SIEBENTES KAPITEL
DER BISCHOF ANGESICHTS DER
AKTUELLEN HERAUSFORDERUNGEN
»Habt Mut: Ich habe die Welt besiegt« (Joh 16, 33)
66. In der Heiligen Schrift wird
die Kirche mit einer Herde verglichen, »als deren künftigen Hirten
Gott selbst sich vorherverkündigt hat. Wenngleich ihre Schafe von
menschlichen Hirten geleitet werden, so werden sie dennoch immerfort von
Christus, dem guten Hirten und dem Ersten der Hirten, geführt und
genährt« .277 Ist es nicht Jesus selber, der
seine Jünger als pusillus grex bezeichnet und sie auffordert, sich
nicht zu fürchten, sondern Hoffnung zu hegen? (vgl. Lk 12, 32).
Diese Aufforderung an seine
Jünger hat Jesus mehrmals wiederholt: »In der Welt seid ihr in
Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt!« (Joh 16,
33). Als er im Begriff war, zum Vater zurückzukehren, sagte er zu den
Aposteln, nachdem er ihnen die Füße gewaschen hatte: »Euer Herz
lasse sich nicht verwirren« , und fügte hinzu: »Ich bin der Weg
[...]; niemand kommt zum Vater außer durch mich« (Joh 14, 1- 6).
Auf diesen Weg, der Christus ist, hat sich die kleine Herde, die Kirche,
begeben, und er ist es, der Gute Hirt, der sie führt: »Wenn er alle
seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus, und die Schafe folgen
ihm; denn sie kennen seine Stimme« (Joh 10, 4).
Nach dem Bilde Jesu Christi und
auf seinen Spuren geht auch der Bischof hinaus, um ihn der Welt zu
verkündigen als den Retter des Menschen, jedes Menschen. Als Missionar des
Evangeliums handelt er im Namen der Kirche, die in der Tugend der
Menschlichkeit erfahren und den Menschen unserer Zeit nahe ist. Darum hat der
Bischof, stark in der Radikalität des Evangeliums, auch die Pflicht, die
falschen Anthropologien zu entlarven, die von ideologischen Prozessen
erdrückten Werte herauszustellen und die Wahrheit kenntlich zu machen. Er
weiß, daß er mit dem Apostel wiederholen kann: »Dafür
arbeiten und kämpfen wir, denn wir haben unsere Hoffnung auf den
lebendigen Gott gesetzt, den Retter aller Menschen, besonders der
Gläubigen« (1 Tim 4, 10).
Die Tätigkeit des Bischofs
wird also von jener parresía gekennzeichnet sein, die Frucht des
Wirkens des Geistes ist (vgl. Apg 4, 31). Während der Bischof
über sich selbst hinausgeht, um Jesus Christus zu verkündigen, nimmt
er vertrauensvoll und mutig seine Sendung auf, weil er tatsächlich factus
pontifex, zur »Brücke« geworden ist, die zu jedem Menschen
hinführt. In der Nachfolge Jesu, der sagt: »Ich habe noch andere
Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muß ich führen,
und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben
und einen Hirten« (Joh 10, 16), geht der Bischof mit der Leidenschaft
des Hirten hinaus, um die Schafe zu suchen.
Der Bischof, Stifter von
Gerechtigkeit und Frieden
67. Im Zusammenhang mit diesem
missionarischen Charakter haben die Synodenväter auf den Bischof als einen
Propheten der Gerechtigkeit hingewiesen. Der Krieg der Mächtigen gegen die
Schwachen hat heute mehr als früher tiefgreifende Spaltungen zwischen
Reichen und Armen aufgerissen. Die Zahl der Armen ist Legion! In einem
ungerechten Wirtschaftssystem mit starken strukturellen Kontrasten
verschlimmert sich mit jedem Tag die Lage der Menschen am Rande der
Gesellschaft. In vielen Teilen der Erde herrscht heute Hunger, anderswo
hingegen Überfluß. Die Opfer dieser dramatischen
Mißverhältnisse sind vor allem die Armen, die Jugendlichen, die Flüchtlinge.
Auch die Frau wird vielerorts in ihrer persönlichen Würde
mißachtet, ist Opfer einer hedonistischen und materialistischen Kultur.
