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Giovanni Boccaccio
Decameron

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    • 19. Novelle
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19. Novelle

 

 

 

Lodovico macht Frau Beatricen eine Liebeserklärung. Sie schickt ihren Mann in

ihrer Kleidung in den Garten und läßt den Lodovico unterdessen seinen Platz

einnehmen, welcher hernach aufsteht und den Gemahl im Garten verprügelt.

In Paris war vor nicht gar zu langer Zeit ein florentinischer Edelmann, den

seine zerrütteten Vermögensverhältnisse gezwungen hatten, ein Kaufmann zu

werden, und das Glück war ihm bei seinen Geschäften so günstig gewesen, daß er

ein sehr reicher Mann geworden war. Er hatte mit seiner Frau nur einen einzigen

Sohn, namens Lodovico. Weil er nun wünschte, daß dieser, seiner Geburt gemäß,

als ein Edelmann und nicht als Kaufmann sollte erzogen werden, so hatte er ihn

nie in ein Geschäft stecken wollen, sondern ihn mit andern jungen Edelknaben am

Hofe des Königs von Frankreich Dienst nehmen lassen, woselbst er seine Sitten

sehr vorteilhaft gebildet und viel Gutes gelernt hatte. Während dieser Zeit

kamen einmal einige Edelleute, die eben von einer Wallfahrt nach dem Heiligen

Grabe zurückkehrten, in eine Gesellschaft junger Leute, bei der sich auch

Lodovico befand; und indem sie von den schönen Frauen in Frankreich, England und

anderen Ländern sprachen, behauptete einer von ihnen, daß es auf dem weiten Rund

der Erde unter allen Frauen, die er gesehen hätte, keine schönere gäbe als

Madonna Beatrice, die Gemahlin des Egano de Galuzzi in Bologna. Eben dies

bestätigten auch alle seine Reisegefährten, die mit ihm in Bologna gewesen

waren. Lodovico, der das hörte und noch nie geliebt hatte, ward durch diese

Beschreibung so neugierig gemacht, sie zu sehen, daß er mit keinem anderen

Gedanken umging und es sich fest vornahm, nach Bologna zu reisen, um sie kennen

zu lernen und dazubleiben, wenn sie ihm gefiele. Er gab demnach gegen seinen

Vater vor, daß er nach dem Heiligen Grabe wallfahren wolle, und erhielt die

Erlaubnis dazu, nicht ohne viel Schwierigkeit. Unter dem angenommenen Namen

Anichino kam er nach Bologna; und das Glück fügte es so, daß er schon am

folgenden Tage bei einem öffentlichen Feste Beatrice zu sehen bekam, die er noch

weit schöner fand, als er sie sich vorgestellt hatte, und sich deswegen vornahm,

Bologna nicht eher zu verlassen, als bis er ihre Liebe gewonnen habe. Nachdem er

sich lange über die Mittel bedacht hatte, seinem Ziel näherzukommen, deuchte ihm

endlich das beste zu sein, von anderen Plänen abzusehen und bei ihrem Gemahl,

der eine sehr zahlreiche Dienerschaft unterhielt, Dienste zu nehmen. Er

verkaufte demnach seine Pferde, brachte seine Leute gehörig unter und befahl

ihnen, sich nie merken zu lassen, daß sie ihn kannten. Hierauf entdeckte er

seinem Wirte, daß er wohl Lust hätte, bei einem guten Herrn in Dienst zu gehen.

Der Wirt gab ihm zur Antwort. "Du scheinst mir gerade der Mann zu sein, um einem

gewissen Edelmann zu Bologna, namens Egano, willkommen zu sein. Er hält viele

Diener und sieht es gern, daß sie so manierlich aussehen wie du. Ich will mit

ihm sprechen."

