(Der Wirt. Die
Vorigen.)
Wirt. (den Kopf
voransteckend). Ist es erlaubt, meine gnädige Herrschaft? -
Franziska. Unser Herr
Wirt?-Nur vollends herein.
Wirt. (mit einer Feder hinter
dem Ohre, ein Blatt Papier und ein Schreibezeug in der Hand). Ich komme,
gnädiges Fräulein, Ihnen einen untertänigen guten Morgen zu
wünschen - (zur Franziska) und auch Ihr, mein schönes Kind -
Franziska. Ein
höflicher Mann!
Fräulein. Wir bedanken
uns.
Franziska. Und
wünschen Ihm auch einen guten Morgen.
Wirt. Darf ich mich unterstehen zu
fragen, wie Ihro Gnaden diese erste Nacht unter meinem schlechten Dache
geruhet? -
Franziska. Das Dach ist so
schlecht nicht, Herr Wirt, aber die Betten hätten besser sein können.
Wirt. Was höre ich?
Nicht wohl geruht? Vielleicht, daß die gar zu große
Ermüdung von der Reise -
Fräulein. Es kann
sein.
Wirt. Gewiß,
gewiß! denn sonst - Indes sollte etwas nicht vollkommen nach Ihro Gnaden
Bequemlichket gewesen sein, so geruhen Ihro Gnaden nur zu befehlen.
Franziska. Gut, Herr Wirt,
gut! Wir sind auch nicht blöde; und am wenigsten muß man im Gasthofe
blöde sein. Wir wollen schon sagen, wie wir es gern hätten.
Wirt. Hiernächst komme
ich zugleich - (indem er die Feder hinter dem Ohr hervorzieht).
Franziska. Nun? -
Wirt. Ohne Zweifel kennen
Ihro Gnaden schon die weisen Verordnungen unserer Polizei.
Fräulein. Nicht im
geringsten, Herr Wirt -
Wirt. Wir Wirte sind
angewiesen, keinen Fremden, wes Standes und Geschlechts er auch sei, vierundzwanzig
Stunden zu behausen, ohne seinen Namen, Heimat, Charakter, hiesige
Geschäfte, vermutliche Dauer des Aufenthalts und so weiter gehörigen
Orts schriftlich einzureichen.
Fräulein. Sehr wohl.
Wirt. Ihro Gnaden werden
also sich gefallen lassen - (indem er an einen Tisch tritt und sich fertig
macht zu schreiben).
Fräulein. Sehr gern -
Ich heiße -
Wirt. Einen kleinen
Augenblick Geduld! - (Er schreibt.) "Dato, den
22. August a.c. allhier zum Könige von Spanien angelangt"-Nun Dero
Namen, gnädiges Fräulein?
Fräulein. Das
Fräulein von Barnhelm.
Wirt. (schreibt). "von
Barnhelm"-Kommend? woher, gnädiges Fräulein?
Fräulein. Von meinen
Gütern aus Sachsen.
Wirt. (schreibt).
"Gütern aus Sachsen"-Aus Sachsen! Ei, ei, aus Sachsen,
gnädiges Fräulein? aus Sachsen?
Franziska. Nun? warum
nicht? Es ist doch wohl hierzulande keine Sünde, aus Sachsen zu sein?
Wirt. Eine Sünde?
Behüte! das wäre ja eine ganz neue Sünde!-Aus Sachsen also? Ei,
ei! aus Sachsen! Das liebe Sachsen!-Aber wo mir recht ist, gnädiges
Fräulein, Sachsen ist nicht klein und hat mehrere - wie soll ich es
nennen?-Distrikte, Provinzen.-Unsere Polizei ist sehr exakt, gnädiges
Fräulein. -
Fräulein. Ich
verstehe: von meinen Gütern aus Thüringen also.
Wirt. Aus Thüringen! Ja, das ist besser, gnädiges Fräulein, das ist
genauer. - (Schreibt und liest.) "Das Fräulein von Barnhelm, kommend
von ihren Gütern aus Thüringen, nebst einer Kammerfrau und zwei
Bedienten" -
Franziska. Einer
Kammerfrau? das soll ich wohl sein?
Wirt. Ja, mein schönes
Kind. -
Franziska. Nun, Herr Wirt,
so setzen Sie anstatt Kammerfrau Kammerjungfer.-Ich höre, die Polizei ist
sehr exakt; es möchte ein Mißverständnis geben, welches mir bei
meinem Aufgebote einmal Händel machen könnte. Denn ich bin wirklich
noch Jungfer und heiße Franziska; mit dem Geschlechtsnamen Willig;
Franziska Willig. Ich bin auch aus Thüringen. Mein Vater war Müller
auf einem von den Gütern des gnädigen Fräuleins. Es heißt
Klein-Rammsdorf. Die Mühle hat jetzt mein Bruder. Ich kam sehr jung auf
den Hof und
ward mit dem gnädigen Fräulein erzogen. Wir sind von einem Alter,
künftige Lichtmess einundzwanzig Jahr. Ich habe alles gelernt, was das
gnädige Fräulein gelernt hat. Es soll mir lieb sein, wenn mich die Polizei recht
kennt.
