Der Prinz. Marinelli. Odoardo Galotti.
Der Prinz. Ah, mein lieber,
rechtschaffner Galotti - so etwas muß auch geschehen, wenn ich Sie bei
mir sehen soll. Um ein Geringeres tun Sie es nicht. Doch keine Vorwürfe!
Odoardo. Gnädiger
Herr, ich halte es in allen Fällen für unanständig, sich zu
seinem Fürsten zu drängen. Wen er kennt, den wird er fodern lassen,
wenn er seiner bedarf. Selbst itzt bitte ich um Verzeihung - Der Prinz. Wie
manchem andern wollte ich diese stolze Bescheidenheit wünschen! - Doch zur
Sache. Sie werden begierig sein, Ihre Tochter zu sehen. Sie ist in neuer Unruhe
wegen der plötzlichen Entfernung einer so zärtlichen Mutter. - Wozu
auch diese Entfernung? Ich wartete nur, daß die liebenswürdige
Emilie sich völlig erholet hätte, um beide im Triumphe nach der Stadt
zu bringen. Sie haben mir diesen Triumph um die Hälfte verkümmert,
aber ganz werde ich mir ihn nicht nehmen lassen.
Odoardo. Zu viel Gnade! - Erlauben
Sie, Prinz, daß ich meinem unglücklichen Kinde alle die
mannigfaltigen Kränkungen erspare, die Freund und Feind, Mitleid und
Schadenfreude in Guastalla für sie bereit halten.
Der Prinz. Um die
süßen Kränkungen des Freundes und des Mitleids, würde es
Grausamkeit sein, sie zu bringen. Daß aber die Kränkungen des
Feindes und der Schadenfreude sie nicht erreichen sollen, dafür, lieber
Galotti, lassen Sie mich sorgen.
Odoardo. Prinz, die
väterliche Liebe teilet ihre Sorgen nicht gern. - Ich denke, ich weiß es, was
meiner Tochter in ihren itzigen Umständen einzig ziemet - Entfernung aus
der Welt - ein Kloster - sobald als möglich.
Der Prinz. Ein Kloster?
Odoardo. Bis dahin weine
sie unter den Augen ihres Vaters.
Der Prinz. So viel
Schönheit soll in einem Kloster verblühen? - Darf eine einzige
fehlgeschlagene Hoffnung uns gegen die Welt so unversöhnlich machen? - Doch
allerdings: dem Vater hat niemand einzureden. Bringen Sie Ihre Tochter,
Galotti, wohin Sie wollen.
Odoardo (gegen Marinelli).
Nun, mein Herr?
Marinelli. Wenn Sie mich
sogar auffodern!
Odoardo. O mitnichten,
mitnichten.
Der Prinz. Was haben Sie
beide?
Odoardo. Nichts,
gnädiger Herr, nichts. - Wir erwägen bloß, welcher von uns sich
in Ihnen geirret hat.
Der Prinz. Wieso? - Reden Sie, Marinelli.
Marinelli. Es geht mir
nahe, der Gnade meines Fürsten in den Weg zu treten. Doch wenn die
Freundschaft gebietet, vor allem in ihm den Richter aufzufodern - Der Prinz.
Welche Freundschaft? - Marinelli. Sie wissen, gnädiger Herr, wie sehr ich
den Grafen Appiani liebte, wie sehr unser beider Seelen ineinander verwebt
schienen - Odoardo. Das wissen Sie, Prinz? So wissen Sie es wahrlich allein.
Marinelli. Von ihm selbst zu seinem Rächer bestellet - Odoardo. Sie?
Marinelli. Fragen Sie nur Ihre
Gemahlin. Marinelli, der Name Marinelli war das letzte Wort des sterbenden
Grafen, und in einem Tone! in einem Tone! - Daß er mir nie aus dem
Gehöre komme, dieser schreckliche Ton, wenn ich nicht alles anwende,
daß seine Mörder entdeckt und bestraft werden!
Der Prinz. Rechnen Sie auf
meine kräftigste Mitwirkung.
Odoardo. Und meine
heißesten Wünsche! - Gut, gut! - Aber was weiter?
Der Prinz. Das frag ich, Marinelli.
Marinelli. Man hat
Verdacht, daß es nicht Räuber gewesen, welche den Grafen angefallen.
Odoardo (höhnisch).
Nicht? Wirklich nicht?
Marinelli. Daß ein
Nebenbuhler ihn aus dem Wege räumen lassen.
Odoardo (bitter). Ei! Ein
Nebenbuhler?
Marinelli. Nicht anders.
Odoardo. Nun dann - Gott
verdamm' ihn, den meuchelmörderischen Buben!
Marinelli. Ein Nebenbuhler,
und ein begünstigter Nebenbuhler - Odoardo. Was? ein begünstigter? - Was
sagen Sie?
Marinelli. Nichts, als was
das Gerüchte verbreitet.
Odoardo. Ein
begünstigter? von meiner Tochter begünstiget?
Marinelli. Das ist gewiß nicht. Das kann nicht sein. Dem widersprech
ich, trotz Ihnen. - Aber bei dem allen, gnädiger Herr - denn das
gegründetste Vorurteil wieget auf der Waage der Gerechtigkeit soviel als
nichts - bei dem allen wird man doch nicht umhin können, die schöne
Unglückliche darüber zu vernehmen.
Der Prinz. Jawohl,
allerdings.
Marinelli. Und wo anders?
wo kann das anders geschehen als in Guastalla?
Der Prinz. Da haben Sie recht, Marinelli, da haben Sie recht. - Ja so, das
verändert die Sache, lieber Galotti. Nicht wahr? Sie sehen selbst - Odoardo. O ja, ich sehe - Ich sehe, was
ich sehe. - Gott! Gott!