Er hielt ihm auf der Stelle Wort und brachte es auch gleich bei der ersten

Unterredung dahin, daß Egano den Anichino in seine Dienste nahm, was diesem sehr

erfreulich war. Als er nun bei diesem angestellt war und öfter Gelegenheit

hatte, seine Gebieterin zu sehen, ließ er es sich angelegen sein, seinen Herrn

so aufmerksam zu. bedienen, daß er seine Liebe bald in einem solchen Grade

gewann, daß er nichts ohne ihn vornahm und ihm alle seine Angelegenheiten

anvertraute.

Einmal, Egano war auf die Reiherbeize geritten und Anichino. zu Hause geblieben,

setzte sich Beatrice (die zwar von seiner Liebe noch nichts ahnte, aber an

seinen Manieren viel Gefallen fand und ihm deswegen sehr zugetan war) mit ihm

zum Schachspiel, und Anichino, um ihr Vergnügen zu machen, wußte es sehr

 

geschickt so einzurichten, daß sie gewann, worüber sie große Freude hatte.

Während des Spieles hatten sich ihre Frauen eine nach der andern entfernt, und

sobald sie beide allein waren, tat Anichino einen tiefen Seufzer.

"Was ist dir, Anichino?" fragte Beatrice und sah ihn an. "Ist es dir so leid,

daß ich gewinne?"

"Ach, Madonna!" antwortete Anichino, "etwas viel Wichtigeres hat mir diesen

Seufzer ausgepreßt."

"So sage es mir, wenn du mich lieb hast", versetzte Beatrice.

Ein noch tieferer Seufzer als der erste entfuhr Anichino, als er die Worte "wenn

du mich lieb hast" von der hörte, die er über alles liebte. Beatrice bat ihn

deswegen nochmals, ihr zu sagen, worüber er seufze.

"Madonna," erwiderte Anichino, "ich fürchte, Ihr werdet mir zürnen, wenn ich es

Euch sage, und ich muß besorgen, daß Ihr es einer anderen Person wiedersagen

werdet."

"Ich verspreche dir," versetzte sie, "daß ich es nicht übelnehmen will, und du

kannst versichert sein, daß ich ohne deinen Willen von dem, was du mir

entdeckst, nie einem andern etwas wiedersagen werde."

"Wenn das ist, so will ich es Euch gestehen", sprach Anichino, und fast traten

ihm die Tränen in die Augen, als er ihr erzählte, wer er wäre, was er von ihr

gehört hätte und wo und wie er verliebt in sie geworden wäre und weswegen er

Dienst bei ihrem Gemahl genommen hätte. Zugleich bat er sie demütig, Mitleid mit

ihm zu haben und seiner ebenso feurigen als verschwiegenen Liebe, wenn es

möglich wäre, Gehör zu geben; oder wenn sie sich dazu nicht entschließen könne,

ihm wenigstens zu vergönnen, sie ferner in seinem bisherigen Verhältnis zu

verehren.

O du ausbündige, sanfte Wärme des bolognesischen Blutes! Wie bist du immer in

solcher Herzensqual zu preisen gewesen! Nie konntest du dein Auge weiden an den

Tränen, an den Seufzern der Liebenden; nie warst du taub gegen zärtliche Bitten,

sondern mit gütiger Herablassung kamst du jederzeit den Wünschen der

aufrichtigen Liebe entgegen. Wäre ich imstande, dich nach Verdienst zu rühmen,

so würde mein Mund nie von deinem Lobe schweigen.

