Am 26. Mai
Du kennst von
alters her meine Art, mich anzubauen, mir irgend an einem vertraulichen Orte
ein Hüttchen aufzuschlagen und da mit aller Einschränkung zu herbergen. Auch
hier habe ich wieder ein Plätzchen angetroffen, das mich angezogen hat.
Ungefähr eine
Stunde von der Stadt liegt ein Ort, den sie Wahlheim nennen. Die Lage an einem
Hügel ist sehr interessant, und wenn man oben auf dem Fußpfade zum Dorf
herausgeht, übersieht man auf einmal das ganze Tal. Eine gute Wirtin, die
gefällig und munter in ihrem Alter ist, schenkt Wein, Bier, Kaffee; und was
über alles geht, sind zwei Linden, die mit ihren ausgebreiteten [sten den
kleinen Platz vor der Kirche bedecken, der ringsum mit Bauerhäusern, Scheunen
und Höfen eingeschlossen ist. So vertraulich, so heimlich hab' ich nicht leicht
ein Plätzchen gefunden, und dahin lass' ich mein Tischchen aus dem Wirtshause
bringen und meinen Stuhl, trinke meinen Kaffee da und lese meinen Homer. Das
erstenmal, als ich durch einen Zufall an einem schönen Nachmittage unter die
Linden kam, fand ich das Plätzchen so einsam. Es war alles im Felde; nur ein
Knabe von ungefähr vier Jahren saß an der Erde und hielt ein anderes, etwa
halbjähriges, vor ihm zwischen seinen Füßen sitzendes Kind mit beiden Armen
wider seine Brust, so daß er ihm zu einer Art von Sessel diente und ungeachtet
der Munterkeit, womit er aus seinen schwarzen Augen herumschaute, ganz ruhig
saß. Mich vergnügte der Anblick: ich setzte mich auf einen Pflug, der gegenüber
stand, und zeichnete die brüderliche Stellung mit vielem Ergetzen. Ich fügte
den nächsten Zaun, ein Scheunentor und einige gebrochene Wagenräder bei, alles,
wie es hinter einander stand, und fand nach Verlauf einer Stunde, daß ich eine
wohlgeordnete, sehr interessante Zeichnung verfertiget hatte, ohne das mindeste
von dem Meinen hinzuzutun. Das bestärkte mich in meinem Vorsatze, mich künftig
allein an die Natur zu halten. Sie allein ist unendlich reich, und sie allein
bildet den großen Künstler. Man kann zum Vorteile der Regeln viel sagen,
ungefähr was man zum Lobe der bürgerlichen Gesellschaft sagen kann. Ein Mensch,
der sich nach ihnen bildet, wird nie etwas Abgeschmacktes und Schlechtes
hervorbringen, wie einer, der sich durch Gesetze und Wohlstand modeln läßt, nie
ein unerträglicher Nachbar, nie ein merkwürdiger Bösewicht werden kann; dagegen
wird aber auch alle Regel, man rede was man wolle, das wahre Gefühl von Natur
und den wahren Ausdruck derselben zerstören! Sag' du: 'das ist zu hart! Sie
schränkt nur ein, beschneidet die geilen Reben' etc. - guter Freund, soll ich
dir ein Gleichnis geben? Es ist damit wie mit der Liebe. Ein junges Herz hängt
ganz an einem Mädchen, bringt alle Stunden seines Tages bei ihr zu,
verschwendet alle seine Kräfte, all sein Vermögen, um ihr jeden Augenblick
auszudrücken, daß er sich ganz ihr hingibt. Und da käme ein Philister, ein
Mann, der in einem öffentlichen Amte steht, und sagte zu ihm: 'feiner junger
Herr! Lieben ist menschlich, nur müßt Ihr menschlich lieben! Teilet Eure
Stunden ein, die einen zur Arbeit, und die Erholungsstunden widmet Eurem Mädchen.
Berechnet Euer Vermögen, und was Euch von Eurer Notdurft übrig bleibt, davon
verwehr' ich Euch nicht, ihr ein Geschenk, nur nicht zu oft, zu machen, etwa zu
ihrem Geburts- und Namenstage ' etc. - folgt der Mensch, so gibt's einen
brauchbaren jungen Menschen, und ich will selbst jedem Fürsten raten, ihn in
ein Kollegium zu setzen; nur mit seiner Liebe ist's am Ende und, wenn er ein
Künstler ist, mit seiner Kunst. O meine Freunde! Warum der Strom des Genies so
selten ausbricht, so selten in hohen Fluten hereinbraust und eure staunende
Seele erschüttert? - liebe Freunde, da wohnen die gelassenen Herren auf beiden
Seiten des Ufers, denen ihre Gartenhäuschen, Tulpenbeete und Krautfelder
zugrunde gehen würden, die daher in Zeiten mit Dämmen und Ableiten der künftig
drohenden Gefahr abzuwehren wissen.
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