Der Prinz. Was ist Ihnen?
was haben Sie mit sich?
Odoardo. Daß ich es
nicht vorausgesehen, was ich da sehe. Das ärgert mich, weiter nichts. - Nun
ja, sie soll wieder nach Guastalla. Ich will sie wieder zu ihrer Mutter
bringen, und bis die strengste Untersuchung sie freigesprochen, will ich selbst
aus Guastalla nicht weichen. Denn wer weiß - (mit einem bittern Lachen)
wer weiß, ob die Gerechtigkeit nicht auch nötig findet, mich zu
vernehmen.
Marinelli. Sehr
möglich! In solchen Fällen tut die Gerechtigkeit lieber zuviel als
zuwenig. - Daher fürchte ich sogar - Der Prinz. Was? was fürchten
Sie?
Marinelli. Man werde vor
der Hand nicht verstatten können, daß Mutter und Tochter sich
sprechen.
Odoardo. Sich nicht sprechen?
Marinelli. Man werde
genötiget sein, Mutter und Tochter zu trennen.
Odoardo. Mutter und Tochter
zu trennen?
Marinelli. Mutter und
Tochter und Vater. Die Form des Verhörs erfodert diese Vorsichtigkeit
schlechterdings. Und es tut mir leid, gnädiger Herr, daß ich mich gezwungen sehe,
ausdrücklich darauf anzutragen, wenigstens Emilien in eine besondere
Verwahrung zu bringen.
Odoardo. Besondere
Verwahrung? - Prinz! Prinz! - Doch ja, freilich, freilich! Ganz recht: in eine
besondere Verwahrung! Nicht, Prinz? nicht? - O wie fein die Gerechtigkeit ist!
Vortrefflich! (Fährt schnell nach dem Schubsacke, in welchem er den Dolch
hat.)
Der Prinz (schmeichelhaft
auf ihn zutretend). Fassen Sie sich, lieber Galotti - Odoardo (beiseite, indem
er die Hand leer wieder herauszieht). Das sprach sein Engel!
Der Prinz. Sie sind irrig,
Sie verstehen ihn nicht. Sie denken bei dem Worte Verwahrung wohl gar an
Gefängnis und Kerker.
Odoardo. Lassen Sie mich
daran denken: und ich bin ruhig!
Der Prinz. Kein Wort von
Gefängnis, Marinelli! Hier ist die Strenge der Gesetze mit der Achtung
gegen unbescholtene Tugend leicht zu vereinigen. Wenn Emilia in besondere
Verwahrung gebracht werden muß, so weiß ich schon - die
alleranständigste. Das Haus meines Kanzlers - Keinen Widerspruch,
Marinelli! - Da will ich sie selbst hinbringen, da will ich sie der Aufsicht
einer der würdigsten Damen übergeben. Die soll mir für sie
bürgen, haften. - Sie gehen zu weit, Marinelli, wirklich zu weit, wenn Sie
mehr verlangen. - Sie kennen doch, Galotti, meinen Kanzler Grimaldi und seine
Gemahlin?
Odoardo. Was sollt' ich
nicht? Sogar die liebenswürdigen Töchter dieses edeln Paares kenn
ich. Wer kennt sie nicht? - (Zu Marinelli.) Nein, mein Herr, geben Sie das
nicht zu. Wenn Emilia verwahrt werden muß, so müsse sie in dem
tiefsten Kerker verwahret werden. Dringen Sie darauf, ich bitte Sie. - Ich Tor,
mit meiner Bitte! ich alter Geck! -
Jawohl hat sie recht die gute Sibylle: "Wer über gewisse Dinge seinen
Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren!"
Der Prinz. Ich verstehe Sie
nicht. - Lieber Galotti, was kann ich mehr tun? - Lassen Sie es dabei, ich
bitte Sie. - Ja, ja, in das Haus meines Kanzlers! da soll sie hin; da bring ich
sie selbst hin; und wenn ihr da nicht mit der äußersten Achtung
begegnet wird, so hat mein Wort nichts gegolten. Aber sorgen Sie nicht. - Dabei
bleibt es! dabei bleibt es! - Sie selbst, Galotti, mit sich, können es
halten, wie Sie wollen. - Sie können uns nach Guastalla folgen, Sie
können nach Sabionetta zurückkehren: wie Sie wollen. Es wäre
lächerlich, Ihnen vorzuschreiben. - Und nun, auf Wiedersehen, lieber
Galotti! - Kommen Sie, Marinelli, es wird spät.
Odoardo (der in tiefen
Gedanken gestanden). Wie? so soll ich sie gar nicht sprechen, meine Tochter?
Auch hier nicht? - Ich lasse mir ja alles gefallen, ich finde ja alles ganz
vortrefflich. Das Haus eines Kanzlers ist natürlicherweise eine Freistatt
der Tugend. Oh, gnädiger Herr, bringen Sie ja meine Tochter dahin,
nirgends anders als dahin. - Aber
sprechen wollt' ich sie doch gerne vorher. Der Tod des Grafen ist ihr noch
unbekannt. Sie wird nicht begreifen können, warum man sie von ihren Eltern
trennet. Ihr jenen auf gute Art beizubringen, sie dieser Trennung wegen zu
beruhigen - muß ich sie sprechen, gnädiger Herr, muß ich sie
sprechen.
Der Prinz. So kommen Sie
denn - Odoardo. Oh, die Tochter kann auch wohl zu dem Vater kommen. - Hier,
unter vier Augen, bin ich gleich mit ihr fertig. Senden Sie mir sie nur,
gnädiger Herr.
Der Prinz. Auch das! - O
Galotti, wenn Sie mein Freund, mein Führer, mein Vater sein wollten! (Der
Prinz und Marinelli geben ab.)
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