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Giovanni Boccaccio
Decameron

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    • 5. Novelle
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5. Novelle

 

 

Masetto von Lamporecchio stellt sich dumm, wird Gärtner in einem Nonnenkloster,

wo die Nönnchen eine nach der andern bei ihm liegen.

Es stand einmal und steht noch heute in unserer Gegend im Geruch der Heiligkeit

ein Nonnenkloster, das ich aber, um seinem guten Leumund keinen Abbruch zu tun,

nicht nennen will, woselbst vor nicht gar langer Zeit, als in ihm nicht mehr als

acht Nonnen nebst ihrer Äbtissin, lauter junge Geschöpfe, sich befanden, ein

braver Mann als Gärtner in Diensten stand, dem sein geringer Lohn nicht genügte;

daher er mit dem Kastellan des Klosters abrechnete und nach Lamporecchio, wo er

zu Hause war, zurückkehrte. Hier befand sich unter mehreren, die ihn

bewillkommten, ein junger, starker, rüstiger Bauer, und zugleich ein recht

hübscher Bursche für einen Bauersmann, namens Masetto, der ihn fragte, wo er so

lange sich umhergetrieben hätte. Der gute Gärtner, der Nuto hieß, sagte es ihm,

und Masetto fragte ihn darauf, was sein Amt im Kloster gewesen wäre.

Nuto antwortete: "Ich hatte den schönen, großen Garten zu bestellen, und

überdies ging ich zuweilen in den Wald, um Holz zu holen, trug Wasser und

verrichtete allerhand andere kleine Geschäfte; allein die Weiber bezahlten mich

so schlecht, daß ich mir kaum die Schuhe konnte flicken lassen. überdies sind's

lauter junge Dinger, die, wie ich glaube, den Teufel im Leibe haben. Denn man

kann ihnen nichts recht machen. Wenn ich bisweilen im Garten zu tun hatte, so

kam die eine und sprach: 'Setzt das dorthin', die andere: 'Setzt das dorthin';

wieder eine andere nahm mir die Hacke aus der Hand und fand bald dieses, bald

jenes nicht recht gemacht. So schoren sie mich so lange, bis ich die Arbeit

liegen ließ und davonging. Um dieser und anderer Ursachen willen wollte ich

nicht bleiben, sondern nahm meinen Abschied. Der Kastellan bat mich zwar, als

ich wegging, ich möcht' ihm doch einen andern Arbeiter verschaffen, wenn es sich

so treffe, und ich hab' es ihm auch zugesagt; aber er kann lange warten, bis ich

ihm jemand auftreibe und schicke."

Als Masetto den Nuto so reden hörte, wandelte ihn eine große Lust an, bei den

Nonnen zu dienen, weil er aus seinen Worten schloß, daß er wohl mit ihnen

zurechtkommen würde. Weil er aber fürchtete, sein Plan möge scheitern, wenn er

sich davon gegen Nuto etwas merken ließe, so sprach er zu ihm: "Ach, du hast

recht getan, daß du weggegangen; denn was hat man davon, bei Weibern zu dienen?

Lieber bei Teufeln. Sechsmal von sieben wissen sie selbst nicht, was sie

wollen." Sobald aber die Unterredung vorbei war, sann Masetto gleich auf ein

Mittel, zu den Nonnen zu kommen. Da er sich tüchtig fühlte, alles zu verrichten,

was Nuto getan hatte, so blieb ihm nur der einzige Zweifel übrig, daß man ihn

vielleicht deswegen nicht annehmen würde, weil er zu jung und zu hübsch wäre.