Angesichts – und sehr oft
inmitten – dieser Unrechtssituationen, die unvermeidlich Konflikten und dem Tod
Tür und Tor öffnen, tritt der Bischof als Verteidiger der Rechte des
nach dem Abbild Gottes und ihm ähnlich geschaffenen Menschen auf. Er
verkündigt die Morallehre der Kirche in der Verteidigung des Rechtes auf
Leben von der Empfängnis bis zu dessen natürlichem Ende; er
verkündet ferner die auf dem Fundament des Evangeliums gegründete
Soziallehre der Kirche; er nimmt sich die Verteidigung eines jeden zu Herzen,
der schwach ist, indem er sich zur Stimme derer macht, die keine Stimme haben,
um ihren Rechten Geltung zu verschaffen. Es besteht kein Zweifel darüber,
daß die Soziallehre der Kirche auch in den schwierigsten Situationen
Hoffnung zu wecken vermag, denn wenn es keine Hoffnung für die Armen gibt,
wird es für niemanden, auch nicht für die sogenannten Reichen,
Hoffnung geben.
Die Bischöfe haben den
Terrorismus und den Völkermord nachdrücklich verurteilt und ihre
Stimme zugunsten derer erhoben, die über Ungerechtigkeiten klagen, die
Verfolgungen erleiden, die arbeitslos sind, und für die Kinder, die auf
verschiedene und stets sehr schlimme Weise gequält werden. Wie die heilige
Kirche, die in der Welt das Sakrament der innigsten Vereinigung mit Gott und
der Einheit der ganzen Menschheit ist,278 so ist auch
der Bischof Verteidiger und Vater der Armen; er ist in eifriger Sorge um die Gerechtigkeit
und die Einhaltung der Menschenrechte, und er ist Hoffnungsträger.279
Das Wort der Synodenväter
war gemeinsam mit dem meinem deutlich und hart. »Wir konnten uns
während der Synode auch nicht den vielen anderen Leiden verschließen,
die Mitmenschen in großem Ausmaß treffen [...] Ein
grundsätzlicher sittlicher Wandel ist geboten [...] Zu lang
unterschätzte, weitest verbreitete Notstände können die
Bevölkerung ganzer Länder in die Verzweiflung treiben. Wie
können wir dazu schweigen, daß nach wie vor unzählige Menschen
in einer Zeit weiter verhungern oder in äußerster Armut leben
müssen, in der Möglichkeiten zu einer besseren Verteilung der
Ressourcen wie nie zuvor zur Verfügung stehen? Wir sind solidarisch mit
den riesigen Strömen von Flüchtlingen und Einwanderern, die infolge
von Krieg, politischer Unterdrückung oder wirtschaftlicher Benachteiligung
ihre Heimat verlassen müssen, Arbeit suchen und sich nach Frieden sehnen.
Zunahme von Malaria und AIDS, Analphabetismus, Zukunftslosigkeit für so
viele Kinder und Jugendliche, die auf der Straße leben, Ausbeutung der
Frauen, Pornographie, Intoleranz, Mißbrauch der Religion zur
Unterdrückung der Menschen, Drogen- und Waffenhandel: Die Aufzählung
ist unvollständig! Dennoch verlieren die Demütigen auch in der
äußersten Not die Hoffnung nicht. Der Herr schaut auf sie und hilft
ihnen: ,,Die Schwachen werden unterdrückt, die Armen seufzen. Darum
spricht der Herr: Jetzt stehe ich auf, dem Verachteten bringe ich Heil'' (Ps
12, 6)« .280
Auf die soeben umrissene
dramatische Lagebeschreibung folgen mit selbstverständlicher Dringlichkeit
der Aufruf und die Verpflichtung zum Frieden. Denn die aus dem vergangenen
Jahrhundert und aus dem ganzen Jahrtausend ererbten Konfliktherde sind noch immer
aktiv. Und es fehlt auch nicht an lokalen Konflikten, die tiefe Risse zwischen
den Kulturen und den Nationalitäten entstehen lassen. Und wie könnte
man die religiösen Fundamentalismen verschweigen, die immer Feinde des
Dialogs und des Friedens sind? In vielen Regionen der Welt gleicht die Erde
einem Pulverfaß, das jeden Moment explodieren und enormes Leid über
die Menschheitsfamilie bringen kann.
