Adrast. Theophan.
Theophan. Werden Sie es übelnehmen,
Adrast, wenn ich mich
endlich über den stolzen Kaltsinn beklage, den Sie nicht aufhören,
gegen mich zu
äußern? Schon seit Monaten sind wir in einem Hause, und warten auf
einerlei Glück. Zwei liebenswürdige Schwestern sollen es uns machen.
Bedenken Sie doch, Adrast! können wir noch dringender eingeladen werden,
uns zu lieben, und eine Freundschaft unter uns zu stiften, wie sie unter
Brüdern sein sollte? Wie oft bin ich nicht darauf bestanden?-
Adrast. Ebenso oft haben
Sie gesehen, daß ich mich
nicht einlassen will. Freundschaft? Freundschaft unter uns?-Wissen Sie,
muß ich fragen, was Freundschaft ist?
Theophan. Ob
ich es weiß?
Adrast. Alle Fragen
bestürzen, deren wir nicht gewärtig sind. Gut, Sie wissen es. Aber
meine Art zu denken, und die Ihrige, diese kennen Sie doch auch?
Theophan. Ich verstehe Sie.
Also sollen wir wohl Feinde sein?
Adrast. Sie haben mich schön
verstanden! Feinde? Ist denn kein Mittel? Muß denn der Mensch eines von
beiden, hassen, oder lieben? Gleichgültig wollen wir einander bleiben. Und
ich weiß, eigentlich wünschen Sie dieses selbst. Lernen Sie
wenigstens nur die Aufrichtigkeit von mir.
Theophan. Ich bin bereit.
Werden Sie mich
aber diese Tugend in aller ihrer Lauterkeit lehren?
Adrast. Erst fragen Sie
sich selbst, ob sie Ihnen in aller ihrer Lauterkeit gefallen würde?
Theophan. Gewiß. Und
Ihnen zu zeigen, ob Ihr künftiger Schüler einige Fähigkeit dazu
hat, wollen Sie mich
wohl einen Versuch machen lassen?
Adrast. Recht gern.
Theophan. Wo nur mein
Versuch nicht ein Meisterstück wird. Hören Sie also, Adrast - Aber
erlauben Sie mir, daß ich mit einer Schmeichelei gegen mich selbst
anfange. Ich habe von jeher einigen Wert auf meine Freundschaft gelegt; ich bin
vorsichtig, ich bin karg damit gewesen. Sie sind der erste, dem ich sie
angeboten habe; und Sie sind der einzige, dem ich sie aufdringen will.-Umsonst
sagt mir Ihr verächtlicher Blick, daß es mir nicht gelingen solle.
Gewiß, es soll mir gelingen. Ihr eigen Herz ist mir Bürge; Ihr eigen
Herz, Adrast, welches unendlich besser ist, als es Ihr Witz, der sich in
gewisse groß scheinende Meinungen verliebt hat, vielleicht wünschet.
Adrast. Ich hasse die
Lobsprüche, Theophan, und besonders die, welche meinem Herzen auf Unkosten
meines Verstandes gegeben werden. Ich weiß eigentlich nicht, was das
für Schwachheiten sein müssen (Schwachheiten aber müssen es
sein), derentwegen Ihnen mein Herz so wohlgefällt; das aber weiß
ich, daß ich nicht eher ruhen werde, als bis ich sie, durch Hülfe
meines Verstandes, daraus verdrungen habe.
Theophan. Ich habe die
Probe meiner Aufrichtigkeit kaum angefangen, und Ihre Empfindlichkeit ist schon
rege. Ich werde nicht weit kommen.
Adrast. So weit als Sie
wollen. Fahren Sie nur fort.
Theophan. Wirklich?-Ihr
Herz also ist das beste, das man finden kann. Es ist zu gut, Ihrem Geiste zu
dienen, den das Neue, das Besondere geblendet hat, den ein Anschein von
Gründlichkeit zu glänzenden Irrtümern dahinreißt, und der,
aus Begierde bemerkt zu werden, Sie mit aller Gewalt zu etwas machen will, was
nur Feinde der Tugend, was nur Bösewichter sein sollten. Nennen Sie es,
wie Sie wollen: Freidenker, starker Geist, Deist; ja, wenn Sie ehrwürdige
Benennungen mißbrauchen wollen, nennen Sie es Philosoph: es ist ein
Ungeheuer, es ist die Schande der Menschheit. Und Sie, Adrast, den die Natur zu
einer Zierde derselben bestimmte, der nur seinen eignen Empfindungen folgen
dürfte, um es zu sein; Sie, mit einer solchen Anlage zu allem, was edel
und groß ist, Sie entehren sich vorsätzlich. Sie stürzen sich
mit Bedacht aus Ihrer Höhe herab, bei dem Pöbel der Geister einen
Ruhm zu erlangen,
für den ich lieber aller Welt Schande wählen wollte.