Wirt. Gut, mein
schönes Kind, das will ich mir auf weitere Nachfrage merken. -Aber
nunmehr, gnädiges Fräulein, Dero Verrichtungen allhier? -
Fräulein. Meine
Verrichtungen?
Wirt. Suchen Ihro Gnaden
etwas bei des Königs Majestät?
Fräulein. O nein!
Wirt. Oder
bei unsern hohen Justizkollegiis?
Fräulein. Auch nicht.
Wirt. Oder
-
Fräulein. Nein, nein.
Ich bin lediglich in meinen eigenen Angelegenheiten hier.
Wirt. Ganz wohl,
gnädiges Fräulein, aber wie nennen sich diese eigne Angelegenheiten?
Fräulein. Sie nennen
sich - Franziska, ich glaube, wir werden vernommen.
Franziska. Herr Wirt, die
Polizei wird doch nicht die Geheimnisse eines Frauenzimmers zu wissen
verlangen?
Wirt. Allerdings, mein
schönes Kind: die Polizei will alles, alles wissen; und besonders
Geheimnisse.
Franziska. Ja nun,
gnädiges Fräulein; was ist zu tun?-So hören Sie nur, Herr Wirt -
aber daß es ja unter uns und der Polizei bleibt! -
Fräulein. Was wird ihm
die Närrin sagen?
Franziska. Wir kommen, dem
Könige einen Offizier wegzukapern -
Wirt. Wie? was? Mein Kind!
mein Kind! -
Franziska. Oder uns von dem Offiziere kapern zu lassen. Beides ist
eins.
Fräulein. Franziska,
bist du toll?-Herr Wirt, die Nasenweise hat Sie zum besten. -
Wirt. Ich will nicht
hoffen! Zwar mit meiner Wenigkeit kann sie scherzen so viel, wie sie will; nur
mit einer hohen Polizei -
Fräulein. Wissen Sie
was, Herr Wirt?-Ich weiß mich
in dieser Sache nicht zu nehmen. Ich dächte, Sie ließen die ganze
Schreiberei bis auf die Ankunft meines Oheims. Ich habe Ihnen schon gestern
gesagt, warum er nicht mit mir zugleich angekommen. Er verunglückte zwei
Meilen von hier mit seinem Wagen und wollte durchaus nicht, daß mich dieser Zufall eine
Nacht mehr kosten sollte. Ich mußte also voran. Wenn er vierundzwanzig
Stunden nach mir eintrifft, so ist es das längste.
Wirt. Nun ja, gnädiges
Fräulein, so wollen wir ihn erwarten.
Fräulein. Er wird auf
Ihre Fragen besser antworten können. Er wird wissen, wem und wie weit er
sich zu entdecken hat; was er von seinen Geschäften anzeigen muß und
was er davon verschweigen darf.
Wirt. Desto besser!
Freilich, freilich kann man von einem jungen Mädchen (die Franziska mit
einer bedeutenden Miene ansehend) nicht verlangen, daß es eine ernsthafte
Sache mit ernsthaften Leuten ernsthaft traktiere -
Fräulein. Und die
Zimmer für ihn sind doch in Bereitschaft, Herr Wirt?
Wirt. Völlig,
gnädiges Fräulein, völlig; bis auf das eine -
Franziska. Aus dem Sie
vielleicht auch noch erst einen ehrlichen Mann vertreiben müssen?
Wirt. Die Kammerjungfern
aus Sachsen, gnädiges Fräulein, sind wohl sehr mitleidig. -
Fräulein. Doch, Herr
Wirt, das haben Sie nicht gut gemacht. Lieber hätten Sie uns nicht
einnehmen sollen.
Wirt. Wieso, gnädiges
Fräulein, wieso?
Fräulein. Ich
höre, daß der Offizier, welcher durch uns verdrängt worden -
Wirt. Ja nur ein
abgedankter Offizier ist, gnädiges Fräulein. -
Fräulein. Wenn schon!
-
Wirt. Mit dem es zu Ende
geht. -
Fräulein. Desto
schlimmer! Es soll ein sehr verdienter Mann sein.
Wirt. Ich sage Ihnen ja,
daß er abgedankt ist.
Fräulein. Der
König kann nicht alle verdiente Männer kennen.
Wirt. O gewiß, er kennt sie, er kennt sie alle. -
Fräulein. So kann er
sie nicht alle belohnen.