In dieser Situation
verkündet die Kirche unablässig den Frieden Christi, der in der
Bergpredigt diejenigen selig gepriesen hat, »die Frieden stiften« (Mt
5, 9). Der Friede ist eine universale Verantwortung, die sich in den tausend
kleinen Handlungen des Alltagslebens äußert. Er wartet auf seine
Propheten und seine Baumeister, die vor allem in den kirchlichen Gemeinschaften,
deren Hirt der Bischof ist, nicht fehlen dürfen. Nach dem Vorbild Jesu,
der gekommen ist, um den Unterdrückten die Freiheit zu verkünden und
das Gnadenjahr des Herrn auszurufen (vgl. Lk 4, 16-21), wird er immer
sofort aufzeigen, daß die christliche Hoffnung eng mit dem eifrigen
Bemühen um die ganzheitliche Förderung des Menschen und der
Gesellschaft verbunden ist, wie dies die Soziallehre der Kirche vorträgt.
Bei möglichen und leider
nicht seltenen Situationen bewaffneter Konflikte muß der Bischof auch
dann, wenn er das Volk auffordert, seine Rechte geltend zu machen, immer
warnend darauf hinweisen, daß ein Christ auf jeden Fall die Pflicht hat,
auf Rache zu verzichten und sich der Vergebung und der Liebe gegenüber den
Feinden zu öffnen.281 Denn es gibt keine
Gerechtigkeit ohne Vergebung. So schwer es auch fällt, die Feststellung zu
akzeptieren, erscheint sie für jeden vernünftigen Menschen
selbstverständlich: echter Friede wird nur durch Vergebung möglich.282
Der interreligiöse
Dialog, vor allem zugunsten des Friedens in der Welt
68. Wie ich bei mehreren
Anlässen wiederholt habe, soll der Dialog zwischen den Religionen im
Dienst des Friedens zwischen den Völkern stehen. Die religiösen
Traditionen verfügen tatsächlich über die notwendigen
Hilfsmittel, um die Zerrissenheit zu überwinden und gegenseitige
Freundschaft und Achtung zwischen den Völkern zu fördern. Von der
Synode ging der Appell aus, die Bischöfe sollten zusammen mit den Repräsentanten
der Völker Begegnungen fördern, um über die Konflikte und
Kriege, die die Welt zerreißen, gewissenhaft nachzudenken und auf diese
Weise gangbare Wege für ein gemeinsames Bemühen um Gerechtigkeit,
Eintracht und Frieden zu ermitteln.
Die Synodenväter haben die Bedeutung
des interreligiösen Dialogs hinsichtlich des Friedens nachdrücklich
hervorgehoben und die Bischöfe gebeten, sich in diesem Sinne in den
jeweiligen Diözesen einzusetzen. Neue Wege zum Frieden lassen sich finden,
wenn wir auf der Religionsfreiheit bestehen, von der das Zweite Vatikanische
Konzil in der Erklärung Dignitatis humanae gesprochen hat, sowie
auch durch die Erziehungsarbeit zum Nutzen der jungen Generationen und durch
den korrekten Gebrauch der sozialen Kommunikationsmittel.283
Die Perspektive des
interreligiösen Dialogs ist jedoch mit Sicherheit umfassender, und deshalb
haben die Synodenväter betont, daß der Dialog Teil der
Neuevangelisierung ist – vor allem in der heutigen Zeit, in der weit mehr als
in der Vergangenheit Angehörige verschiedener Religionen in denselben
Regionen, in denselben Städten, am Arbeitsplatz und im Alltag
zusammenleben. Der interreligiöse Dialog ist daher eine Forderung, die vom
täglichen Leben vieler christlicher Familien ausgeht, und auch deshalb
müssen ihm die Bischöfe als Lehre des Glaubens und Hirten des
Gottesvolkes gebührende Beachtung schenken.
Aus dem Kontext des
Zusammenlebens mit Menschen anderer Religionszugehörigkeit erwächst
den Christen eine besondere Verpflichtung, die Einmaligkeit und Universalität
des Heilsmysteriums Jesu Christi und die daraus folgende Notwendigkeit der
Kirche als Heilswerkzeug für die ganze Menschheit zu bezeugen. »Diese
Glaubenswahrheit nimmt nichts von der Tatsache weg, daß die Kirche die
Religionen der Welt mit aufrichtiger Ehrfurcht betrachtet, schließt aber
zugleich radikal jene Mentalität des Indifferentismus aus, die
durchdrungen ist von einem religiösen Relativismus, der zur Annahme
führt, daß ,,eine Religion gleich viel gilt wie die andere''« .284
Es ist somit klar, daß der interreligiöse Dialog niemals
die Botschaft und die Verkündigung des Glaubens ersetzen kann, die den
vorrangigen Zweck der Predigt, der Katechese und der Mission der Kirche
darstellen.