Nach langem Hin- und Hersinnen dachte er endlich: Das Kloster ist ziemlich weit

von hier, und niemand kennt mich da; wenn ich mich stelle, als wenn ich stumm

wäre, so nimmt man mich sicherlich. In dieser Hoffnung warf er seine Axt auf die

Schulter und wanderte, ohne jemand ein Wort zu sagen, in ärmlicher Kleidung nach

dem Kloster, ging hinein und fand zufälligerweise den Kastellan im Hofe, den er

nach der Art der Stummen durch Gebärden um etwas zu essen bat und ihm zu

verstehen gab, daß er dafür, wenn es verlangt würde, Holz hacken wolle. Der

Kastellan gab ihm gerne zu essen und wies ihm darauf einige Klötze an, mit denen

Nuto nicht fertiggeworden war, die aber Masetto, als ein kraftvoller Bursche, in

kurzer Zeit klein kriegte. Der Kastellan nahm ihn darauf mit sich in den Wald,

ließ ihn Holz fällen und machte ihm durch Gebärden verständlich, einen Esel, den

er ihm vorführte, damit zu beladen und nach dem Kloster zu treiben. Masetto

richtete alles gehörig aus, und weil im Kloster noch manches zu erledigen war,

so behielt der Kastellan ihn noch einige Tage bei sich im Hause, wo ihn eines

Tages von ungefähr die Äbtissin bemerkte und den Kastellan fragte, wer der

Mensch wäre.

"Madonna," sprach der Kastellan, "es ist ein armer Taubstummer, der hier vor

einigen Tagen um Almosen bettelte. Ich habe ihn verpflegt und ihn dafür

allerhand notwendige Arbeit verrichten lassen. Wenn er es verstände, im Garten

zu arbeiten, und er wollte hier bleiben, so glaube ich, wir würden gut mit ihm

bedient sein, denn wir brauchen einen Gärtner; der Bursch ist rüstig, und man

könnte mit ihm machen, was man wollte, ohne zu besorgen, daß er mit Euren Nonnen

scharmuziere."

"Du hast wahrlich nicht unrecht", sprach die Äbtissin. "Sieh zu, ob er sich zu

der Arbeit schickt, und gib dir Mühe, ihn hierzubehalten. Schenk ihm ein Paar

Schuhe und einen alten Rock, schmier ihm Honig um den Bart und gib ihm gut zu

essen."

Der Kastellan versprach es, und Masetto, der nicht weit von ihnen war und sich

stellte, als ob er den Hof kehrte, hörte die Unterredung mit an und dachte:

"Wenn ihr mich nur ins Haus nehmt, so will ich euch euren Garten bearbeiten, wie

er in eurem Leben nicht ist bearbeitet worden." Da ihn nun der Kastellan zur

Arbeit tüchtig fand und durch Zeichen und Gebärden von ihm verstanden hatte, daß

er bereit wäre, alles zu tun, was man von ihm verlangte, nahm er ihn an, zeigte

ihm, daß er den Garten bestellen und was er dabei machen sollte, und ließ ihn

darauf bei seiner Arbeit, um seine eigenen Geschäfte im Kloster zu besorgen.

Als Masetto nun täglich im Kloster arbeitete, fingen die Nönnchen bald an, ihn

bei seiner Arbeit zu necken, ihm allerhand kleine Streiche zu spielen, wie die

Leute den Stummen wohl zu tun pflegen, und ihm die leichtfertigsten Worte von

der Welt zu sagen, weil sie glaubten, er verstände sie nicht. Die Äbtissin

bekümmerte sich wenig oder nicht darum, denn sie glaubte vielleicht, ihm fehle

etwas anderes geradeso als die Sprache.

Wie er nun eines Tages sich abgerackert und sich niedergelegt hatte, um

auszuruhen, nahten sich zwei junge Nonnen, und weil er sich stellte, als wenn er

schliefe, fingen sie an, ihn zu betrachten, und die eine, die etwas dreister war

als die andere, sprach zur anderen: "Wenn ich mich auf dich verlassen könnte, so

wollte ich dir einen Gedanken anvertrauen, der mir schon oft eingefallen ist,

und der vielleicht dir selbst mit zustatten kommen könnte."

"Sag's nur getrost," sprach die andere, "von mir soll keine Seele etwas

erfahren."

