Text
1. Novelle
(Übersetzung von Karl Witte)
Herr Chapelet täuscht einen frommen Pater durch eine
falsche Beichte und stirbt.
Trotz des schlechten Lebenswandels, den er geführt, kommt
er nach seinem Tode in
den Ruf der Heiligkeit und wird Sankt Chapelet genannt.
Es ziemt sich, ihr liebwerten Damen, ein jedes Ding, das
der Mensch unternimmt,
mit dem heiligen und wunderbaren Namen dessen zu
beginnen, der alle Dinge
geschaffen hat. Darum denke ich denn, der ich als erster
bei unseren Erzählungen
den Anfang machen soll, mit einer jener wunderbaren
Fügungen zu beginnen, deren
Kunde unser Vertrauen auf ihn als den Unwandelbaren
bestärken und uns lehren
wird, seinen Namen immerdar zu preisen. Es ist offenbar,
daß die weltlichen
Dinge insgesamt vergänglich und sterblich sowie nach
innen und nach außen reich
an Leiden, Qual und Mühe sind und unzähligen Gefahren
unterliegen, welchen wir,
die wir mitten unter ihnen leben und selbst ein Teil von
ihnen sind, weder
widerstehen noch uns ihrer erwehren könnten, wenn uns Gottes
besondere Gnade
nicht die nötige Kraft und Fürsorge verliehe. Was diese
Gnade anbetrifft, so
haben wir uns keineswegs einzubilden, daß sie um
irgendeines Verdienstes willen,
das wir hätten, über uns komme, vielmehr geht sie nur von
seiner eigenen Huld
aus und wird den Bitten derer gewährt, die einst wie wir
sterblich waren, jetzt
aber, weil sie während ihres Erdenwallens seinem Willen
folgten, mit ihm im
Himmel der ewigen Seligkeit teilhaftig sind. An sie, als
an Fürsprecher, die
unsere Schwäche und Gebrechlichkeit aus eigener Erfahrung
kennen, richten wir
vor allem jene Bitten, die wir vielleicht nicht wagten,
unserem höchsten Richter
gegenüber laut werden zu lassen. Um so überschwenglichere
Gnade haben wir aber
in ihm zu erkennen, wenn wir, deren sterbliches Auge auf
keine Weise in das
Geheimnis des göttlichen Willens eindringen kann, durch
falschen Wahn betrogen,
einen zu unserem Fürsprecher vor der Majestät Gottes
erwählen, den er von seinem
Angesicht verbannt hat, und wenn er, vor dem nichts
verborgen ist, dessen
ungeachtet mehr auf die reine Gesinnung des Bittenden als
auf dessen
Unwissenheit oder auf des Angerufenen Verdammung sieht
und das Gebet ebenso
erhört, als ob der vermeintliche Fürsprecher die
Seligkeit, ihn zu schauen,
genösse. Daß es sich so verhält, wird aus der Geschichte
offenbar werden, die
ich euch erzählen will. Offenbar nach menschlichem
Dafürhalten, sage ich, da
Gottes Ratschlüsse uns verborgen bleiben.
Es wird nämlich berichtet, daß Musciatto Franzesi, als er
von einem reichen und
angesehenen Kaufherrn zum Edelmanne geworden war und nun
mit dem Bruder des
Königs von Frankreich, dem vom Papst Bonifaz
herbeigerufenen und unterstützten
Karl ohne Land, nach Toskana ziehen sollte, sich
entschloß, seine Geschäfte,
welche, wie es bei Kaufleuten der Fall zu sein pflegt,
äußerst verwickelt waren,
mehreren Bevollmächtigten zu übertragen. Für alles fand
er Rat, nur blieb
ungewiß, wo er jemanden auftreiben wollte, der geschickt
wäre, jene Schulden
einzutreiben, die er bei einigen Burgundern ausstehen
hatte. Der Grund seines
Bedenkens lag darin, daß ihm wohlbekannt war, was für ein
wortbrüchiges,
händelsüchtiges und abscheuliches Volk die Burgunder sind
und daß er sich auf
niemand besinnen konnte, der abgefeimt genug gewesen
wäre, um ihrer Bösartigkeit
mit Erfolg Widerpart zu leisten. Als er in solchem
Zweifel lange hin und her
überlegt hatte, fiel ihm ein gewisser Ciapperello von
Prato ein, der sein Haus
in Paris oft zu besuchen pflegte. Die Franzosen, die den
Namen Ciapperello nicht
verstanden und der Meinung waren, er wolle so viel sagen
wie chapeau, was in
ihrer Landessprache Kranz bedeutet, nannten diesen Mann,
der klein von Gestalt
und sehr geschniegelt war, seiner Kleinheit halber nicht
Chapeau, sondern
Chapelet, unter welchem Namen er denn überall bekannt
war, während nur wenige
wußten, daß er Ciapperello hieß.