Die offene und unzweideutige
Aussage, daß das Heil des Menschen von der von Christus gewirkten
Erlösung abhängt, behindert nicht den Dialog mit den anderen
Religionen. Aus der Perspektive des Bekenntnisses der christlichen Hoffnung
soll man sodann nicht vergessen, daß gerade sie die Grundlage für
den interreligiösen Dialog bildet. Denn, wie es in der
Konzilserklärung Nostra aetate heißt, »sind ja alle
Völker eine einzige Gemeinschaft. Sie haben denselben Ursprung, da Gott
das ganze Menschengeschlecht auf dem gesamten Erdkreis wohnen ließ; auch
haben sie Gott als ein und dasselbe letzte Ziel. Seine Vorsehung, die Bezeugung
seiner Güte und seine Heilsratschlüsse erstrecken sich auf alle
Menschen, bis die Erwählten vereint sein werden in der Heiligen Stadt,
deren Licht die Herrlichkeit Gottes sein wird; werden doch alle Völker in
seinem Lichte wandeln« .285
Das bürgerliche,
soziale und wirtschaftliche Leben
69. Im pastoralen Wirken des
Bischofs darf die besondere Aufmerksamkeit für das Bedürfnis nach
Liebe und Gerechtigkeit nicht fehlen, das den sozialen und wirtschaftlichen
Lebensverhältnissen der ärmsten, verlassenen, mißhandelten
Menschen entspringt, in denen der Glaubende ebenfalls besondere Abbilder Jesu
sieht. Ihre Präsenz in den kirchlichen und bürgerlichen Gemeinden ist
eine Bewährungsprobe für die Echtheit unseres christlichen Glaubens.
Ein Wort möchte ich dem
komplexen Phänomen der sogenannten Globalisierung widmen, die eines der
Merkmale der heutigen Welt darstellt. Es gibt in der Tat
eine »Globalisierung« der Wirtschaft, der Finanzen und auch der Kultur,
die sich als Auswirkung der rapiden Fortschritte im Zusammenhang mit den
Technologien im Bereich der Informatik fortschreitend durchsetzt. Wie ich
bereits bei anderen Gelegenheiten gesagt habe, erfordert die Globalisierung eine
sorgfältige Unterscheidung, um ihre positiven und negativen Aspekte und
die verschiedenen Folgen festzustellen, die daraus für die Kirche und
für die ganze Menschheit entstehen können. Bei dieser Aufgabe ist der
Beitrag der Bischöfe sehr wichtig, die stets an die Dringlichkeit erinnern
sollen, eine Globalisierung in der Liebe, ohne Ausgrenzung, zu erreichen.
Diesbezüglich haben auch die Synodenväter an die Verpflichtung
erinnert, eine »Globalisierung der Liebe« zu fördern, und haben in
diesem Zusammenhang die Probleme bedacht, die den Erlaß der Schulden im
Ausland betreffen, welche die Wirtschaft ganzer Völker gefährden und
deren sozialen und politischen Fortschritt hemmen.286
Ohne hier eine so ernste
Problematik erneut aufzugreifen, wiederhole ich lediglich einige grundlegende,
bereits an anderer Stelle dargelegte Punkte: Die Vision der Kirche zu diesem
Thema kennt drei wesentliche, zusammengehörende Bezugspunkte, nämlich
die Würde der menschlichen Person, die Solidarität und die
Subsidiarität. Daher muß »die wirtschaftliche Globalisierung im
Lichte der Grundsätze sozialer Gerechtigkeit analysiert werden, wobei
sowohl die vorrangige Option für die Armen, die befähigt werden
sollen, sich in einer globalisierten Wirtschaft zu schützen, als auch die
Erfordernisse des internationalen Gemeinwohls zu beachten sind« .287
Wenn die Globalisierung in die Dynamik der Solidarität
eingebunden ist, wirkt sie nicht mehr ausgrenzend. Die Globalisierung der
Solidarität ist ja in der Tat die direkte Konsequenz jener universalen
Liebe, die die Seele des Evangeliums ist.
Die Achtung der Umwelt und
die Bewahrung der Schöpfung
70. Die Synodenväter haben
auch an die sittlichen Aspekte der ökologischen Frage erinnert.288
In der Tat bezieht sich der tiefe Sinn des Aufrufes zur
Globalisierung der Solidarität auch, und zwar dringend, auf die Frage der
Bewahrung der Schöpfung und der Ressourcen der Erde. Das »Seufzen der
Schöpfung« , das der Apostel erwähnt (vgl. Röm 8, 22),
scheint sich heute in umgekehrter Sicht zu ereignen, da es sich nicht mehr um
eine eschatologische Spannung in Erwartung des Offenbarwerdens der Söhne
Gottes (vgl. Röm 8, 19), sondern um einen Todeskrampf handelt, der
den Menschen selbst zu ergreifen trachtet, um ihn zu zerstören.
