12. Novelle
Riccciardo Manardi wird von Messer Lizio da Valbona bei
seiner Tochter im Bette
gefunden; er heiratet sie und lebt ferner in Frieden und
Freundschaft mit ihrem
Vater.
Es ist noch nicht lange her, da in Romagna ein braver und
angesehener Kavalier
lebte, namens Messer Lizio da Valbona, den seine
Gemahlin, Madonna Giacomina,
indem er schon zu altern anfing, mit einer Tochter
beschenkte, die, als sie
heranwuchs, alle Mädchen an Schönheit und Liebreiz
übertraf, und weil sie
überdies das einzige Kind ihrer Eltern war, von ihnen
außerordentlich geliebt
und zugleich mit äußerster Sorgfalt bewacht ward, weil
die Eltern hofften, sie
besonders vorteilhaft zu verheiraten. Ein gewisser
schöner, rüstiger Jüngling
von dem Geschlecht der Manardi aus Bretinoio, namens
Ricciardo, lebte inzwischen
mit dem Vater auf einem so vertrauten Fuße, daß weder er
noch seine Gattin ihn
anders als wie ihren eigenen Sohn betrachteten und ihn
ebenso unbefangen bei
sich aus- und eingehen ließen Als dieser das schöne,
reizende, wohlerzogene
Mädchen, das eben zum mannbaren Alter herangereift war,
täglich vor Augen hatte,
verliebte er sich glühend in sie, wußte aber seine Liebe
so zu verbergen, daß
nur sie allein sie bemerkte und nicht unterließ, seine Zärtlichkeit
zu erwidern.
Ricciardo war froh, als er diese Entdeckung machte, und
mehr als einmal schwebte
ihm seine Liebeserklärung auf der Zunge; doch lange hielt
ihn seine
Schüchternheit zurück, bis er sich endlich einst ein Herz
faßte und sagte:
"Catarina, ich bitte dich, laß mich nicht vor Liebe
sterben."
"Wollte Gott," gab sie ihm zur Antwort,
"daß du mich nicht noch mehr sterben,
vielmehr verschmachten ließest." Diese Antwort löste
ihm vollends die Zunge, und
er versetzte: "An mir soll es nicht liegen, alles zu
tun, was du wünschest; aber
du mußt für das Mittel sorgen, dir und mir das Leben zu
retten."
"Du siehst, Ricciardo," antwortete Catarina,
"Wie streng ich bewacht werde, und
ich weiß kein Mittel zu entdecken, wie du zu mir kommen
könntest; kannst du dich
aber auf etwas besinnen, das ich ohne Verletzung meines
guten Rufes tun kann, so
sprich, und es soll geschehen."
Ricciardo, der darüber schon nachgedacht hatte, sagte
sofort: "Holde Catarina,
ich weiß kein anderes Mittel, als wenn du versuchtest,
auf den Balkon, der nach
eurem Garten herausgeht, zu kommen oder dort zu schlafen.
Wenn ich dann wüßte,
daß du in der Nacht dort wärst, wollte ich schon zu dir
hinaufklettern, so hoch
es ist."
"Wenn du es wagen willst hinaufzukommen, so hoffe
ich es schon so einzurichten,
daß man mir erlaubt, dort zu schlafen", sprach
Catarina. Ricciardo antwortete,
er wolle es gewiß wagen. Ein verstohlener Kuß besiegelte
diese Verabredung,
worauf sie einander schnell verließen. Es ging schon
gegen Ende des Maimonats.
Am folgenden Tage beklagte sich Catarina bei ihrer
Mutter, daß sie in der
vorigen Nacht in ihrem Zimmer vor Hitze nicht hätte
schlafen können.
"Was sprichst du von Hitze, Kind?" sprach die
Mutter. "Es war ja noch nicht
einmal warm."
"Wenn Ihr sagtet," erwiderte Catarina,
"meiner Ansicht nach, so möchte es wohl
seine Richtigkeit haben, liebe Mutter. Aber Ihr müßt
bedenken, daß junge Mädchen
heißeres Blut haben als bejahrte Frauen."
"Das ist wahr, mein Töchterchen", sprach, die Mutter.
"Allein ich kann nicht
über Wärme und Kälte gebieten, wie du wohl wünschest. Man
muß die Witterung so
nehmen, wie sie die Jahreszeit mit sich bringt;
vielleicht wird es künftige
Nacht kühler, daß du ruhiger schlafen kannst."
"Das gebe der Himmel", sprach Catarina.
"Aber die Nächte pflegen gewöhnlich
gegen den Sommer nicht kühler zu werden."
"Was soll denn also nach deinem Willen
geschehen?" fragte die Mutter wieder.