Das Leben, das dieser Chapelet führte, war folgendermaßen
beschaffen: In seinem
Beruf als Notar hätte er es für eine große Schande
gehalten, wenn eine der von
ihm ausgestellten Urkunden, obgleich er deren wenige
ausstellte, anders als
gefälscht befunden worden wäre. Solcher falschen Urkunden
aber, machte er,
soviel man nur wollte, und dergleichen lieber umsonst als
rechtmäßige für
schwere Bezahlung. Falsches Zeugnis legte er auf
Verlangen und aus freien
Stücken besonders gern ab, und da in Frankreich
Eidschwüre um jene Zeit in
höchstem Ansehen standen, gewann er, da er sich nicht um
einen Meineid scherte,
auf unrechtmäßige Weise alle Prozesse, in denen er die
Wahrheit nach seinem
Gewissen zu beschwören berufen ward. Ausnehmendes
Wohlgefallen fand er daran,
und großen Fleiß verwandte er darauf, unter Freunden,
Verwandten und was sonst
immer für Leuten Unfrieden und Feindschaft anzuzetteln,
und je größeres Unglück
daraus entstand, desto mehr freute er sich. Wurde er
aufgefordert, jemand
umbringen zu helfen oder an einer anderen Schandtat
teilzunehmen, so weigerte er
sich niemals und war der erste auf dem Platz. Oft war er
auch bereit, mit
eigenen Händen zu ermorden und zu verwunden. In seiner
beispiellosen Jähheit
lästerte er Gott und alle Heiligen um jeder Kleinigkeit
willen auf das
gräßlichste. In der Kirche ließ er sich niemals antreffen
und verspottete alle
christlichen Sakramente mit den verruchtesten Worten. Um
so mehr war er dafür in
den Schenken und anderen Sündenhäusern. Aus Rauben und
Stehlen hätte er sich
ebensowenig ein Gewissen gemacht, als ein Heiliger
daraus, Almosen zu geben. Er
fraß und soff in solchem Übermaß, daß er mehrmals knapp
mit dem Leben davonkam.
Spielen und im Spiel betrügen betrieb er wie ein
Handwerk. Doch wozu so viele
Worte! Genug, er war der schändlichste Mensch, der
vielleicht je geboren ward,
und schon seit langer Zeit konnten nur die Macht und das
Ansehen des Herrn
Musciatto ihm bei seinen Verbrechen durchhelfen, so daß
weder Einzelpersonen,
die er häufig, noch die Gerichte, die er fortwährend
beleidigte, Hand an ihn
legten.
Dieser Ciapperello war es, den Herr Musciatto, welcher
seinen Lebenswandel sehr
genau kannte, jetzt als den rechten Mann auserkor, um der
burgundischen Bosheit
die Spitze zu bieten. So ließ er ihn denn rufen und
sprach zu ihm: "Chapelet,
ich stehe, wie du weißt, im Begriff, ganz von hier
wegzuziehen, und da ich unter
anderrn noch mit einer Anzahl von Burgundern zu tun habe,
so kenne ich niemand,
dem ich mich besser als dir anvertrauen könnte, um von so
betrügerischem Volk
mein Geld einzutreiben. Du hast jetzt nichts zu tun, und
wenn du diese
Angelegenheit übernehmen willst, so verspreche ich dir,
dich mit den Gerichten
auszusöhnen und dir an dem, was du für mich eintreibst,
einen Anteil zu lassen,
daß du zufrieden sein kannst." Herr Chapelet, der
müßig ging, auch an irdischen
Gütern keinen Überfluß hatte und nun den verlieren
sollte, der lange Zeit sein
Stecken und Stab gewesen war, sagte ohne langes Besinnen
und gewissermaßen
notgedrungen, ja, er sei gern bereit.
Nach gehöriger Verabredung und nach Empfang der Vollmacht
des Herrn Musciatto
und der Gnadenbriefe des Königs reiste Chapelet, als Herr
Musciatto Paris
verlassen, nach Burgund, wo ihn fast niemand kannte. Hier
fing er, wider seine
Natur, ganz freundlich und sanftmütig an, seinen Auftrag
auszuführen und die
Schulden einzufordern, gleichsam als wollte er sich die
Bosheit bis zuletzt
aufsparen.