Hier zeigt sich das Umweltproblem
tatsächlich in seiner gefährlichsten und perversesten Form. Denn »das
tiefgreifendste und schwerwiegendste Zeichen dafür, daß der
ökologischen Frage moralische Implikationen innewohnen, besteht aber im
Mangel an Achtung vor dem Leben, den man in vielen die Umwelt belastenden
Verhaltensweisen antrifft. Oft gewinnen Produktionsgründe die Oberhand
über die Würde des Arbeiters, und wirtschaftliche Interessen kommen
vor dem Wohl der einzelnen Personen, wenn nicht sogar vor dem ganzer
Bevölkerungsgruppen. In solchen Fällen ist die Verschmutzung oder die
Zerstörung der Umwelt Frucht einer verkürzten und unnatürlichen
Sicht, die bisweilen eine echte und direkte Mißachtung des Menschen darstellt«
.289
Es ist offensichtlich, daß
nicht nur die Ökologie der Umwelt – die also auf den Schutz des
Lebensraumes der verschiedenen Lebewesen acht gibt –, sondern auch die Humanökologie
auf dem Spiel steht, die das Grundgut des Lebens in allen seinen
Erscheinungsformen schützen und für die künftigen Generationen
eine Umwelt bereiten soll, die dem Plan des Schöpfers möglichst nahe
kommt. Es bedarf daher einer ökologischen Umkehr, zu der die
Bischöfe dadurch ihren Beitrag leisten sollen, daß sie das richtige
Verhältnis des Menschen zur Natur darlegen. Im Lichte der Lehre über
Gottvater, den Schöpfer des Himmels und der Erde, handelt es sich dabei um
ein »Dienstverhältnis« : der Mensch wurde nämlich als Diener des
Schöpfers zum Mittelpunkt der Schöpfung gemacht.
Der Dienst des Bischofs im
Hinblick auf die Gesundheit
71. Die Sorge um den Menschen
drängt den Bischof, Jesus, den wahren, von Mitleid und Erbarmen
erfüllten »barmherzigen Samariter« , nachzuahmen, der sich des
Menschen ohne Unterschiede annimmt. Der Gesundheitsschutz nimmt unter den
heutigen Herausforderungen einen wichtigen Platz ein. Leider sind in den
verschiedenen Teilen der Welt noch immer viele Arten von Krankheiten
verbreitet, und obwohl die menschliche Wissenschaft bei der Suche nach neuen Lösungen
oder nach Hilfen, um den Krankheiten besser begegnen zu können,
hervorragende Fortschritte macht, treten immer neue Situationen auf, in denen
die physische und psychische Gesundheit bedroht wird.
Jeder Bischof ist aufgerufen, im
Bereich seiner Diözese mit Hilfe qualifizierter Personen darauf
hinzuwirken, daß das »Evangelium des Lebens« unverkürzt
verkündet wird. Das Bemühen um eine Humanisierung der Medizin und die
Krankenbetreuung durch Christen, die dem Leidenden ihre fürsorgliche
Nähe beweisen, rufen im Herzen eines jeden die Gestalt Jesu, des Arztes
für Leib und Seele, wach. Er hat es nicht unterlassen, unter die
Anweisungen, die er seinen Aposteln gegeben hat, auch die Aufforderung zur
Heilung der Kranken aufzunehmen (vgl. Mt 10, 8).290 Daher
verdient die Organisation und Förderung einer angemessenen Seelsorge
für die im Gesundheitswesen tätigen Personen wirklich Vorrang im
Herzen eines Bischofs.
Die Synodenväter haben es
als besonders dringend empfunden, ihrer Sorge um die Förderung einer
echten »Kultur des Lebens« in der modernen Gesellschaft deutlich Ausdruck
zu verleihen: »Was uns aber als Hirten vielleicht am meisten
bedrückt, ist die Verachtung des Lebens von der Empfängnis bis zum
Tod und der Zerfall der Familie. Das Nein der Kirche zu Abtreibung und
Euthanasie ist ein Ja zum Leben, zur grundsätzlichen Güte der
Schöpfung, ein Ja, das jeden Menschen im Heiligtum seines Gewissens
ansprechen kann, ein Ja zur Familie, der ersten Keimzelle der Hoffnung, an der
Gott seine Freude hat und die er dazu beruft, Hauskirche zu werden« .291
Die pastorale Sorge des
Bischofs gegenüber den Migranten
72. Die
Bevölkerungsbewegungen haben heute ganz neue Ausmaße angenommen und
treten als Massenbewegungen auf, die eine immense Zahl von Menschen umfassen.
