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Giovanni Boccaccio
Decameron

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    • 22. Novelle
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22. Novelle

 

 

Der Propst zu Fiesole verliebt sich in eine hübsche Witwe, die ihn aber nicht

ausstehen kann. Er meint, bei ihr zu schlafen, und liegt bei ihrer Magd, bei

welcher ihn auf Anstiften der Brüder der Dame sein Bischof antrifft.

Das uralte Fiesole war einst eine sehr berühmte und bedeutende Stadt, während es

jetzt ganz heruntergekommen ist; inzwischen hat es jedoch nie aufgehört,

Bischofssitz zu sein, und ist es auch noch jetzt. Dort besaß nahe bei der

Stiftskirche eine adlige Witwe namens Madonna Picarda ein Grundstück mit einem

kleinen Wohnhause, wo sie sich, weil sie nicht reich war, den größten Teil des

Jahres aufhielt und ihre zwei Brüder, ein paar sehr artige und wohlerzogene

Leute, bei sich hatte. Da sie nun immer die Stiftskirche zu besuchen pflegte, so

fügte es sich, weil sie noch jung, schön und liebenswürdig war, daß der Propst

dieser Kirche sich bis über die Ohren in sie verliebte. Nach einiger Zeit war er

so dreist, ihr seine Wünsche selbst zu erkennen zu geben und sie zu bitten sich

seine Liebe gefallen zu lassen und ihm ihre Gegenliebe zu schenken. Er war schon

ein ältlicher Mann, aber von Johannistrieben heftig geplagt, dabei sehr stolz

und vermessen und bildete sich nicht wenig ein auf seine Sitten und Manieren,

obwohl er der abgeschmackteste Mensch von der Welt und so widerlich und

unausstehlich war, daß ihn niemand leiden konnte; am allerwenigsten diese Dame,

die ihm nicht nur nicht hold war, sondern ihn ärger haßte als das Kopfweh. Als

eine gescheite Frau gab sie ihm indessen zur Antwort: "Ehrwürdiger Herr, ich

kann es mir gern gefallen lassen, daß Ihr mich liebt, und ich bin verpflichtet,

Euch wiederzulieben, und will Euch auch gern lieben; aber Eure Liebe und die

meinige darf nie Unerlaubtes zum Endzweck haben. Ihr seid mein geistlicher Vater

und seid ein Priester, und Ihr geht dem Alter mit ziemlich schnellen Schritten

entgegen; deswegen müßt Ihr keusch und züchtig leben. Andererseits bin ich

selbst auch kein Kind mehr, daß dergleichen Liebeleien sich für mich schickten;

und noch dazu bin ich eine Witwe, und Ihr wißt wohl, wie ehrbar die Witwen sich

halten müssen. Nehmt mir's also nicht übel, daß ich Euch nicht auf die Weise

lieben oder mir Eure Liebe gefallen lassen kann, wie Ihr von mir verlangt."

Der Propst, obwohl er für diesmal von ihr nichts weiter erlangen konnte, ließ

sich dennoch durch diesen ersten Mißerfolg nicht irre machen, sondern fuhr mit

unverschämter Hartnäckigkeit fort, sie mit Briefen und Botschaften zu bestürmen

und sie selbst anzusprechen, so oft sie in die Kirche kam. Da ihr nun seine

Zudringlichkeit gar zu beschwerlich und verdrießlich ward, so nahm sie . sich

vor, ihn sich auf eine solche Art wie er es verdient, vom Halse zu schaffen, da

sie es auf eine andere Weise nicht bewerkstelligen konnte; doch wollte sie

nichts ohne Wissen ihrer Brüder vornehmen. Diesen er zählte sie demnach das

Benehmen des Propstes gegen sie und sagte ihnen zugleich, was sie willens wäre

zu tun. Als sie damit zufrieden waren, ging sie nach einigen Tagen wieder in die

Kirche, wie sie gewohnt war. Sobald der Propst sie gewahrte, kam er zu ihr und

fing an, seiner Gewohnheit nach ein sehr vertrauliches Gespräch mit ihr

anzuknüpfen. Sie machte ein sehr freundliches Gesicht, sobald sie ihn nur kommen

sah, ging mit ihm auf die Seite, und nachdem der Propst ihr einige von seinen

gewöhnlichen Redensarten vorgeschwatzt hatte, gab sie ihm mit einem tiefen

Seufzer zur Antwort: "Ehrwürdiger Herr, ich habe oft gehört, keine Festung sei

so stark, daß sie nach einer anhaltenden Belagerung sich nicht endlich ergeben

müßte, und ich finde, daß dieses mir selbst begegnet ist. Ihr habt mir bald mit

Euren einnehmenden Reden, bald mit diesen, bald mit jenen Gefälligkeiten so

lange zugesetzt, daß Ihr mich endlich bewogen habt, meinen Vorsatz aufzugeben,

und weil Ihr so großes Wohlgefallen an mir findet, so bin ich entschlossen, mich

Euch zu ergeben."