Die edle Frau verwandte keinen Blick von Anichino, indem er sprach, und da sie

seinen Worten Glauben beimaß, wirkte die Liebe durch seine Bitten so mächtig auf

ihr Herz, daß auch sie sich bewegt fühlte und mit mehr als einem Seufzer ihm zur

Antwort gab: "Sei getrost, lieber Anichino! Mich haben zwar bisher weder

Geschenke noch Verheißungen, weder Bitten noch Schmeicheleien von Rittern und

Herren oder auch von anderen Personen zur Liebe reizen können, obwohl ich genug

Anfechtungen dieser Art gehabt habe und noch habe. Aber du hast mich durch deine

Worte in diesen wenigen Augenblicken mehr zu der Deinigen gemacht, als ich mir

selbst gehöre. Ich halte dich meiner Liebe vollkommen wert und will sie dir

gewähren, und ich verspreche dir, ehe die künftige Nacht zu Ende geht, dich ihre

Früchte genießen zu lassen. Komm um Mitternacht in meine Kammer, du wirst die

Tür offen finden. Du weißt, an welcher Seite des Bettes ich schlafe. Dort komm

hin, und wenn ich ja eingeschlummert wäre, so wecke mich nur mit einer leisen

Berührung und erwarte von mir den Lohn deiner langen Sehnsucht. Damit du mir

glaubst, so nimm diesen Kuß zum Unterpfand." Sie schlang ihm die Arme um seinen

Hals und küßte ihn so liebevoll wie Anichino sie. Nachdem sie das besprochen

hatten, ging Anichino weg, um seine Geschäfte zu besorgen, und erwartete mit

zärtlicher Ungeduld die kommende Nacht. Egano kam von seiner Jagd zurück, und

weil er sehr müde war, ging er bald nach dem Abendessen zu Bett, und seine

Gemahlin folgte ihm und ließ wie verabredet, die Kammertür offen. Anichino kam

um die bestimmte Zeit, trat leise in die Kammer, verschloß die Tür von innen,

ging an die Seite des Bettes, wo die Dame lag, und legte die Hand auf die Brust

der Dame, die er noch wachend antraf. Sie faßte mit ihren beiden Händen die

seinige und hielt ihn fest. Hierauf warf sie sich, immer ihn festhaltend, so

lange im Bett hin und her, bis ihr Gemahl erwachte. Als er wach war, sagte sie

zu ihm: "Ich habe dich heut abend nicht aufhalten wollen, weil ich glaubte, du

wärest müde, aber sage mir doch jetzt, ich bitte dich, wen hältst du wohl unter

allen deinen Dienern für den treuesten und für den, der dir am meisten ergeben

ist?"

"Was willst du mit dieser Frage sagen?" sprach Egano. "Weißt du das nicht

selbst? Ich glaube nicht, daß ich jemals einen treueren Bedienten gehabt habe

oder noch habe, auf den ich mehr Vertrauen setze, oder ihn lieber hätte, als

Anichino. Aber noch einmal, warum stellst du diese Frage?"

Als Anichino fand, daß Egano wache, und als er hörte, daß von ihm die Rede war,

versuchte er mehr als einmal, seine Hand wegzuziehen und sich zu entfernen, weil

er fürchtete, die Dame wolle ihn verraten; allein sie hielt ihn so fest, daß er

sich nicht loswinden konnte. Sie antwortete ihrem Gemahl: "Ich glaubte

ebenfalls, daß es sich so verhielte, wie du sagst, und daß er dir treuer wäre

als irgendein anderer; allein er selbst hat mir die Augen geöffnet. Denn als du

heute auf die Beize geritten warst, blieb er zu Hause, und wie er glaubte, er

hätte eine treffliche Gelegenheit gefunden, war er so unverschämt, von mir zu

verlangen, ich solle ihm zu Willen sein. Um mich der Mühe zu überheben, dich

davon weitläufig zu überführen, stellte ich mich, als ob ich dareinwillige, und

versprach ihm, um Mitternacht in den Garten zu kommen und ihn unter dem

Fichtenbaume zu erwarten. Du kannst wohl denken, daß ich nicht Lust habe,

hinzugehn. Willst du aber die Treue deines Dieners auf die Probe stellen, so

brauchst du nur eines von meinen Nachtkleidern anzulegen, einen Schleier über

den Kopf zu werfen und ihn im Garten zu erwarten; ich glaube nicht, daß er

ausbleiben wird."

"Das will ich doch wirklich sehen!" sprach Egano, stand auf, zog, so gut es im

Dunkeln ging, ein Nachtkleid seiner Frau an, hüllte sich in ihren Schleier und

ging in den Garten, um unter dem Fichtenbaum auf Anichino zu warten. Kaum war er

hinausgegangen, so stand auch sie auf und verriegelte die Tür von innen.