Inzwischen war Chapelet ins Haus zweier Brüder aus
Florenz gezogen, die Geld auf
Wucherzinsen liehen und ihm, Herrn Musciatto zuliebe,
viel Ehre erwiesen. In
deren Hause erkrankte er jetzt, und obgleich die beiden
Brüder ihm sogleich
geschickte Ärzte rufen, ihn durch ihre Diener pflegen
ließen und überhaupt alles
taten, was zu seiner Heilung förderlich sein konnte, so
war doch jede Hilfe
vergeblich. Dem guten Mann, der nachgerade alt geworden
war und liederlich
gelebt hatte, ging es nach der Aussage der Ärzte täglich
schlechter und
schlechter, und es zeigte sich zum großen Leidwesen der
Brüder gar bald, daß
Chapelet an keiner anderen Krankheit als der des nahen
Todes leide.
Diese beiden Brüder nun fingen eines Tages nicht weit von
dem Zimmer, wo
Chapelet krank lag, folgendermaßen zu reden an: "Was
sollen wir mit dem Menschen
anfangen", sagte der eine zum andern. "Wir sind
auf jeden Fall seinetwegen in
einer sehr verdrießlichen Lage. Ihn jetzt, krank wie er
ist, aus dem Hause zu
weisen, wäre gewiß unserem Ruf ebenso nachteilig wie
unüberlegt von unserer
Seite; denn die Leute, die gesehen haben, wie wir ihn
erst aufgenommen und für
seine Pflege und Heilung gesorgt, wären überzeugt, daß er
uns keinen Grund
gegeben haben könne, ihn nun als einen Todkranken aus dem
Hause zu tun. Auf der
anderen Seite aber ist er ein so gottloser Mensch
gewesen, daß er weder wird
beichten, noch das Abendmahl oder die letzte Ölung wird
annehmen wollen, und
stirbt er, ohne gebeichtet zu haben, so nimmt keine
Kirche den Leichnam auf, und
er wird wie ein toter Hund in die Grube geworfen. Sollte
er aber auch beichten,
so sind seine Sünden so zahlreich und so verrucht, daß
nichts dadurch gebessert
wird; denn es wird sich weder Mönch noch Pfaffe finden,
der ihn lossprechen
könnte oder wollte, und stirbt er ohne Absolution, so
schmeißen sie ihn auch in
die Grube. Kommt es aber so oder so, immer wird das ganze
Volk, das ohnehin
wegen unseres von ihm verabscheuten Gewerbes äußerst
schlecht auf uns zu
sprechen ist und Lust genug haben mag, uns auszuplündern,
offen gegen uns
aufstehen und sagen: 'Diese Hunde von Italienern, die man
in der Kirche abweist,
wollen wir nicht mehr unter uns dulden.' Sie werden unser
Haus stürmen und sich
kein Gewissen daraus machen, uns nicht nur Hab und Gut zu
nehmen, sondern gar
leicht sich an unserem Leib und Leben vergreifen. So sind
wir denn auf alle
Fälle bei Chapelets Tod übel daran."
Herr Chapelet, der, wie gesagt, ganz nahe bei dem Orte
lag, wo die beiden
redeten, und wie man es oft bei Kranken findet, ein
feines Gehör hatte, verstand
alles, was sie über ihn sagten. Er ließ sie zu sich rufen
und sprach: "Ich
wünsche nicht, daß ihr euch meinetwegen Gedanken macht
oder in Furcht seid, daß
euch jemand um meinetwillen kränken möchte. Ich habe
gehört, was ihr über mich
gesprochen habt, und ich bin wohl überzeugt, daß es so
käme, wir ihr sagt, wenn
das geschähe, was ihr voraussetzt; aber es soll schon
anders gehen. Ich habe zu
meinen Lebzeiten unserem Herrgott so viel zuleide getan,
daß jetzt, wo ich
sterbe, ein Streich mehr auch keinen Unterschied machen
wird. Darum schafft mir
nur den erfahrensten und frömmsten Mönch herbei, den ihr
zu finden wißt, und
habt ihr den, so laßt mich nur machen. Ich werde eure und
meine Angelegenheit
schon so besorgen, daß alles gut sein wird und ihr
Ursache habt, zufrieden zu
sein."
Obgleich die beiden Brüder daraus noch keine besondere
Hoffnung schöpften,
gingen sie doch in ein Mönchskloster und verlangten nach
einem frommen und
verständigen Manne, der einem Italiener, welcher bei
ihnen krank liege, die
Beichte hören könnte. Man gab ihnen einen bejahrten Mönch
mit, der ein heiliges,
makelloses Leben führte, ein großer Schriftgelehrter und
gar ehrwürdiger Mann
war und bei allen Bürgern im besonderen und hohen Ansehen
der Heiligkeit stand.
Diesen brachten sie zu dem Kranken.