Adrast. Sie vergessen sich,
Theophan, und wenn ich Sie nicht unterbreche, so glauben Sie endlich gar,
daß Sie sich an dem Platze befinden, auf welchem Ihresgleichen ganze
Stunden ungestört schwatzen dürfen.
Theophan. Nein, Adrast, Sie
unterbrechen keinen überlästigen Prediger; besinnen Sie sich nur: Sie
unterbrechen bloß einen Freund,-wider Ihren Willen nenne ich mich so,-der eine Probe
seiner Freimütigkeit ablegen sollte.
Adrast. Und eine Probe
seiner Schmeichelei abgeleget hat;-aber einer verdeckten Schmeichelei, einer
Schmeichelei, die eine gewisse Bitterkeit annimmt, um destoweniger Schmeichelei
zu scheinen.-Sie werden machen, daß ich Sie endlich auch verachte.-Wenn
Sie die Freimütigkeit kennten, so würden Sie mir alles unter die
Augen gesagt haben, was Sie in Ihrem Herzen von mir denken. Ihr Mund würde
mir keine gute Seite geliehen haben, die mir Ihre innere Überzeugung nicht
zugestehet. Sie würden mich
geradeweg einen Ruchlosen gescholten haben, der sich der Religion nur deswegen
zu entziehen suche, damit er seinen Lüsten desto sicherer nachhängen
könne. Um sich pathetischer auszudrücken, würden Sie mich einen
Höllenbrand, einen eingefleischten Teufel genannt haben. Sie würden
keine Verwünschungen gespart, kurz, Sie würden sich so erwiesen
haben, wie sich ein Theolog gegen die Verächter seines Aberglaubens, und
also auch seines Ansehens, erweisen muß.
Theophan. Ich erstaune. Was
für Begriffe!
Adrast. Begriffe, die ich
von tausend Beispielen abgesondert habe.- Doch wir kommen zu weit. Ich
weiß, was ich weiß, und habe längst gelernt, die Larve von dem
Gesichte zu unterscheiden. Es ist eine Karnevalserfahrung: je schöner die
erste, desto häßlicher das andere.
Theophan. Sie wollen damit
sagen -
Adrast. Ich will nichts
damit sagen, als daß ich noch zu wenig Grund habe, die Allgemeinheit
meines Urteils von den Gliedern Ihres Standes, um Ihretwillen
einzuschränken. Ich habe mich
nach den Ausnahmen zu lange vergebens umgesehen, als daß ich hoffen
könnte, die erste an Ihnen zu finden. Ich müßte Sie
länger, ich müßte Sie unter verschiedenen Umständen
gekannt haben, wenn -
Theophan. Wenn Sie meinem
Gesichte die Gerechtigkeit widerfahren lassen sollten, es für keine Larve
zu halten. Wohl! Aber wie können Sie kürzer dazu gelangen, als wenn
Sie mich
Ihres nähern Umganges würdigen? Machen Sie mich
zu Ihrem Freunde, stellen Sie mich
auf die Probe -
Adrast. Sachte! die Probe
käme zu spät, wenn ich Sie bereits zu meinem Freunde angenommen
hätte. Ich habe geglaubt, sie müsse vorhergehen.
Theophan. Es gibt Grade in
der Freundschaft, Adrast; und ich verlange den vertrautesten noch nicht.
Adrast. Kurz, auch zu dem
niedrigsten können Sie nicht fähig sein.
Theophan. Ich kann nicht
dazu fähig sein? Wo liegt die Unmöglichkeit?
Adrast. Kennen Sie,
Theophan, wohl ein Buch, welches das Buch aller Bücher sein soll; welches
alle unsere Pflichten enthalten, welches uns zu allen Tugenden die sichersten
Vorschriften erteilen soll, und welches der Freundschaft gleichwohl mit keinem
Worte gedenkt? Kennen Sie dieses Buch?
