Reiner Kirchenglaube
21. Der
Christusglaube wird sich nicht rein und unverfälscht erhalten, wenn er nicht
gestützt und umhegt wird vom Glauben an die Kirche, „die Säule und Grundfeste
der Wahrheit“.[16] Christus selbst,
Gott hochgelobt in Ewigkeit, hat diese Säule des Glaubens aufgerichtet. Sein
Gebot, die Kirche zu hören[17],aus den Worten und
Geboten der Kirche Seine eigenen Worte und Gebote herauszuhören[18], gilt für die
Menschen aller Zeiten und Zonen. Die von dem Erlöser gestiftete Kirche ist eine
– für alle Völker und Nationen. Unter ihrem Kuppelbau, der wie Gottes Firmament
die ganze Erde überwölbt, ist Platz und Heimat für alle Völker und Sprachen,
ist Raum für die Entfaltung aller von Gott dem Schöpfer und Erlöser in die
Einzelnen und in die Volksgemeinschaften hineingelegten besonderen Eigenschaften,
Vorzüge, Aufgaben und Berufungen. Das Mutterherz der Kirche ist weit und groß
genug, um in der gottgemäßen Entfaltung solcher Eigenarten und Eigengaben mehr
den Reichtum der Mannigfaltigkeit zu sehen als die Gefahr von Absonderungen.
Sie freut sich des geistigen Hochstands der Einzelnen und der Völker. Sie sieht
in ihren echten Leistungen mit Mutterfreude und Mutterstolz Erziehungsfrüchte
und Fortschritte, die sie segnet und fördert, wo immer sie es im Gewissen kann.
Aber sie weiß auch, daß dieser Freiheit Grenzen gezogen sind durch die Majestät
des Gottesgebotes, das diese Kirche in allem Wesenhaften als untrennbare
Einheit gewollt und gegründet hat. Wer an diese Einheit und Untrennbarkeit
rührt, nimmt der Braut Christi eines der Diademe, mit denen Gott selbst sie
gekrönt hat. Er unterwirft ihren auf ewigen Fundamenten ruhenden Gottesbau der
Überprüfung und Umgestaltung durch Baumeister, denen der Vater im Himmel keine
Bauvollmacht erteilt hat.
22. Die
göttliche Sendung der Kirche, die unter Menschen wirkt und durch Menschen
wirken muß, mag schmerzlich verdunkelt werden durch das
Menschlich-Allzumenschliche, das zuzeiten immer und immer wieder als Unkraut
unter dem Weizen des Gottesreiches durchwuchert. Wer des Heilands Wort über die
Ärgernisse und die Ärgernisgeber kennt, weiß, wie die Kirche und wie jeder
Einzelne über das zu urteilen hat, was Sünde war und Sünde ist. Wer aber über
diesen verurteilenswerten Abweichungen zwischen Glauben und Leben, zwischen
Wort und Tat, zwischen äußerer Haltung und innerer Gesinnung bei Einzelnen –
und wären es ihrer auch viele – die Unsumme von echtem Tugendstreben, von
Opfersinn, von Bruderliebe, von heldenhaftem Heiligkeitsdrang vergißt oder gar
wissentlich verschweigt, der enthüllt eine bedauernswerte Blindheit und Ungerechtigkeit.
Wenn dann vollends erkennbar wird, daß er den harten Maßstab, den er an die
gehaßte Kirche anlegt, in demselben Augenblick vergißt, wo es sich um
Gemeinschaften anderer Art handelt, die ihm aus Gefühl oder Interesse
nahestehen, dann offenbart er sich in seinem angeblich verletzten
Reinlichkeitsgefühl als verwandt mit denen, die nach des Heilands schneidendem
Wort über den Splitter im Auge des Bruders den Balken im eigenen Auge
übersehen. So wenig rein aber auch die Absicht derer ist, die aus der
Beschäftigung mit dem Menschlichen in der Kirche einen Beruf, vielfach sogar
ein niedriges Geschäft machen, und obgleich die in Gott ruhende Gewalt des
kirchlichen Amtsträgers nicht abhängig ist von seiner menschlichen und
sittlichen Höhe, so ist doch keine Zeitepoche, kein Einzelner, keine
Gemeinschaft frei von der Pflicht ehrlicher Gewissenserforschung,
unerbittlicher Läuterung, durchgreifender Erneuerung in Gesinnung und Tat. In
Unserer Enzyklika über das Priestertum, in Unseren Sendschreiben über die
Katholische Aktion haben Wir mit beschwörender Eindringlichkeit auf die heilige
Pflicht aller Angehörigen der Kirche, und allen voran der Angehörigen des
Priester- und Ordensstandes und des Laienapostolats hingewiesen, Glaube und
Lebensführung in die von Gottes Gesetz geforderte, von der Kirche mit
nimmermüdem Nachdruck verlangte Übereinstimmung zu bringen. Und auch heute
wiederholen Wir mit tiefem Ernst: es genügt nicht, zur Kirche Christi zu zähle;
man muß auch lebendiges Glied dieser Kirche sein – im Geiste und in der
Wahrheit. Und das sind nur die, die in der Gnade des Herrn stehen und
unausgesetzt in Seiner Gegenwart wandeln – in Unschuld oder in aufrichtiger und
tätiger Buße. Wenn der Völkerapostel, das „Gefäß der Auserwählung“, seinen Leib
unter der Zuchtrute der Abtötung hielt, um nicht, nachdem er anderen gepredigt,
selbst verworfen zu werden[19], kann es dann für
die übrigen, in deren Händen die Wahrung und Mehrung des Reiches Gottes gelegt
ist, einen anderen Weg geben als den der innigsten Verbindung von Apostolat und
Selbstheiligung? Nur so wird der Menschheit von heute und in erster Linie den
Widersachern der Kirche gezeigt, daß das Salz der Erde, daß der Sauerteig des
Christentums nicht schal geworden, sondern fähig und bereit ist, den in Zweifel
und Irrtum, in Gleichgültigkeit und geistiger Ratlosigkeit, in
Glaubensmüdigkeit und Gottesferne befangenen Menschen der Gegenwart die
seelische Erneuerung und Verjüngung zu bringen, deren sie – ob eingestanden
oder geleugnet – dringender bedürfen als je zuvor. Eine sich in allen ihren
Gliedern auf sich selbst besinnende, jede Veräußerlichung und Verweltlichung
abstreifende, mit den Geboten Gottes und der Kirche ernst machende, in
Gottesliebe und tätiger Nächstenliebe sich bewährende Christenheit wird der im
tiefsten Grunde kranken, nach Halt und Wegweisung suchenden Welt Vorbild und
Führerin sein können und müssen, wenn nicht unsagbares Unglück, wenn nicht ein
alle Vorstellung hinter sich lassender Niedergang hereinbrechen soll.