"Ich weiß nicht," versetzte jene, "ob du schon darüber nachgesonnen hast, wie

strenge man uns hier hält. Kein männliches Wesen darf zu uns hereinkommen, außer

unserem Klosterverwalter, der ein Greis ist, und diesem Stummen. Und ich habe

doch von manchen Frauen, die uns besuchen, gehört, daß alle Wonnen der Welt

nichts sind gegen die, die das Weib beim Manne genießt. Weil ich das nun sonst

nirgends erfahren kann, so ist mir schon oft eingefallen, mit diesem Stummen zu

probieren, ob es wirklich wahr sei. Er eignet sich besser als jeder andere Mann

dazu, denn er muß verschwiegen sein wie das Grab, ob er nun will oder nicht. Du

siehst, er ist ein großer einfältiger Bengel, der länger ist als sein Verstand.

Nun möchte ich gern hören, was du davon hältst?" "Herrjemine, was sprichst du!"

sagte die andere. "Weißt du denn nicht, daß wir unsere Jungfräulichkeit dem

lieben Herrgott gelobt haben?"

"Ei was!" versetzte jene. "Wie viele Dinge werden ihm nicht alle Tage gelobt,

die niemand hält? Wenn wir sie ihm gelobt haben, so wird sich schon die eine

oder andere finden, von der er sie als Ersatz der unseren erhält."

"Aber wenn die Sache nun Folgen hätte?"

"Du denkst an die Folgen, ehe sie da sind", sprach die erste wieder. "Kommt

Zeit, kommt Rat, und es gibt tausend Mittel, es zu verheimlichen, wenn wir uns

selbst nicht verplappern."

Die andere, die ohnehin schon mehr als ihre Gespielin begierig war, zu erfahren,

was der Mann für ein Tier wäre, fragte jene, wie sie's denn anfangen wollten.

"Du siehst," sprach jene, "es geht gegen drei Uhr nachmittags, und ich glaube,

daß außer uns schon alle Schwestern schlafen. Laß uns indessen wohl zusehen, ob

noch jemand im Garten ist, und wenn wir niemand finden, was haben wir dann

weiter zu tun, als daß wir den Burschen bei der Hand nehmen und mit ihm hier in

die Hütte gehen, wo man vor dem Regen untertritt? Solange die eine mit ihm

drinnen ist, muß die andere Schildwache halten. Er ist so einfältig, daß wir mit

ihm machen können, was wir wollen."

Masetto hörte ihre ganze Verabredung, und mit dem besten Willen zu gehorchen,

wartete er, daß ihn eine von den beiden abholte. Als sie sich aufmerksam

umgesehen hatten und fanden, daß niemand sie belauschen könnte, nahte sich ihm

diejenige, welche zuerst den Vorschlag gemacht hatte, und weckte ihn. Er stand

auf; sie nahm ihn liebkosend bei der Hand, und einfältig lachend ließ er sich

nach der Hütte führen, wo er sich nicht lange bitten ließ, zu tun, was man von

ihm begehrte. Sobald er die Wünsche der einen befriedigt hatte, machte sie als

treue Schwester ihrer Gespielin Platz, und Masetto stellte auch diese zufrieden

und spielte dabei immer die Rolle des Blödsinnigen. Die Nönnchen ließen es nicht

bei diesem ersten Versuche, die Reitkunst des Stummen zu erproben, bewenden und

gestanden einander im Vertrauen, man habe ihnen nicht zuviel davon gerühmt. Sie

wußten sich demnach günstige Stunden auch ferner zunutze zu machen, um sich mit

dem Stummen die Zeit lüstern und lustig zu vertreiben.

Einmal begab es sich, daß eine von den anderen Nonnen aus dem Fenster ihrer

Zelle den Handel gewahr ward und noch zwei anderen zeigte, was vorging. Sie

dachten zuerst daran, der Äbtissin alles zu verraten. Doch besannen sie sich

eines Bessern und beackerten mit ihren beiden Gespielinnen gemeinsam Masettos

Acker. Durch Zufall wurden auch die drei übrigen Nonnen Teilnehmerinnen an dem

Geheimnis, so daß nur noch die Äbtissin die einzige war, die nichts davon wußte.