Theophan. Ich sehe Sie
kommen, Adrast. Welchem Collin haben Sie diesen armseligen Einwurf abgeborgt?
Adrast. Abgeborgt, oder
selbst erfunden: es ist gleich viel. Es muß ein kleiner Geist sein, der
sich Wahrheiten zu borgen schämt.
Theophan. Wahrheiten!-Sind
Ihre übrigen Wahrheiten von gleicher Güte? Können Sie mich einen Augenblick
anhören?
Adrast. Wieder predigen?
Theophan. Zwingen Sie mich nicht darzu? Oder wollen Sie, daß man Ihre seichten
Spöttereien unbeantwortet lassen soll, damit es scheine, als könne
man nicht darauf antworten?
Adrast. Und was können
Sie denn darauf antworten?
Theophan. Dieses. Sagen Sie
mir, ist die Liebe unter der Freundschaft, oder die Freundschaft unter der
Liebe begriffen? Notwendig das letztere. Derjenige also, der die Liebe in ihrem
allerweitesten Umfange gebietet, gebietet der nicht auch die Freundschaft? Ich
sollte es glauben; und es ist so wenig wahr, daß unser Gesetzgeber die
Freundschaft seines Gebotes nicht würdig geschätzt habe, daß er
vielmehr seine Lehre zu einer Freundschaft gegen die ganze Welt gemacht hat.
Adrast. Sie bürden ihm
Ungereimtheiten auf. Freundschaft gegen die ganze Welt? Was ist das? Mein
Freund muß kein Freund der ganzen Welt sein.
Theophan. Und also ist Ihnen
wohl nichts Freundschaft als jene Übereinstimmung der Temperamente, jene
angeborne Harmonie der Gemüter, jener heimliche Zug gegeneinander, jene
unsichtbare Kette, die zwei einerlei denkende, einerlei wollende Seelen
verknüpfet?
Adrast. Ja, nur dieses ist
mir Freundschaft.
Theophan. Nur dieses? Sie
widersprechen sich also selbst.
Adrast. Oh! daß ihr
Leute doch überall Widersprüche findet, außer nur da nicht, wo
sie wirklich sind!
Theophan. Überlegen
Sie es. Wenn diese, ohne Zweifel nicht willkürliche, Übereinstimmung
der Seelen, diese in uns liegende Harmonie mit einem andern einzelnen Wesen
allein die wahre Freundschaft ausmacht: wie können Sie verlangen,
daß sie der Gegenstand eines Gesetzes sein soll? Wo sie ist, darf sie
nicht geboten werden; und wo sie nicht ist, da wird sie umsonst geboten. Und
wie können Sie es unserm Lehrer zur Last legen, daß er die
Freundschaft in diesem Verstande übergangen hat? Er hat uns eine edlere
Freundschaft befohlen, welche jenes blinden Hanges, den auch die
unvernünftigen Tiere nicht missen, entbehren kann: eine Freundschaft, die
sich nach erkannten Vollkommenheiten mitteilet; welche sich nicht von der Natur
lenken läßt, sondern welche die Natur selbst lenket.
Adrast. O Geschwätze!
Theophan. Ich muß
Ihnen dieses sagen, Adrast, ob Sie es gleich ebensowohl wissen könnten,
als ich; und auch wissen sollten. Was würden Sie selbst von mir denken,
wenn ich den Verdacht nicht mit aller Gewalt von mir abzulenken suchte, als
mache mich die Religion zu einem Verächter der Freundschaft, die Religion,
die Sie nur allzugern aus einem wichtigen Grunde verachten möchten?-Sehen
Sie mich nicht so geringschätzig an; wenden Sie sich nicht auf eine so
beleidigende Art von mir -
Adrast (beiseite). Das
Pfaffengeschmeiß!-
Theophan. Ich sehe, Sie gebrauchen
Zeit, den ersten Widerwillen zu unterdrücken, den eine widerlegte
Lieblingsmeinung natürlicherweise erregt.-Ich will Sie verlassen. Ich
erfuhr itzt ohnedem, daß einer von meinen Anverwandten mit der Post
angelangt sei. Ich gehe ihm entgegen, und werde die Ehre haben Ihnen denselben
vorzustellen.
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