23. Jede
wahre und dauernde Reform ging letzten Endes vom Heiligtum aus; von Menschen,
die von der Liebe zu Gott und dem Nächsten entflammt und getrieben waren. Aus
ihrer großmütigen Bereitschaft heraus, auf jeden Ruf Gottes zu hören und ihn
zunächst in sich selbst zu verwirklichen, sind sie in Demut und mit der
Selbstsicherheit von Berufenen zu Leuchten und Erneuerern ihrer Zeit
herangewachsen. Wo der Reformeifer nicht aus dem reinen Schoß persönlicher
Lauterkeit geboren wurde, sondern Ausdruck und Ausbruch leidenschaftlicher
Anwandlungen war, hat er verwirrt, statt zu klären; niedergerissen, statt
aufzubauen; ist er nicht selten der Ausgangspunkt für Irrwege gewesen, die
verhängnisvoller waren als die Schäden, die man zu bessern beabsichtigte oder
vorgab. Gewiß – Gottes Geist weht, wo Er will[20]. Er kann Sich aus
Steinen Wegbereiter Seiner Absichten erwecken[21]. Er wählt die
Werkzeuge Seines Willens nach eigenen Plänen und nicht nach denen der Menschen.
Aber Er, der die Kirche gegründet und sie im Pfingststurm ins Dasein gerufen
hat, Er sprengt nicht das Grundgefüge der von Ihm selbst gewollten
Heilsstiftung. Wer vom Geiste Gottes getrieben ist, hat von selbst die
gebührende innere und äußere Haltung gegenüber der Kirche, der Edelfrucht am Baume
des Kreuzes, dem Pfingstgeschenk des Gottesgeistes an die führungsbedürftige
Welt.
24. In
Euren Gegenden, Ehrwürdige Brüder, werden in immer stärkerem Chor Stimmen laut,
die zum Austritt aus der Kirche aufrufen. Unter den Wortführern sind vielfach
solche, die durch ihre amtliche Stellung den Eindruck zu erwecken suchen, als
ob dieser Kirchenaustritt und die damit verbundene Treulosigkeit gegen Christus
den König eine besonders überzeugende und verdienstvolle Form des
Treubekenntnisses zu dem gegenwärtigen Staate darstelle. Mit verhüllten und
sichtbaren Zwangsmaßnahmen, Einschüchterungen, Inaussichtstellung
wirtschaftlicher, beruflicher, bürgerlicher und sonstiger Nachteile wird die
Glaubenstreue der Katholiken und insbesondere gewisser Klassen katholischer
Beamten unter einen Druck gesetzt, der ebenso rechtswidrig wie menschlich
unwürdig ist. Unser ganzes väterliches Mitgefühl und tiefstes Mitleid begleitet
diejenigen, die ihre Treue zu Christus und Kirche um so hohen Preis bezahlen
müssen. Aber – hier ist der Punkt erreicht, wo es um Letztes und Höchstes, um
Rettung oder Untergang geht, und wo infolgedessen dem Gläubigen der Weg
heldenmütigen Starkmutes der einzige Weg des Heiles ist. Wenn der Versucher
oder Unterdrücker an ihn herantritt mit dem Judasansinnen des
Kirchenaustrittes, dann kann er ihm nur – auch um den Preis schwerer irdischer
Opfer – das Heilandswort entgegenhalten: „Weiche von mir, Satan, denn es steht
geschrieben: den Herrn deinen Gott sollst du anbeten und Ihm allein dienen.“[22] Zu der Kirche aber
wird er sprechen: Du meine Mutter von den Tagen meiner Kindheit an, mein Trost
im Leben, meine Fürbitterin im Sterben – mir soll die Zunge am Gaumen kleben,
wenn ich – irdischen Lockungen oder Drohungen weichend – an meinem Taufgelübde
zum Verräter würde. Solchen aber, die vermeinen, sie könnten mit äußerlichem
Kirchenaustritt das innere Treuverhältnis zur Kirche verbinden, möge des
Heilands Wort ernste Warnung sein: „Wer Mich vor den Menschen verleugnet, den
werde auch ich vor meinem Vater verleugnen, der im Himmel ist.“[23]
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