Index | Wörter: alphabetisch - Frequenz - rückläufig - Länge - Statistik | Hilfe | IntraText-Bibliothek
Gotthold Ephraim Lessing
Minna von Barnhelm

IntraText CT - Text

  • 2. Akt
    • 9. Szene (v. Tellheim. Das Fräulein)
zurück - vor

Hier klicken um die Links zu den Konkordanzen auszublenden

9. Szene

(v. Tellheim. Das Fräulein)

Fräulein. Nun? irren wir uns noch?

Tellheim. Daß es der Himmel wollte!-Aber es gibt nur eine, und Sie sind es. -

Fräulein. Welche Umstände! Was wir uns zu sagen haben, kann jedermann hören.

Tellheim. Sie hier? Was suchen Sie hier, gnädiges Fräulein?

Fräulein. Nichts suche ich mehr. (Mit offnen Armen auf ihn zugehend.) Alles, was ich suchte, habe ich gefunden.

Tellheim. (zurückweichend). Sie suchten einen glücklichen, einen Ihrer Liebe würdigen Mann, und finden - einen Elenden.

Fräulein. So lieben Sie mich nicht mehr?-Und lieben eine andere?

Tellheim. Ah! der hat Sie nie geliebt, mein Fräulein, der eine andere nach Ihnen lieben kann.

Fräulein. Sie reißen nur einen Stachel aus meiner Seele.-Wenn ich Ihr Herz verloren habe, was liegt daran, ob mich Gleichgültigkeit oder mächtigere Reize darum gebracht?-Sie lieben mich nicht mehr: und lieben auch keine andere?-Unglücklicher Mann, wenn Sie gar nichts lieben! -

Tellheim. Recht, gnädiges Fräulein; der Unglückliche muß gar nichts lieben. Er verdient sein Unglück, wenn er diesen Sieg nicht über sich selbst zu erhalten weiß; wenn er es sich gefallen lassen kann, daß die, welche er liebt, an seinem Unglück Anteil nehmen dürfen.-Wie schwer ist dieser Sieg!-Seitdem mir Vernunft und Notwendigkeit befehlen, Minna von Barnhelm zu vergessen: was für Mühe habe ich angewandt! Eben wollte ich anfangen zu hoffen, daß diese Mühe nicht ewig vergebens sein würde:-und Sie erscheinen, mein Fräulein! -

Fräulein. Versteh ich Sie recht?-Halten Sie, mein Herr; lassen Sie sehen, wo wir sind, ehe wir uns weiter verirren!-Wollen Sie mir die einzige Frage beantworten?

Tellheim. Jede, mein Fräulein -

Fräulein. Wollen Sie mir auch ohne Wendung, ohne Winkelzug antworten? Mit nichts als einem trockenen Ja oder Nein?

Tellheim. Ich will es-wenn ich kann.

Fräulein. Sie können es.-Gut: ohngeachtet der Mühe, die Sie angewendet, mich zu vergessen-lieben Sie mich noch, Tellheim?

Tellheim. Mein Fräulein, diese Frage -

Fräulein. Sie haben versprochen, mit nichts als Ja oder Nein zu antworten.

Tellheim. Und hinzugesetzt: wenn ich kann.

Fräulein. Sie können; Sie müssen wissen, was in Ihrem Herzen vorgeht.-Lieben Sie mich noch, Tellheim?-Ja oder Nein.

Tellheim. Wenn mein Herz -

Fräulein. Ja oder Nein!

Tellheim. Nun, Ja!

Fräulein. Ja?

Tellheim. Ja, ja!-Allein -

Fräulein. Geduld!-Sie lieben mich noch: genug für mich.-In was für einen Ton bin ich mit Ihnen gefallen! ein widriger, melancholischer, ansteckender Ton.-Ich nehme den meinigen wieder an.-Nun, mein lieber Unglücklicher, Sie lieben mich noch und haben Ihre Minna noch und sind unglücklich? Hören Sie doch, was Ihre Minna für ein eingebildetes, albernes Ding war - ist. Sie ließ, sie laßt sich träumen, Ihr ganzes Glück sei sie.-Geschwind, kramen Sie Ihr Unglück aus. Sie mag versuchen, wieviel sie dessen aufwiegt.-Nun?