Fröhlich antwortete der Propst: "Madonna, ich danke Euch herzlich. Ich habe mich

wahrlich nicht wenig gewundert, daß Ihr solange gegen mich ausgehalten habt,

weil mir das noch mit keiner andern begegnet ist; vielmehr habe ich mir schon

oft gesagt, wenn die Frauen aus Silber wären, so taugten sie nicht in die Münze,

weil sie die dauernde Bearbeitung mit dem Hammer nicht ertragen können. Doch

sage mir nun, wann und wo können wir zusammen sein?"

"Liebster Herr," antwortete sie, "das 'wann' würde sich wohl finden, sobald wir

nur wollen, da ich keinen Mann habe, dem ich von meinen Nächten Rechenschaft

geben müßte; allein das 'wo' scheint mir schwierig."

"Warum denn?" sprach der Propst. "Ich dächte in Eurem Hause."

"Ehrwürdiger Herr," versetzte die Dame, "Ihr wißt, ich habe zwei Brüder, junge

Leute, die bei Tage und bei Nacht ihre Freunde zu sich kommen lassen, und unser

Haus ist nur klein. Ich könnte Euch demnach nicht anders zu mir kommen lassen

als im Dunkeln, Ihr müßtet wie ein Blinder Euch vorwärtstasten und so stumm sein

wie ein Fisch und keinen Laut von Euch geben. Wenn Ihr das wolltet, so könnte es

angehen; denn sie betreten nie mein Zimmer; das ihrige stößt nur so dicht daran,

daß man das leiseste Wort, das gesprochen wird, hören kann."

"Madonna," sprach der Propst, "für eine Nacht oder zwei soll es mir darauf nicht

ankommen, bis ich Maßregeln getroffen habe, daß wir uns mit mehr Bequemlichkeit

an einem andern Ort sprechen."

"Gut, ehrwürdiger Herr," antwortete die Dame, "es steht bei Euch; aber um eins

muß ich Euch noch bitten, daß Ihr die Sache geheim haltet, und daß niemand ein

Sterbenswort davon erfährt."

"Seid deswegen unbesorgt", sprach der Propst, "und macht, wenn's möglich ist,

daß wir noch diesen Abend zusammen kommen."

"Ich bin's zufrieden`, sprach sie und verabredete mit ihm, wie und wann er

kommen sollte; worauf sie nach Hause ging. Nun hatte sie eine Magd, die nicht

mehr war und von Gesicht und Gestalt so häßlich, wie jung man sie sich nur

denken kann; denn sie hatte eine platte Nase, ein schiefes Maul, aufgeworfene

Lippen, lange, schwarze und übelgepflanzte Zähne. Sie hatte Triefaugen und

schielte und sah so grün und gelb aus, als wenn sie den Sommer nicht in dem

guten Klima von Fiesole, sondern in den Sümpfen von Sinigagli zugebracht hätte.

übrigens war sie hüftlahm und hinkte an der rechten Seite. Ihr Name war Ciuta;

weil sie aber so grundhäßlich war, so ward sie von jedermann Ciutazza genannt;

bei all ihrer Häßlichkeit hatte sie jedoch als Gegengewicht ein wenig Bosheit im

Leibe. Diese rief die Dame zu sich und sagte ihr: "Ciutazza, wenn du mir diesen

Abend einen Dienst leisten willst, so kannst du dir ein hübsches neues Hemd bei

mir verdienen." ..Ein neues Hemd?" sprach Ciutazza mit Freuden. "Dafür könnt Ihr

mich durch Feuer schicken, wieviel mehr sonst wohin!"

..Gut," sprach die Dame, "du sollst diese Nacht mit einem Mann in meinem Bett

schlafen und ihn zärtlich liebkosen; aber hüte dich, daß du einen Laut von dir

gibst, damit dich meine Brüder nicht hören, die, wie du weißt, dicht daneben

schlafen; so sollst du hernach das Hemd bekommen."