"Wenn Ihr und der Vater nichts dawider hättet,"
antwortete die Tochter, "so
möchte ich mir wohl neben seinem Zimmer, auf dem Balkon,
der nach dem Garten
liegt, ein Bett machen und die Nacht da schlafen. Ich
würde die Nachtigall
singen hören und im Kühlen viel besser schlafen als bei
Euch in Eurem Zimmer."
"Gut, mein Töchterchen", sprach die Mutter.
..Ich will's dem Vater sagen, und
wenn er damit zufrieden ist, so soll es geschehen."
Als die Frau Messer Lizio die Sache vortrug, gab er ihr,
weil er ein alter Mann
und daher vermutlich ein wenig mürrisch war, zur Antwort:
"Was schwatzt das
Mädel ,von einer Nachtigall, die sie in den Schlaf singen
soll? Ich werde sie
lehren, sich vom Gezirp der Zikaden einschläfern zu
lassen."
Als Catarina diese Antwort von ihrer Mutter hörte,
brachte sie, mehr aus Verdruß
als vor Hitze, die folgende Nacht nicht allein schlaflos
zu, sondern sie ließ
auch ihrer Mutter keine Ruhe und klagte beständig über
die große Hitze. Des
andern Morgens sprach die Mutter zu Messer Lizio:
"Du hast wenig Liebe für das
arme Mädchen. Was kann es dir schaden, wenn sie auf dem
Balkon schläft? Sie hat
die vergangene Nacht vor lauter Hitze im Bett keine Ruhe
gehabt; und ist es denn
so wunderbar, daß ein junges Mädchen so gern die
Nachtigall singen hört? Sie ist
ja noch blutjung. Jugend ist Jugend und liebt, was sie
mag."
"Nun gut denn," sprach Messer Lizio, "laß
ihr ein Bett machen wie und wo du
willst, aber laß es mit Vorhängen umgeben; mag sie sich
dann nach Herzenslust
vom Gesang der Nachtigall einwiegen lassen."
Als Catarina dies erfuhr, eilte sie, sich ihr Bett
bereiten zu lassen, und weil
sie schon in der folgenden Nacht dort schlafen durfte,
gab sie, sobald sie
Ricciardo gewahr ward, ihm ein gewisses Zeichen, woran er
ersah, was er zu tun
hätte. Messer Lizio, der hörte, daß seine Tochter zu Bett
gegangen war,
verschloß die Tür, die aus seinem Zimmer nach dem Balkon
ging, und legte sich
gleichfalls zu Bett. Als Ricciardo merkte, daß alles im
Hause still war, erstieg
er mit Hilfe einer Leiter die Gartenmauer und kletterte
dann an den Absätzen der
Mauer des Hauses, nicht ohne große Gefahr abzustürzen,
hinauf bis auf den
Balkon, wo ihn sein Mädchen in aller Stille mit großer
Freude empfing. Sie
küßten sich und legten sich zusammen nieder und schenkten
sich gegenseitig alle
Freuden und Wonnen ihrer jungen Leiber und Seelen. Die
Geschichte sagt nicht,
wie oft sie die Nachtigall schlagen ließen; weil aber
ihre Lust groß und die
Nacht kurz war, so verging ihnen diese so schnell, daß
sich ihnen unbemerkt der
Tag bereits näherte, als sie kaum Zeit gehabt hatten, ein
wenig einzuschlummern;
und teils die warme Jahreszeit, teils ihre zärtlichen
Liebkosungen hatten sie so
erhitzt, daß sie ohne alle Bedeckung lagen. Catarina
hatte mit der Rechten den
Hals ihres Geliebten fest umschlingen und mit der Linken
hielt sie das Ding, das
Frauen, besonders vor Männern, zu nennen sich schämen. In
dieser Lage schliefen
sie noch, als der Tag sie überraschte, aber nicht weckte.
Messer Lizio stand
auf, und weil es ihm einfiel, daß seine Tochter auf dem
Balkon schlief, war er
neugierig zu sehen, wie sie bei dem Nachtigallensang
geruht hätte. Leise öffnete
er die Tür, hob den Vorhang, der vor das Bett gespannt
war, vorsichtig auf und
fand die beiden Verliebten in der vorbeschriebenen
Stellung nackt, unbedeckt und
umschlungen im süßesten Schlafe. Als er das Gesicht des
Ricciardo erkannte,
kehrte er wieder um, ging nach der Kammer seiner Frau,
weckte sie und sagte:
"Steh geschwind auf, Frau; deine Tochter hat die
Nachtigall so reizend gefunden
und ihr so gut nachgestellt, daß sie sie gefangen hat und
noch immer in der Hand
hält."
"Wie ist das möglich!" rief die Frau.
"Das sollst du sehen, wenn du nur geschwind
kommst", antwortete Messer Lizio.