Als er in die Kammer eingetreten war, wo Chapelet lag,
und sich an sein Bett
gesetzt hatte, hub er freundlich an, ihm Mut
zuzusprechen; und dann erst fragte
er ihn, wie lange es her sei, daß er zum letzten Male
gebeichtet habe. Chapelet,
der sein Leben lang nicht gebeichtet hatte, antwortete
ihm: "Ehrwürdiger Vater,
sonst ist es meine Gewohnheit, alle Woche wenigstens
einmal zur Beichte zu
gehen, die vielen Male ungerechnet, wo ich öfter gehe;
aber ich muß gestehen,
jetzt, wo ich krank geworden bin, sind schon acht Tage
vergangen, ohne daß ich
gebeichtet hätte, soviel Schmerzen hat die Krankheit mir
bereitet."
"Mein Sohn", sagte darauf der Mönch,
"daran hast du wohlgetan, und also magst du
auch in Zukunft tun. Doch da du so oft beichtest, so sehe
ich wohl, ich werde
wenig Mühe haben, dich zu fragen und deine Antworten
anzuhören." Chapelet
sprach: "Herr Pater, sagt das nicht; wie oft und wie
vielmals ich auch zur
Beichte gegangen bin, so habe ich mich doch nie
entschließen können, anders zu
verfahren, als eine Generalbeichte aller meiner Sünden
vom Tage meiner Geburt an
bis zum Beichttag abzulegen. Darum bitte ich Euch, bester
Vater, daß Ihr mich
ebenso genau über alles ausfragt, als ob ich nie
gebeichtet hätte. Und schont
mich nur ja nicht etwa, weil ich krank bin; denn ich will
viel lieber dieses
mein Fleisch plagen, als aus Schonung dafür irgend etwas
tun, was meiner
unsterblichen Seele, die mein Heiland mit seinem
kostbaren Blute losgekauft hat,
zum Verderben gereichen könnte." Diese Worte hatten
den ganzen Beifall des
heiligen Mannes und schienen ihm von einem gesammelten
Gemüt Zeugnis zu geben.
Nachdem er also diese Gewohnheit Chapelet gegenüber sehr
gelobt hatte, fing er
an, ihn zu befragen, ob er sich je mit Weibern in Wollust
versündigt habe.
Chapelet antwortete ihm mit einem Seufzer: "Mein
Vater, was das anbetrifft, so
schäme ich mich, Euch die Wahrheit zu sagen, denn ich
fürchte, sie könnte als
eitles Selbstlob ausgelegt werden." Der heilige
Pater entgegnete: "Rede nur
ruhig; denn wer die Wahrheit spricht, sei es in der
Beichte oder bei anderer
Gelegenheit, der sündigt niemals." "Nun
denn", erwiderte Chapelet, "weil Ihr
mich darüber beruhigt, so will ich Euch nur sagen, ich
bin noch ebenso rein und
unbefleckt, wie ich aus dem Schoße meiner Mutter
hervorkam." "Des möge Gott dich
segnen", sagte der Mönch, "Wie wohl hast du
daran getan! Und um so
verdienstlicher ist deine Keuschheit, da du, wenn du
gewollt hättest, weit eher
das Gegenteil tun konntest als wir und alle andern, die
durch eine Ordensregel
gebunden sind."
Hierauf fragte er ihn, ob er sich je durch Völlerei
Gottes Mißfallen zugezogen
habe. Mit einem lauten Seufzer antwortete Chapelet:
"Allerdings und oftmals."
Denn weil er sich daran gewöhnt habe, außer den
vierzigtägigen Fasten, welche
fromme Leute jährlich halten, auch allwöchentlich
wenigstens drei Tage lang mit
Wasser und Brot zu fasten, so habe er das Wasser, vor
allem wenn er von Gebeten
oder Wallfahrten besonders angestrengt gewesen sei, mit
derselben Lust und
demselben Wohlgefallen getrunken wie der größte Säufer
den Wein. Manchmal habe
es ihn auch nach Kräutersalat gelüstet, wie ihn die
Bäuerinnen machen, wenn sie
aufs Feld gehen, und das Essen habe ihm besser
geschmeckt, als es seiner Ansicht
nach einem schmecken dürfe, der aus Gottesfurcht faste,
wie er es doch getan
habe. "Mein Sohn", sagte darauf der Mönch,
"das sind Sünden, welche die Natur
mit sich bringt; die haben wenig zu bedeuten, und um
ihretwillen möchte ich
nicht, daß du dein Gewissen mehr als not tut
beschwertest. Es geschieht jedem
Menschen, wenn er auch noch so heilig ist, daß ihm nach
langem Fasten das Essen
gut schmeckt und nach großer Anstrengung das
Trinken." "Ach, Herr Pater",
antwortete Chapelet, "Ihr sprecht so, um mich zu
beruhigen. Das solltet Ihr
nicht tun. Euch ist ja bekannt, daß ich wohl weiß, wie
alles, was man tut, um
Gott zu dienen, in ganz reiner Gesinnung, frei von jeder
befleckenden Lust getan
werden muß und daß, wer dem zuwiderhandelt,
sündigt."