Tellheim. Mein Fräulein, ich bin nicht gewohnt zu klagen.

Fräulein. Sehr wohl. Ich wüßte auch nicht, was mir an einem Soldaten, nach dem Prahlen, weniger gefiele als das Klagen. Aber es gibt eine gewisse kalte, nachlässige Art, von seiner Tapferkeit und von seinem Unglücke zu sprechen -

Tellheim. Die im Grunde doch auch geprahlt und geklagt ist.

Fräulein. Oh, mein Rechthaber, so hätten Sie sich auch gar nicht unglücklich nennen sollen.-Ganz geschwiegen oder ganz mit der Sprache heraus.- Eine Vernunft, eine Notwendigkeit, die Ihnen mich zu vergessen befiehlt?-Ich bin eine große Liebhaberin von Vernunft, ich habe sehr viel Ehrerbietung für die Notwendigkeit.-Aber lassen Sie doch hören, wie vernünftig diese Vernunft, wie notwendig diese Notwendigkeit ist.

Tellheim. Wohl denn; so hören Sie, mein Fräulein.-Sie nennen mich Tellheim; der Name trifft ein.-Aber Sie meinen, ich sei der Tellheim, den Sie in Ihrem Vaterlande gekannt haben; der blühende Mann, voller Ansprüche, voller Ruhmbegierde; der seines ganzen Körpers, seiner ganzen Seele mächtig war, vor dem die Schranken der Ehre und des Glückes eröffnet standen, der Ihres Herzens und Ihrer Hand, wenn er schon Ihrer noch nicht würdig war, täglich würdiger zu werden hoffen durfte.-Dieser Tellheim bin ich ebensowenig, als ich mein Vater bin. Beide sind gewesen.-Ich bin Tellheim, der Verabschiedete, der an seiner Ehre Gekränkte, der Krüppel, der Bettler.-Jenem, mein Fräulein, versprachen Sie sich: wollen Sie diesem Wort halten? -

Fräulein. Das klingt sehr tragisch!-Doch, mein Herr, bis ich jenen wiederfinde - in die Tellheims bin ich nun einmal vernarret  - , dieser wird mir schon aus der Not helfen müssen.-Deine Hand, lieber Bettler! (Indem sie ihn bei der Hand ergreift.)

Tellheim. (der die andere Hand mit dem Hute vor das Gesicht schlägt und sich von ihr abwendet). Das ist zu viel!-Wo bin ich?-Lassen Sie mich, Fräulein! Ihre Güte foltert mich!-Lassen Sie mich.

Fräulein. Was ist Ihnen? Wo wollen Sie hin?

Tellheim. Von Ihnen! -

Fräulein. Von mir? (Indem sie seine Hand an ihre Brust zieht.) Träumer!

Tellheim. Die Verzweiflung wird mich tot zu Ihren Füßen werfen.

Fräulein. Von mir?

Tellheim. Von Ihnen.-Sie nie, nie wiederzusehen.-Oder doch so entschlossen, so fest entschlossen - keine Niederträchtigkeit zu begehen - Sie keine Unbesonnenheit begehen zu lasen.-Lassen Sie mich, Minna! (Reißt sich los und ab.)

Fräulein. (ihm nach). Minna Sie lasen? Tellheim! Tellheim!




zurück - vor

Index | Wörter: alphabetisch - Frequenz - rückläufig - Länge - Statistik | Hilfe | IntraText-Bibliothek

Best viewed with any browser at 800x600 or 768x1024 on Tablet PC
IntraText® (V89) - Some rights reserved by EuloTech SRL - 1996-2007. Content in this page is licensed under a Creative Commons License