt wie
vormals, so haben sie dir
nie ein erwünschteres Geschenk gemacht als die
Gelegenheit, welche sie dir jetzt
bieten, und die ich dir verkünden will, damit du dich
wieder ermannest und Mut
gewinnst. Pasimunde, der sich über dein Unglück freut und
dir gern den Tod
bereitet hätte, beeilt sich jetzt, seine Vermählung mit
deiner Iphigenia zu
vollziehen, um sich des Schatzes zu erfreuen, welchen dir
dein günstiges Glück
zuerst bescherte und ihn dir dann plötzlich im launischen
Zorn wieder entriß,.
Wie sehr dich dieses schmerzen muß, wenn du so zärtlich
liebst, wie ich glaube,
das weiß ich aus eigener Erfahrung, indem des Pasimundes
Bruder Ormisda mir in
Kassandras Person, die ich unaussprechlich liebe, an
demselben Tage eine
ähnliche Kränkung zubereitet. Ich weiß keinen anderen
Weg, den das Schicksal uns
offen gelassen hat, um diesem Unrecht und dieser Kränkung
zuvorzukommen als
durch unseren herzhaften Mut und durch die Kraft unseres
Armes, der uns mit dem
Schwerte die Bahn brechen muß, du zur zweiten, ich zur
ersten Entführung der
Geliebten. Denn wofern dir, ich will nicht sagen, deine
Freiheit, denn diese hat
wohl ohne den Besitz Iphigenias nur einen geringen Wert
für dich, sondern die
Wiedererlangung deiner Geliebten selbst am Herzen liegt,
so geben sie dir die
Götter in deine Hand, wenn du mir in meinen
Unternehmungen beistehen willst."
Diese Worte weckten den gesunkenen Mut in Cimons Brust
wieder auf. Er besann
sich nicht lange auf eine Antwort, sondern sprach:
"Lysimachus, du kannst dir
bei dieser Unternehmung weder einen tapferen, noch einen
treueren Gefährten
wählen als mich, wenn ich dasjenige damit erlangen kann,
was du mich hoffen
lässest; sage mir also nur, was ich tun soll, so sollst
du sehen, mit wieviel
Eifer und Kraft ich es ausführen werde." Lysimachus
antwortete:. "Über drei Tage
werden die beiden Bräute ihren Einzug in den Palast ihrer
Gatten halten. Am
Abend wollen wir beide, du mit deinen Gefährten und ich
mit einigen
zuverlässigen Männern, das Haus überfallen, unsere
Geliebten mitten aus dem
Kreise der versammelten Gäste entführen und sie auf ein
Schiff bringen, das ich
schon heimlich habe ausrüsten lassen, und wer sich uns
widersetzt, der soll
durch unser Schwert fallen."
Cimon gefiel der Anschlag, und er verhielt sich bis zum
anberaumten Zeit still
in seinem Gefängnis. Als der Hochzeitstag kam, war der
Aufzug sehr festlich und
prunkvoll, und im Hause der beiden Brüder erscholl alles
von lautem Jubel. Als
Lysimachus alles veranstaltet und sich und Cimon samt
dessen Gefährten und
seinen eigenen Freunden mit Waffen versehen hatte, die
sie unter ihren Kleidern
versteckten, ermunterte er sie durch eine zweckmäßige Anrede
zur wackeren
Ausführung der Tat und teilte sie hierauf in drei Haufen,
wovon er den einen in
der Stille nach dem Hafen schickte, um den Weg nach dem
Schiffe nötigenfalls
offen zu halten. Mit den beiden anderen Haufen ging er
nach dem Hause des
Pasimunde, wo er den einen an der Tür ließ, um sich den
Rückweg zu sichern. Der
andere folgte ihm und Cimon die Treppe hinauf. Als sie in
den Speisesaal kamen,
wo die jungen Bräute mitten unter vielen anderen Damen
bereits an der Tafel
saßen, sprangen sie zu, stießen die Tische um,
bemächtigten sich ein jeder
seiner Geliebten und übergaben sie dem Schutz ihrer
Waffengenossen mit dem
ausdrücklichen Befehl, sie sofort auf das segelfertige
Schiff zu bringen. Die
beiden Bräute weinten und jammerten, und alle übrigen
Weiber samt den Dienern
erhoben ein lautes Jammern und bald widerhallte das ganze
Haus von Lärm und
Klagegeschrei. Cimon und Lysimachus zogen ihre Schwerter
und bahnten sich, ohne
Widerstand zu finden, da alle zurückwichen, den Weg zur
Freitreppe. Indem sie
die Treppe hinuntereilten, kam ihnen Pasimunde entgegen,
der bei dem
entstandenen Getümmel mit einer großen Keule
herbeigelaufen kam. Cimon versetzte
ihm aber einen Schwerthieb, der ihm den Schädel fast
voneinander spaltete und
ihn tot zu Boden streckte. Der unglückliche Ormisda, der
seinem Bruder zu Hilfe
eilte, fiel ebenfalls unter den Streichen des Cimon, und
einige andere, die
ihnen den Weg streitig machen wollten, wurden von den
Gefährten des Cimon und
Lysimachus verwundet und zurückgetrieben. Sie
hinterließen im Hause Blut,
Geschrei, Wehklagen und Trauer und erreichten in
geschlossenem Haufen schnell
und ungehindert den Hafen, wo sie die Damen einschifften
und dann selbst in Eile
ihr Schiff bestiegen, weil sie sahen, daß schon am Ufer
eine Menge bewaffneter
Leute sich zusammenrottete, um die beiden Jungfrauen
wieder zu befreien. Sie
ruderten schnell und fröhlich davon und wurden bei ihrer
Ankunft in Kreta von
ihren vielen Freunden und Verwandten freudig und herzlich
aufgenommen, feierten
ihre Hochzeit und erfreuten sich ihrer geliebten Beute.
In Cypern und auf Rhodus
entstanden indessen große und langwierige Fehden um
ihretwillen. Doch endlich
schlugen sich einige friedliebende Freunde und Verwandte
auf beiden Inseln ins
Mittel und brachten es dahin, daß Cimon und Iphigenia
nach einer kurzen
Verbannung wieder nach Cypern und Lysimachus mit
Kassandra nach Rhodus
zurückkehren durften. Und noch lange lebte jedes Paar
glücklich in seiner
Heimat.
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