Viele dieser Leute sind infolge bewaffneter Konflikte, wirtschaftlicher
Notstände, politischer, ethnischer und sozialer Zusammenstöße
oder Naturkatastrophen aus ihrem Land ausgewandert oder geflüchtet. All
diese Formen der Migration, so unterschiedlich sie auch sein mögen,
stellen unsere Gemeinden im Zusammenhang mit pastoralen Fragen wie der
Evangelisierung und dem interreligiösen Dialog vor ernste Probleme.
Es ist daher angebracht,
daß man sich in den Diözesen um die Einrichtung pastoraler
Strukturen bemüht, die für die Aufnahme und geeignete seelsorgliche
Betreuung dieser Menschen, entsprechend der unterschiedlichen Lage, in der sie
sich jeweils befinden, vorgesehen sind. Es gilt auch, die Zusammenarbeit
zwischen Nachbardiözesen zu fördern, um einen effizienteren und
kompetenteren Dienst zu gewährleisten; gleichzeitig soll auch für die
Ausbildung besonders hochherziger und zu diesem anspruchsvollen Dienst bereiter
Priester und Laienmitarbeiter gesorgt werden, vor allem auch in bezug auf die
Probleme rechtlicher Natur, die bei der Eingliederung der Migranten in die neue
Gesellschaftsordnung auftreten können.292
In diesem Zusammenhang haben die
Synodenväter aus den katholischen Ostkirchen das Problem der Abwanderung
der Gläubigen ihrer Gemeinden wieder aufgeworfen; es geht hier um ein in
mancher Hinsicht neues Problem, das schwerwiegende Konsequenzen im konkreten
Leben zeitigt. Es führt nämlich dazu, daß eine sehr erhebliche
Anzahl von Gläubigen, die aus den katholischen Ostkirchen stammen, nunmehr
außerhalb der Ursprungsländer und der Diözesen ostkirchlicher
Hierarchien ihren gewöhnlichen und festen Wohnsitz haben. Es handelt sich
begreiflicherweise um eine Situation, die tagtäglich die Verantwortung der
Bischöfe herausfordert.
Darum hat auch die Bischofssynode
eine gründlichere Untersuchung über die Möglichkeiten für
notwendig erachtet, mit denen die katholischen Kirchen östlicher wie
westlicher Tradition angemessene und geeignete pastorale Strukturen festlegen
können, die in der Lage sind, den Bedürfnissen dieser in
der »Diaspora« - Situation lebenden Gläubigen entgegenzukommen.293
Auf jeden Fall bleibt es die Pflicht der Ortsbischöfe, auch
wenn sie einem anderen Ritus angehören, für diese Gläubigen des
orientalischen Ritus wahre Väter zu sein und ihnen in der Seelsorge die
Wahrung der spezifischen religiösen und kulturellen Werte zu garantieren,
in die sie hineingeboren wurden und in denen sie ihre erste christliche Formung
erhalten haben.
Das sind nur einige Bereiche, in
denen das christliche Zeugnis und der Dienst des Bischofs mit besonderer
Dringlichkeit auf den Plan gerufen werden. Die Übernahme von Verantwortung
gegenüber der Welt, ihren Problemen, ihren Herausforderungen und ihren
Erwartungen gehört zum Auftrag der Verkündigung des Evangeliums der
Hoffnung. Denn immer steht die Zukunft des Menschen als ,,Wesen der Hoffnung''
auf dem Spiel.
Es ist leicht verständlich,
daß sich bei der Häufung von Herausforderungen, denen die Hoffnung
ausgesetzt ist, die Versuchung zu Skeptizismus und Mißtrauen einstellt.
Doch der Christ weiß, daß er auch den schwierigsten Situationen
entgegentreten kann, weil das Fundament seiner Hoffnung auf dem Geheimnis des
Kreuzes und der Auferstehung des Herrn beruht. Nur daraus läßt sich
die Kraft schöpfen, um sich bleibend in den Dienst Gottes zu stellen, der
die Rettung und die vollständige Befreiung des Menschen will.
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