Wirt. Sie wären alle
belohnt, wenn sie darnach gelebt hätten. Aber so lebten die Herren
während des Krieges, als ob ewig Krieg bleiben würde; als ob das Dein
und Mein ewig aufgehoben sein würde. Jetzt liegen alle Wirtshäuser
und Gasthöfe von ihnen voll, und ein Wirt hat sich wohl mit ihnen in acht
zu nehmen. Ich bin mit diesem noch so ziemlich weggekommen. Hatte er gleich
kein Geld mehr, so hatte er doch noch Geldeswert, und zwei, drei Monate
hätte ich ihn freilich noch ruhig können sitzen lassen. Doch besser
ist besser.-Apropos, gnädiges Fräulein; Sie verstehen sich doch auf
Juwelen? -
Fräulein. Nicht
sonderlich.
Wirt. Was sollten Ihro
Gnaden nicht?-Ich muß Ihnen einen Ring zeigen, einen kostbaren Ring. Zwar
gnädiges Fräulein haben da auch einen sehr schönen am Finger,
und je mehr ich ihn betrachte, je mehr muß ich mich wundern, daß er dem meinigen so
ähnlich ist.-Oh! sehen Sie doch, sehen Sie doch! (Indem er ihn aus dem
Futteral herausnimmt und dem Fräulein zureicht.) Welch ein Feuer! der
mittelste Brillant allein wiegt über fünf Karat.
Fräulein. (ihn
betrachtend). Wo bin ich? Was seh ich? Dieser Ring -
Wirt. Ist seine
fünfzehnhundert Taler unter Brüdern wert.
Fräulein. Franziska!-Sieh doch! -
Wirt. Ich habe mich auch nicht einen
Augenblick bedacht, achtzig Pistolen darauf zu leihen.
Fräulein. Erkennst du
ihn nicht, Franziska?
Franziska. Der
nämliche!-Herr Wirt, wo haben Sie diesen Ring her? -
Wirt. Nun, mein Kind? Sie hat
doch wohl kein Recht daran?
Franziska. Wir kein Recht
an diesem Ringe?-Inwärts auf dem Kasten muß des Fräuleins
verzogener Name stehn.-Weisen Sie doch, Fräulein.
Fräulein. Er ist's er
ist's!-Wie kommen Sie zu diesem Ringe, Herr Wirt?
Wirt. Ich? auf die
ehrlichste Weise von der Welt.-Gnädiges Fräulein, gnädiges
Fräulein, Sie werden mich
nicht in Schaden und Unglück bringen wollen? Was weiß ich, wo sich
der Ring eigentlich herschreibt? Während des Krieges hat manches seinen
Herrn sehr oft, mit und ohne Vorbewußt des Herrn, verändert. Und
Krieg war Krieg. Es werden mehr Ringe aus Sachsen über die Grenze gegangen
sein.-Geben Sie mir ihn wieder, gnädiges Fräulein, geben Sie mir ihn
wieder!
Franziska. Erst
geantwortet: von wem haben Sie ihn?
Wirt. Von einem Manne, dem
ich so was nicht zutrauen kann, von einem sonst guten Manne -
Fräulein. Von dem
besten Manne unter der Sonne, wenn Sie ihn von seinem Eigentümer
haben.-Geschwind, bringen Sie mir den Mann! Er ist es selbst, oder wenigstens
muß er ihn kennen.
Wirt. Wer denn? wen denn,
gnädiges Fräulein?
Franziska. Hören Sie
denn nicht? unsern Major.
Wirt. Major? Recht, er ist
Major, der dieses Zimmer vor Ihnen bewohnt hat, und von dem ich ihn habe.
Fräulein. Major von
Tellheim.
Wirt. Von Tellheim, ja!
Kennen Sie ihn?
Fräulein. Ob ich ihn kenne? Er ist hier? Tellheim ist hier? Er? er
hat in diesem Zimmer gewohnt? Er, er hat Ihnen diesen Ring versetzt? Wie kommt
der Mann in diese Verlegenheit? Wo ist er? Er ist Ihnen schuldig?-Franziska,
die Schatulle her! Schließ auf! (Indem sie Franziska auf den Tisch setzet
und öffnet.) Was ist er Ihnen schuldig? Wem ist er mehr schuldig? Bringen
Sie mir alle seine Schuldner. Hier ist Geld. Hier sind Wechsel. Alles ist sein!
Wirt. Was höre ich?
Fräulein. Wo ist er?
wo ist er?
Wirt. Noch vor einer Stunde
war er hier.
Fräulein.
Häßlicher Mann, wie konnten Sie gegen ihn so unfreundlich, so hart,
so grausam sein?
Wirt. Ihro Gnaden verzeihen
-
Fräulein. Geschwind,
schaffen Sie mir ihn zur Stelle.
Wirt. Sein Bedienter ist
vielleicht noch hier. Wollen Ihro Gnaden, daß er ihn aufsuchen soll?
Fräulein. Ob ich will? Eilen Sie, laufen Sie; für diesen
Dienst allein will ich es vergessen, wie schlecht Sie mit ihm umgegangen sind.
-
Franziska. Fix, Herr Wirt,
hurtig, fort, fort! (Stößt ihn heraus.)
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