Höchlich zufrieden sagte der Mönch: "Nun, so freut
es mich, daß du es so
ansiehst, und ich lobe in diesem Stück dein ängstliches
und sorgsames Gewissen.
Aber sage mir: Hast du dich durch Geiz vergangen und mehr
verlangt, als du
verlangen solltest, oder behalten, was du nicht behalten
durftest?" "Ehrwürdiger
Vater", erwiderte ihm Chapelet, "es sollte mir
leid tun, wenn Ihr eine falsche
Meinung von mir hättet, weil ich bei den Wucherern hier
wohne. Ich habe keinen
Teil an ihrem Handwerk; vielmehr bin ich zu ihnen
gekommen, um ihnen ins
Gewissen zu reden und sie von diesem abscheulichen
Erwerbe abzubringen. Auch
wäre mir das, wie ich glaube, gelungen, hätte mich Gott
nicht so heimgesucht.
Ich kann Euch aber sagen, daß mein Vater mir ein schönes
Vermögen hinterließ,
von dem ich nach seinem Tode den größeren Teil als
Almosen weggab. Dann habe
ich, um mich zu ernähren und den Armen Gottes beistehen
zu können, meinen
kleinen Handel getrieben und dabei allerdings den Erwerb
im Auge gehabt; was ich
aber erworben habe, das habe ich immer mit den Armen
gleichmäßig geteilt und
meine Hälfte zu meiner Notdurft verbraucht, die andere
aber jenen geschenkt.
Dafür hat mir aber auch mein Schöpfer beigestanden, so
daß meine Geschäfte
täglich besser und besser gegangen sind."
"Daran hast du wohlgetan", sagte der Mönch.
"Aber hast du dich etwa häufig
erzürnt?" "Ja", sagte Herr Chapelet,
"das habe ich freilich gar oft getan. Und
wer könnte sich wohl dessen enthalten, wenn er die
Menschen alle Tage die
abscheulichsten Dinge treiben sieht, wenn er beobachtet,
wie sie Gottes Gebote
nicht halten und sein Gericht nicht fürchten? Wohl
zehnmal des Tages habe ich
lieber tot als lebendig sein wollen, wenn ich sah, wie
die jungen Leute den
Eitelkeiten der Welt nachliefen, schworen und sich
verschworen, in die Schenken,
aber um die Kirche herumgingen und weit mehr auf den
Wegen der Welt als auf dem
Pfade Gottes wandelten." Darauf erwiderte der Mönch:
"Mein Sohn, das ist ein
edler Zorn, um dessentwillen ich für mein Teil dir keine
Buße aufzuerlegen
wüßte. Sage nur aber, wäre es vielleicht möglich, daß du
dich irgendeinmal vom
Zorn zu einem Mord, zu Schlägereien oder zu Schimpfworten
hättest verleiten
lassen?" "Ach du meine Güte, Herr Pater",
sagte Chapelet, "ich halte Euch für
einen Mann Gottes; wie könnt Ihr doch solche Reden führen.
Glaubt Ihr denn, ich
bildete mir ein, daß Gott mich so lange am Leben erhalten
hätte, wenn mir nur
der entfernteste Gedanke gekommen wäre, etwas von dem zu
tun, was Ihr da genannt
habt? Dergleichen können ja nur Mörder und Straßenräuber tun;
sooft ich
dergleichen gesehen, habe ich immer gesagt: Geh, und Gott
bessere dich."
"Gott segne dich, mein Sohn", sprach der Pater.
"So sage mir denn, ob du jemals
gegen irgendwen falsches Zeugnis abgelegt oder von andern
schlecht gesprochen
oder wider Willen des Eigentümers dich an fremdem Gute
bereichert hast." "Ach
ja, Herr Pater", sagte Chapelet, "was die üble
Nachrede betrifft, freilich ja.
Denn einmal hatte ich einen Nachbarn, der seine Frau in
einem fort prügelte,
ohne den geringsten Anlaß zu haben. Da hat mich denn das
Mitleid mit dem armen
Weibe, das er, sooft er sich betrunken hatte, jämmerlich
zurichtete, einmal so
gepackt, daß ich gegen ihre Verwandten recht auf ihn
gescholten habe." "Wohl
denn", antwortete der Mönch, "nun sage mir aber,
wie ich höre, so bist du ein
Kaufmann gewesen; hast du niemals jemand nach Art der
Kaufleute betrogen?" "Ja,
wahrhaftig, Herr Pater", sagte Herr Chapelet,
"Wie er hieß, das weiß ich aber
nicht. Es war einer, der mir Geld brachte, was er für ein
Stück Tuch schuldig
war, das ich ihm verkauft hatte. Nun tat ich das Geld,
ohne es zu zählen, in
einen Kasten, und reichlich einen Monat später fand ich,
daß es vier Heller mehr
waren, als mir zukamen. Wohl ein ganzes Jahr lang habe
ich sie aufgehoben; weil
ich aber den, dem sie gehörten, in der ganzen Zeit nicht
mehr wiedersah, habe
ich sie am Ende als Almosen verschenkt." "Das
war eine Kleinigkeit", sagte der
Mönch, "und du hast recht daran getan, so damit zu
verfahren."