Sie warf geschwind ihr Morgengewand über und folgte leise
ihrem Manne, der sie
an das Bett führte, den Vorhang wegschob und ihr zeigte,
wie fest ihre Tochter
die Nachtigall hielt, nach deren Gesang sie sich so
gesehnt hatte. Die Mutter,
welche sich von Ricciardo gröblich betrogen fühlte,
wollte Lärm machen und ihn
mit Vorwürfen überschütten! Allein Messer Lizio sagte zu
ihr: "Frau, wenn du
mich liebst, so halte den Mund. Da sie die Nachtigall
einmal gefangen hat, so
soll sie sie auch behalten. Ricciardo ist reich und ein
Edelmann; eine
Verbindung mit ihm kann nicht anders als vorteilhaft für
uns sein. Will er sich
mit mir in Güte vertragen, so muß er das Mädchen
heiraten, damit er innewird,
daß er die Nachtigall nicht in einen fremden Käfig,
sondern in seinen eigenen
gesperrt hat."
Damit ließ sich die Frau besänftigen, zumal sie sah, daß
ihr Mann über den
Vorfall nicht aufgebracht war. Weil sie fand, daß ihre
Tochter eine gute Nacht
gehabt, gut geschlafen und den Vogel gefangen hatte, so
gab sie sich zufrieden
und schwieg.
Bald nach diesem Gespräch, sie brauchten nicht lange zu
warten, erwachte
Ricciardo, und als er fand, daß es schon hellichter Tag
war, dachte er, er wäre
des Todes. "O Himmel, liebes Herz!" rief er,
indem er Catarina weckte. "Was
fangen wir an? Der Tag ist schon angebrochen und hat mich
hier überrascht."
Indem hob Messer Lizio den Vorhang auf und sagte:
"Dafür soll wohl Rat werden."
Ricciardo glaubte schon, daß ihm das Herz aus dem Leibe
gerissen würde, als er
den Alten erblickte. "Ach, Herr!" sprach er,
indem er sich im Bett aufrichtete.
"Habt Gnade mit mir, um Gottes willen! Ich bekenne,
daß ich als ein treuloser
und böser Mensch den Tod verdient habe. Macht mit mir,
was Ihr wollt, nur bitte
ich Euch, schonet womöglich mein Leben und bringt mich
nicht um."
"Ricciardo," antwortete der Alte, "meine
Liebe für dich und das Vertrauen, das
ich dir schenkte, hatten diesen Lohn nicht von dir
verdient. Weil aber die Sache
einmal so steht, und weil deine Jugend dich zu diesem
großen Fehltritt verleitet
hat, so kannst du deinen Tod und meine Schande abwenden,
wenn du dich mit
Catarina vermählst, sie auf immer zu der Deinigen machst,
damit sie immer dein
sei, wie sie es diese Nacht gewesen ist. Auf diese Weise
kannst du meine
Verzeihung erlangen und dir selbst das Leben retten. Wo nicht,
so befiehl deine
Seele Gott!"
Catarina hatte indessen die Nachtigall losgelassen, die
Decke über die Augen
gezogen und bitterlich geweint. Jetzt bat sie ihren Vater
um Verzeihung für
Ricciardo und ihren Geliebten um seine Einwilligung in
die ihm vorgeschriebene
Bedingung, damit sie einander in guter Ruhe noch viele
Nächte wie die vergangene
schenken könnten. Ricciardo ließ sich nicht lange bitten;
denn ihn bewog teils
die Scham über seinen begangenen Fehler und der Wunsch,
ihn wieder gutzumachen,
teils die Furcht vor dem Tode und die Liebe zum Leben;
und vor allen Dingen
seine innige Liebe und die Begierde, seine Geliebte
völlig zu besitzen, so daß
er sich nicht einen Augenblick bedachte und erklärte, er
wolle sich in den
Willen Messer Lizios fügen und tun, was er heische. Lizio
ließ sich demnach von
seiner Frau einen Ring bringen, mit dem Ricciardo in
ihrer beider Gegenwart sich
unverzüglich mit Catarina feierlich verlobte. Darauf
gingen die beiden Alten
wieder davon und sagten. "Schlaft nun aus, denn das
habt ihr vielleicht nötiger
als das Aufstehen." Nach ihrem Weggang umarmten sich
die beiden jungen Menschen
von neuem, und da sie in der Nacht erst sechs Meilen
geritten waren, so brachten
sie es, bevor sie aufstanden, noch auf weitere zwei und
ließen es dann für
diesen Tag genug sein. Ricciardo nahm sogleich nach dem
Aufstehen mit seinem
Schwiegervater gehörige Abrede, wiederholte in Gegenwart
aller beiderseitigen
Freunde und Verwandten die Vermählung nach einigen Tagen
förmlich, worauf er
seine junge Frau mit großem Prunk heimführte, ein
stattliches, schönes
Hochzeitsfest veranstaltete und in der Folge den
Nachtigallenfang bei Tage und
bei Nacht mit ihr in Freude und Frieden fortsetzen
konnte, so oft es ihm
beliebte.
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