Anerkennung des Naturrechts
35. Im
verhängnisvollen Zug der Zeit liegt es, wie die Sittenlehre, so auch die
Grundlagen des Rechtslebens und der Rechtspflege vom wahren Gottesglauben und
von den geoffenbarten Gottesgeboten mehr und mehr abzulösen. Wir denken hier
besonders an das sogenannte Naturrecht, das vom Finger des Schöpfers selbst in
die Tafeln des Menschenherzens geschrieben wurde[30] und von der
gesunden, durch Sünde und Leidenschaft nicht verblendeten Vernunft von diesen
Tafeln abgelesen werden kann. An den Geboten dieses Naturrechts kann jedes
positive Recht, von welchem Gesetzgeber es auch kommen mag, auf seinen
sittlichen Gehalt, damit auf seine sittliche Befehlsmacht und
Gewissensverpflichtung nachgeprüft werden. Menschliche Gesetze, die mit dem
Naturrecht in unlösbarem Widerspruch stehen, kranken an einem Geburtsfehler,
den kein Zwangsmittel, keine äußere Machtentfaltung sanieren kann. Mit diesem
Maßstab muß auch der Grundsatz: „Recht ist, was dem Volke nützt“, gemessen
werden, wenn man unterstellt, daß sittlich Unerlaubtes nie dem wahren Wohle des
Volkes zu dienen vermag. Indes hat schon das alte Heidentum erkannt, daß der
Satz, um völlig richtig zu sein, eigentlich umgekehrt werden und lauten muß:
„Nie ist etwas nützlich, wenn es nicht gleichzeitig sittlich gut ist. Und nicht
weil nützlich, ist es sittlich gut, sondern weil sittlich gut, ist es auch
nützlich.“[31] Von dieser
Sittenregel losgelöst, würde jener Grundsatz im zwischenstaatlichen Leben den
ewigen Kriegszustand zwischen den verschiedenen Nationen bedeuten. Im
innerstaatlichen Leben verkennt er, Nützlichkeits- und Rechtserwägungen
miteinander verquickend, die grundlegende Tatsache, daß der Mensch als
Persönlichkeit gottgegebene Rechte besitzt, die jedem auf ihre Leugnung,
Aufhebung oder Brachlegung abzielenden Eingriff vonseiten der Gemeinschaft
entzogen bleiben müssen. Die Mißachtung dieser Wahrheit übersieht, daß das
wahre Gemeinwohl letztlich bestimmt und erkannt wird aus der Natur des Menschen
mit ihrem harmonischen Ausgleich zwischen persönlichem Recht und sozialer
Bindung, sowie aus dem durch die gleiche Menschennatur bestimmten Zweck der
Gemeinschaft. Die Gemeinschaft ist vom Schöpfer gewollt als Mittel zur vollen
Entfaltung der individuellen und sozialen Anlagen, die der Einzelmensch, gebend
und nehmend, zu seinem und aller anderen Wohl auszuwerten hat. Auch jene
umfassenderen und höheren Werte, die nicht vom Einzelnen, sondern nur von der
Gemeinschaft verwirklicht werden können, sind vom Schöpfer letzten Endes des
Menschen halber gewollt, zu seiner natürlichen und übernatürlichen Entfaltung
und Vollendung. Ein Abweichen von dieser Ordnung rüttelt an den Tragpfeilern,
auf denen die Gemeinschaft ruht, und gefährdet damit Ruhe, Sicherheit, ja
Bestand der Gemeinschaft selbst.
36. Der
gläubige Mensch hat ein unverlierbares Recht, seinen Glauben zu bekennen und in
den ihm gemäßen Formen zu betätigen. Gesetze, die das Bekenntnis und die
Betätigung dieses Glaubens unterdrücken oder erschweren, stehen im Widerspruch
mit einem Naturgesetz.
37.
Gewissenhafte, ihrer erzieherischen Pflicht bewußte Eltern haben ein erstes und
ursprüngliches Recht, die Erziehung der ihnen von Gott geschenkten Kinder im
Geiste des wahren Glaubens und in Übereinstimmung mit seinen Grundsätzen und
Vorschriften zu bestimmen. Gesetze oder andere Maßnahmen, die diesen
naturrechtlich gegebenen Elternwillen in Schulfragen ausschalten oder durch
Drohung und Zwang unwirksam machen, stehen im Widerspruch zum Naturrecht und
sind im tiefsten und letzten Kern unsittlich.
38. Die
Kirche, die berufene Hüterin und Auslegerin des göttlichen Naturrechts, kann
daher gar nicht anders, als die im Zustand notorischer Unfreiheit erfolgten
Schuleinschreibungen der jüngsten Vergangenheit als ein Zwangsprodukt zu erklären,
dem jeglicher Rechtscharakter abgeht.
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