Der fromme Mönch fragte ihn noch mancherlei, worauf er
immer in dieser Weise
antwortete. So wollte denn jener schon zur Absolution
schreiten, als Chapelet
sprach: "Herr Pater, noch eine Sünde habe ich auf
dem Gewissen, die ich Euch
nicht gebeichtet." "Und die wäre?" sagte
der Mönch. "Ich entsinne mich",
antwortete jener, "daß ich an einem Samstag gegen
Abend von meinem Diener das
Haus kehren ließ und also die schuldige Ehrfurcht vor dem
Tage des Herrn
vergessen habe." "Mein Sohn", erwiderte
der Geistliche, "das hat weiter nichts
zu bedeuten." "Sagt nicht, das habe nichts zu
bedeuten", entgegnete Chapelet.
"Den Sonntag soll man ehren; denn an diesem Tag war
es, daß unser Heiland von
den Toten auferstand." Darauf sagte der Mönch:
"Und hast du sonst noch etwas zu
beichten?" "Ja, Herr Pater", antwortete
Chapelet, "einmal habe ich in Gedanken
in der Kirche ausgespuckt." Der Mönch fing an zu
lächeln und sagte: "Mein Sohn,
das sind Dinge, die man sich nicht zu Herzen nehmen soll;
wir sind Geistliche
und spucken alle Tage in der Kirche aus." "Und
tut daran sehr übel", sprach Herr
Chapelet; "denn nichts auf der Welt soll man so rein
halten wie den Tempel des
Herrn, in dem man dem Höchsten opfert."
Um es kurz zu machen, Sünden von dieser Art beichtete er
ihm noch eine Menge.
Dann fing er an zu seufzen und brach in einen Strom von
Tränen aus, deren ihm,
wenn er wollte, immer reichlich zu Gebote standen.
"Was ist dir, mein Sohn?"
sagte der Geistliche. "Ach, Herr Pater",
erwiderte Chapelet, "eine Sünde habe
ich noch auf dem Herzen, die habe ich nie gebeichtet, so
schäme ich mich, sie zu
bekennen; wenn ich nur daran denke, so weine ich, wie Ihr
mich jetzt weinen
seht, und um dieser Sünde willen kann ich nur auch nicht
denken, daß Gott
Erbarmen mit mir haben wird." "Schäme dich,
mein Sohn", entgegnete der Mönch,
"was redest du da? Wären alle Sünden, die von allen
Menschen jemals zusammen
begangen worden sind oder, solange die Welt stehen wird,
noch von den Menschen
begangen werden, in einem einzigen Menschen vereinigt,
und der wäre reuig und
zerknirscht, wie ich sehe, daß du es bist, so ist Gottes
Gnade und
Barmherzigkeit so groß, daß er sie alle, sobald sie
gebeichtet wären, ihm
freudig vergeben würde; und so sage denn zuversichtlich,
was du getan hast."
Darauf sprach Herr Chapelet, ohne vom Weinen abzulassen:
"Ach, ehrwürdiger
Vater, es ist eine gar zu schwere Sünde, und wenn es
nicht auf Eure Fürbitte hin
geschieht, so kann ich kaum glauben, daß Gott sie mir
jemals vergeben sollte."
Der Mönch antwortete ihm: "Sage sie nur ruhig, denn
ich verspreche dir, daß ich
für dich zu Gott beten werde." Herr Chapelet weinte
noch in einem fort und
schwieg; der Mönch aber ermunterte ihn erneut, zu reden.
Als nun Chapelet den
Geistlichen so mit Weinen eine lange Weile hingehalten hatte,
stieß er einen
tiefen Seufzer aus und sprach: "Ehrwürdiger Vater,
weil Ihr mir denn versprochen
habt, Gott für mich zu bitten, so will ich's Euch sagen.
Wißt denn, wie ich noch
klein war, habe ich einmal meine Mutter geschmäht."
Und kaum hatte er so
gesprochen, so hub er von neuem bitterlich zu weinen an.