"Mit sechsen, wenn's darauf ankommt, lieber als mit einem", sprach Ciutazza.

Kaum war der Abend gekommen, so kam auch der Herr Propst laut Abrede. Die beiden

jungen Herren waren auf Anstiften der Dame in ihrem Zimmer und ließen ihre

Stimme hören. Der Propst schlich also im Dunkeln und in aller Stille in die

Kammer der Dame und, wie sie ihm beschrieben hatte, auf ihr Bett zu, und

Ciutazza, welche sie von allem unterrichtet hatte, kam von der anderen Seite.

Der Herr Propst, im Glauben, seine Dame vor sich zu haben, umarmte und küßte

sie, ohne ein Wort zu sagen, und Ciutazza küßte ihn ebenso. Dann begann er sich

mit ihr zu vergnügen und nahm Besitz von den lang ersehnten Schätzen. Als dieses

geschehen war, ging die Dame zu ihren Brüdern und bat sie, das übrige zu

veranstalten, was sie verabredet hatten. Diese gingen demnach leise aus dem

Zimmer nach dem Markt, und der Zufall begünstigte ihre Absicht über ihre

Erwartung. Denn weil der Abend schwül war, so hatte der Bischof, den sie zu sich

bitten wollten, schon nach ihnen gefragt, um sich bei ihnen auf einen kühlen

Trunk zu Gast zu bitten. Er sagte ihnen sein Anliegen, sobald er sie kommen sah,

ging mit ihnen nach Hause und setzte sich mit ihnen in ihrem Hofe im Kühlen

nieder, wo er beim Fackellicht mit Vergnügen ihren guten Wein kostete. Nachdem

er getrunken hatte, sagten die Jünglinge: "Messer, da Ihr so gütig gewesen seid,

uns in unserer bescheidenen Hütte zu besuchen, wie wir Euch eben einladen

wollten, so laßt es Euch auch noch gefallen, etwas anzusehen, das wir Euch zu

zeigen haben."

"Sehr gern", sprach der Bischof. Einer von den jungen Herren nahm hierauf eine

brennende Fackel in die Hand und ging geradeswegs in die Kammer, wo der Propst

bei Ciutazza lag, und der Bischof und die übrige Gesellschaft folgten ihm nach.

Der Propst, der, um desto eher anzukommen, seinen Gaul tüchtig gespornt und,

bevor sie erschienen, schon drei Meilen zurückgelegt hatte, war darüber so müde

geworden, daß er, der großen Hitze ungeachtet, in den Armen der Schönen

eingeschlafen war. In dieser Lage

zeigte ihn der Jüngling, die Fackel über ihn haltend, mit Ciutazza im Arm dem

Bischof und der ganzen Gesellschaft, als sie in die Kammer traten. Plötzlich

erwachte der Propst, und als er das Licht und die vielen Menschen sah, verbarg

er vor Furcht und Scham sein Gesicht unter der Decke. Der Bischof machte ihn

indessen ohne Barmherzigkeit herunter und befahl ihm, den Kopf aufzuheben und zu

sehen, bei wem er gelegen hatte. Als der Propst den Betrug inneward, grämte er

sich sehr darüber und über die Schande, die er sich zugezogen hatte. Der Bischof

befahl ihm, sich anzukleiden, und schickte ihn unter gehöriger Bewachung nach

Hause, wo er ihm für sein Verbrechen schwere Buße auferlegte. Weil er neugierig

war, zu wissen, wie der Propst zu der Ciutazza ins Bett gekommen wäre, so

erzählten es ihm die jungen Leute mit allen Umständen. Darüber lobte der Bischof

nicht nur die Dame, sondern auch ihre Brüder, die ihre Hände nicht mit

Priesterblut besudelten und dennoch den Propst nach Verdienst gezüchtigt hatten.

Diesem legte der Bischof eine vierzigtägige Buße auf; allein Zorn und Liebe

machten, daß er seine Torheit länger als sieben Wochen beweinte. Überdies konnte

er sich hernach lange Zeit nicht auf der Straße zeigen, ohne daß die Kinder mit

Fingern auf ihn wiesen und ihm nachriefen: "Da geht der, der bei der Ciutazza

geschlafen hat." Dies verdroß ihn so sehr, daß er fast rasend darüber werden

wollte.

So schaffte die kluge Dame sich den lästigen Propst, der ihr so viel Ärger

bereitet hatte, vom Halse, und Ciutazza gewann dabei ein neues Hemd und eine

fröhliche Nacht.

 

 

 




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