Anichino, der die größte Angst von der Welt ausgestanden, sich immer aus den

Händen der Dame loszuwinden gesucht und hunderttausendmal sie und seine Liebe,

sich selbst und seine Leichtgläubigkeit verwünscht hatte, war nunmehr außer sich

vor Wunder und Wonne und eilte, nachdem sie wieder zu Bett gegangen war und er

sich nach ihrem Wunsch entkleidet hatte, in die Arme seiner Geliebten, die ihn

mit den süßesten Freuden beglückte. Nachdem sie eine geraume Zeit zusammen

zugebracht hatten und die Dame glaubte, daß es für Anichino Zeit wäre, sich

wegzubegeben, ließ sie ihn sich wieder ankleiden und sagte zu ihm: Jetzt, mein

Lieber, versieh dich mit einem tüchtigen Stock, geh in den Garten und stell

dich, als wenn du meinen Mann für mich hieltest und mich mit deinem Liebesantrag

nur hättest in Versuchung führen wollen. Überhäufe ihn mit Vorwürfen und präge

sie ihm ein mit dem Knüttel, es wird uns zu nicht geringem Nutzen und Vergnügen

gereichen."

Anichino stand auf, nahm einen schlanken Weidenstock mit und ging in den Garten.

Als er sich dem Fichtenbaum näherte, und Egano ihn gewahr ward, ging ihm dieser

entgegen, als wenn er ihn mit Freuden empfangen wollte.

"Ehrvergessenes Weib!" schrie Anichino ihn an. "Bist du denn wirklich gekommen

und hast geglaubt, daß es mir jemals einfallen könne, diese Schandtat an meinem

Herrn zu begehen? Aber warte, du sollst mir tausendmal dein böses Stündlein

verfluchen, das dich hergeführt hat." Damit erhob er seinen Stock und fing an,

Egano die Schultern damit zu messen. Kaum hörte dieser seine Worte und fühlte

den Knüttel, so lief er, ohne einen Laut von sich zu geben, aus Leibeskräften

davon. Anichino verfolgte ihn und rief noch immer: "Daß dich der Teufel hole, du

liederliches Weibsstück! Warte nur, ich will morgen Egano von deinen Streichen

erzählen."

Egano, der ein paar tüchtige Hiebe davongetragen hatte, lief so geschwind als

möglich in seine Kammer zurück, und seine Frau empfing ihn mit der Frage, ob

Anichino sich eingestellt habe.

"Ich wollte, er wäre weggeblieben", sprach Egano. "Er hielt mich für dich und

hat mir mit einem Knüttel die Rippen weichgedroschen und mir alle

niederträchtigen Schmähworte gesagt, die man einem liederlichen Weibsstück nur

sagen kann. Es hätte mich auch gewundert, daß er dir einen solchen Antrag sollte

gemacht haben, in der ernstlichen Absicht, mich zu beleidigen; aber dein

munteres und fröhliches Wesen hat ihn vermutlich auf den Einfall gebracht, dich

in Versuchung zu führen.

"Gott sei Dank," sprach Beatrice, "daß er mich nur mit Worten und dich mit der

Tat geprüft hat! Er wird gewiß denken, daß ich die Worte geduldiger ertragen

habe als du die Taten. Weil er dir denn wirklich so treu ist, so müssen wir ihn

lieb und in Ehren halten."

"Du hast recht", sprach Egano und glaubte von nun an, vollgültige Beweise

empfangen zu haben, daß er die keuscheste Frau und den treuesten Diener hätte,

deren sich jemals ein Edelmann hätte erfreuen können. Er selbst scherzte hernach

noch oft mit seiner Gemahlin und mit Anichino über diesen Auftritt, und diese

gewannen dadurch bequemere Gelegenheit, als sie sonst vielleicht gefunden

hätten, zu tun, woran sie Freude und Lust fanden, solange Anichino es noch

gefiel, bei Egano in Bologna zu bleiben.

 

 

 

 

 




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