"Mein Sohn", antwortete
der Mönch, "dünkt dich denn das wirklich solch eine
schwere Sünde? Lästern die
Leute nicht etwa täglich ihren Herrgott? Und doch vergibt
er gern einem jeden,
der bereut, ihn gelästert zu haben. Und du verzweifelst,
für diesen Fehltritt
Vergebung zu finden? Fasse Mut und weine nicht; denn
wahrlich, wärest du einer
von denen gewesen, die unsern Herrn ans Kreuz geschlagen
haben, und wärest du so
zerknirscht, wie ich es jetzt an dir sehe, so vergäbe er
dir." Darauf sagte
Chapelet: "Um Himmels willen, Herr Pater, was
sprecht Ihr da? Allzusehr habe ich
mich vergangen, und allzu große Sünde war es, daß ich
meine Herzensmutter
schmähte, die mich neun Monate lang Tag und Nacht im
Leibe getragen hat und mich
mehr als hundertmal auf den Armen hielt; und wenn Ihr
nicht für mich betet, so
wird mir's auch nicht verziehen werden."
Als der Mönch inneward, daß Chapelet weiter nichts zu
sagen hatte, sprach er ihn
los und gab ihm in der festen Überzeugung, Chapelet,
dessen Reden er für lautere
Wahrheit nahm, sei ein frommer, gottseliger Mensch, den
Segen. Und wer möchte
wohl zweifeln, wenn er jemand auf dem Totenbette also
reden hörte? Nach dem
allen sagte er: "Herr Chapelet, Ihr werdet mit
Gottes Hilfe bald wieder gesund
sein; sollte es aber dennoch geschehen, daß Gott Eure
gesegnete und zum Abschied
von dieser Welt bereite Seele zu sich riefe, hättet Ihr
alsdann etwas dawider,
daß Euer Körper in unserem Kloster beerdigt würde?"
"Durchaus nicht", entgegnete
Chapelet; "vielmehr möchte ich sonst nirgends liegen
als eben bei Euch. Ihr habt
mir ja versprochen, für mich zu beten, und auch ohne das
habe ich von jeher
besondere Ehrfurcht für Euren Orden gehabt. Und so bitte
ich Euch, daß Ihr
Christi wahrhaftigen Leib, den Ihr diesen Morgen auf dem
Altare eingesegnet
habt, mir zusendet, sobald Ihr in Euer Kloster
zurückgekommen seid. Denn ich
denke ihn, wenn Ihr es gestattet, obgleich unwürdig, zu
genießen und dann die
letzte heilige Ölung zu empfangen, damit ich, wenn ich
als Sünder gelebt habe,
wenigstens als Christ sterben möge." Der heilige
Mann sagte, das sei wohl
gesprochen und er sei alles zufrieden. Das Sakrament
solle dem Kranken sogleich
gebracht werden. Und so geschah es.
Die beiden Brüder hatten sehr gefürchtet, Chapelet werde
sie täuschen, und sich
deshalb der Bretterwand nahe gesetzt, welche die Kammer,
in welcher der Kranke
lag, von der anstoßenden trennte. Hier hatten sie die
ganze Beichte belauscht
und bequem verstanden, was Chapelet dem Mönche gesagt.
Mehr als einmal reizten
die Geschichten, die sie ihn beichten hörten, sie so sehr
zum Lachen, daß wenig
daran fehlte, so wären sie damit herausgeplatzt. Dann
aber sagten sie wieder
zueinander: "Himmel, welch ein Mensch ist das, den
weder Alter noch Krankheit,
noch Furcht vor dem Tode, dem er sich nahe sieht, oder
vor Gott, vor dessen
Richterstuhl er in wenigen Stunden zu stehen vermuten
muß, von seiner
Verruchtheit haben abbringen und zu dem Entschluß führen
können, anders zu
sterben, als er gelebt hat." Indes, sie hatten
gehört, seine Leiche solle in der
Kirche aufgenommen werden, und um das Übrige kümmerten
sie sich nicht. - Herr
Chapelet empfing bald darauf das Abendmahl, dann, als
sein Befinden sich über
die Maßen verschlechterte, die letzte Ölung und starb
noch am Tage seiner
musterhaften Beichte, bald nach der Vesper.
Die beiden Brüder besorgten aus dem Nachlaß des
Verstorbenen ein anständiges
Begräbnis und meldeten den Todesfall im Kloster, damit
die Mönche, wie es der
Brauch ist, die Nachtwache bei der Leiche halten und sie
am andern Morgen
abholen sollten.
Der fromme Mönch, der sein Beichtiger gewesen war,
besprach sich, als er seinen
Tod vernahm, mit dem Prior des Klosters. Er ließ zum
Kapitel läuten und
schilderte den versammelten Mönchen, welch ein frommer
Mann Chapelet, seiner
Beichte zufolge, gewesen war. In der Hoffnung, daß Gott
durch ihn noch große
Wunder verrichten werde, überredete er sie, man müsse
diese Leiche notwendig
nmit besonderer Auszeichnung und Ehrfurcht empfangen. Der
Prior und die übrigen
Mönche pflichteten in ihrer Leichtgläubigkeit dieser
Meinung bei, und so gingen
sie denn sämtlich noch spät am Abend in das Haus, wo
Chapelets Leichnam lag, und
hielten über diesem eine große und feierliche Vigilie.