Indem nun diese einmal, wie es schwül war, allein im Garten wandelte, fand sie

Masetto, den die Reitübungen der Nacht mehr als die Arbeiten des Tages ermüdet

hatten, unter einem Mandelbaume liegen. Der Wind hatte ihm die leichten Kleider

vorne ganz zurückgeweht, so daß er bloß dalag und die Äbtissin, die sich allein

befand, einiges sehen ließ, das in ihr die gleichen Begierden weckte, die ihre

Nonnen überfallen hatten. Sie weckte den Schläfer, nahm ihn mit in ihre Zelle

und ließ ihn in einigen Tagen nicht von sich; zum nicht geringen Verdruß der

Nonnen, die sich sehr beklagten, daß der Gärtner nicht kam und ihren Garten

begoß. Die Äbtissin überließ sich unterdessen dem Vergnügen, welches sie

vielleicht oft an anderen getadelt hatte. Endlich beurlaubte sie den Gärtner,

und er ging wieder nach seiner Hütte. Weil sie ihn jedoch oft und oft zu ihrer

Lust wiederkommen hieß und mehr als ihren billigen Anteil von ihm verlangte,

besorgte Masetto, dem es auf die Dauer unmöglich war, so viele Frauen

gleichzeitig zu befriedigen, sein Verstummen möchte ihm in der Länge teuer zu

stehen kommen. Er fand demnach für gut, wie er an einem Abend bei der Äbtissin

lag, sich den Zungenriemen zu lösen, und sagte: "Madonna, man pflegt zu sagen,

ein Hahn sei genug für zehn Hühner, aber zehn Männer kaum für ein Weib; wie soll

ich es denn aushalten, da ich hier neunen dienen muß? Ich bin durch das, was ich

bisher geleistet habe, ganz heruntergekommen. Ich kann weder wenig noch viel

mehr leisten. Haltet Maß, setzt der Sache ein Ziel oder laßt mich in Gottes

Namen ziehen."

Die Äbtissin erstaunte, da sie den vermeinten Taubstummen reden hörte. "Was ist

das?" rief sie. "Ich dachte, du wärest stumm?"

"Das war ich auch," sprach Masetto, "aber nicht von Natur, sondern eine

Krankheit hatte mich der Sprache beraubt; und erst heute habe ich, dem Himmel

sei Dank, sie wiedererhalten."

Sie glaubte ihm und fragte, was er damit sagen wolle, daß er neunen dienen

müßte. Masetto erzählte ihr alles und nun ward die Äbtissin gewahr, daß sie

keine Nonne in ihrem Kloster hatte, die nicht viel gescheiter war als sie

selbst. Sie faßte demnach den klugen Entschluß, sich mit ihren Nonnen und mit

Masetto so abzufinden, daß dem Kloster kein Schimpf daraus erwüchse. Weil um

dieselbe Zeit ihr alter Kastellan gestorben war, kamen sie überein, nachdem sie

einander alles, was sich unter ihnen zugetragen, gebeichtet hatten, ihr

Einverständnis mit Masetto den Leuten der Umgegend vorzureden, durch ihr Gebet

und die Hilfe der Heiligen, nach dem das Kloster benannt war, hätte der

taubstumme Masetto Gehör und Sprache wiedergewonnen. Sie machten ihn zu ihrem

Kastellan und führten seine Pflichten auf ein erträgliches Maß zurück. Obwohl er

auf diese Art manchen kleinen Mönch erzeugte, so hatte doch die Sache im stillen

ihren Fortgang, bis erst nach dem Tode der Äbtissin etwas davon ruchbar wurde.

Damals war Masetto schon alt, und es wandelte ihn die Lust des Alters an, mit

dem erworbenen Reichtum in die Heimat zurückzukehren. Sein Wunsch wurde ihm

gewährt. So kehrte Masetto betagt und reich und Vater von Kindern mit denen er

weder Mühe noch Kosten gehabt hatte, in die Heimat zurück, von der er, ein Beil

auf dem Buckel, ausgegangen war, und erzählte jedem, der es hören oder nicht

hören wollte, so verfahre Christus mit denen, die ihm Hörner aufsetzen.

 

 

 




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