Am andern Morgen kamen sie alle, mit Chorhemden und
Mäntelchen angetan, die
Chorbücher in der Hand und die Kreuze voraus, um den
Leichnam mit Gesang zu
holen. Dann trugen sie ihn unter Gepränge und großer
Feierlichkeit in ihre
Kirche, und fast die ganze Einwohnerschaft des
Städtchens, Männer und Frauen,
schloß sich dem Zuge an. Als die Leiche in der Kirche
niedergesetzt worden war,
stieg der Geistliche, dem Chapelet gebeichtet hatte, auf
die Kanzel und
berichtete von des Verstorbenen frommem Leben, von seinem
Fasten, seiner
Keuschheit, seiner Einfalt, Unschuld und Heiligkeit die
wunderbarsten Dinge.
Unter anderm erzählte er, was Herr Chapelet ihm unter
Tränen als seine größte
Sünde gebeichtet und wie er ihn kaum zu überzeugen
vermocht habe, daß Gott ihm
auch diese vergeben werde. Dann begann er die Zuhörer zu
schelten und sagte:
"Ihr aber, ihr von Gott Verdammten, ihr lästert um
jedes Strohhalmes willen, der
euch zwischen die Füße kommt, Gott, seine Mutter und alle
Heiligen im
Paradiese." Außerdem sagte er noch viel von seiner
Herzensgüte und Lauterkeit.
Mit einem Wort, seine Reden, denen die Gemeinde
vollkommenen Glauben schenkte,
bemächtigten sich in solchem Maße der frommen Herzen der
Versammlung, daß alle,
sobald der Gottesdienst zu Ende war, sich untereinander
stießen und drängten, um
dem Toten Hände und Füße zu küssen. Die Kleider wurden
ihm auf dem Leibe
zerrissen; denn jeder hielt sich für glücklich, wenn er
einen Fetzen davon haben
konnte. In der Tat mußten die Mönche den Körper den
ganzen Tag über ausstellen,
daß ihn jedweder nach Gefallen beschauen konnte. In der
folgenden Nacht wurde er
in einer Kapelle ehrenvoll in einem Marmorsarge
bestattet, und schon am Tage
darauf fingen die Leute an, den Toten zu besuchen, zu
verehren und Lichter
anzuzünden. Mt der Zeit gelobten sie ihm Opfergaben und
begannen dann, ihrem
Versprechen gemäß, Wachsbilder aufzuhängen. Der Ruf
seiner Heiligkeit und seine
Verehrung wuchsen so sehr, daß nicht leicht jemand in
irgendeiner Gefahr einen
anderen Heiligen anrief als Sankt Chapelet, wie sie ihn
nannten und noch heute
nennen, und allgemein wird versichert, daß Gott durch ihn
gar viele Wunder getan
habe und deren noch täglich an jedem tue, der die
Fürsprache dieses Heiligen
andächtig erbitte.
So lebte und starb Herr Ciapperello von Prato und wurde
ein Heiliger, wie ihr
gehört habt. Daß es möglich ist, dieser Mensch sei
wirklich im Anschauen Gottes
selig, will ich allerdings nicht leugnen, denn so ruchlos
und abscheulich sein
Leben war, so kann er doch in den letzten Augenblicken
seines Lebens so viel
Reue empfunden haben, daß Gott sich vielleicht seiner
erbarmt und ihn in sein
Reich aufgenommen hat. Weil uns dies aber verborgen
bleibt, so spreche ich nach
dem, was uns offenbar ist, und sage, daß er vielmehr in
den Krallen des Teufels
verdammt als im Paradiese zu sein verdient. Verhält es
sich aber so, dann können
wir deutlich erkennen, wie unermeßlich Gottes Gnade gegen
uns ist, die nicht
unseren Irrtum, sondern die Lauterkeit unseres Glaubens
betrachtet, wenn wir
einen seiner Feinde in der Meinung, er sei sein Freund,
zum Mittler zwischen ihm
und uns machen und er uns erhört, als hätten wir uns
einen wahren Heiligen zu
unserem Fürsprecher bei seiner Gnade erwählt. Und so
empfehlen wir uns ihm denn
mit allem, was uns not ist, in der festen Überzeugung,
erhört zu werden, damit
er uns in diesem allgemeinen Elend und in dieser so
heiteren Gesellschaft im
Lobe seines Namens, in dem wir sie begonnen, gesund und
unversehrt erhalten
möge. Und damit schwieg Panfilo.
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