Am 30. Mai
Was ich dir
neulich von der Malerei sagte, gilt gewiß auch von der Dichtkunst; es ist nur,
daß man das Vortreffliche erkenne und es auszusprechen wage, und das ist freilich
mit wenigem viel gesagt. Ich habe heute eine Szene gehabt, die, rein
abgeschrieben, die schönste Idylle von der Welt gäbe; doch was soll Dichtung,
Szene und Idylle? Muß es denn immer gebosselt sein, wenn wir teil an einer
Naturerscheinung nehmen sollen?
Wenn du auf
diesen Eingang viel Hohes und Vornehmes erwartest, so bist du wieder übel
betrogen; es ist nichts als ein Bauerbursch, der mich zu dieser lebhaften
Teilnehmung hingerissen hat. Ich werde, wie gewöhnlich, schlecht erzählen, und
du wirst mich, wie gewöhnlich, denk' ich, übertrieben finden; es ist wieder
Wahlheim, und immer Wahlheim, das diese Seltenheiten hervorbringt.
Es war eine
Gesellschaft draußen unter den Linden, Kaffee zu trinken. Weil sie mir nicht
ganz anstand, so blieb ich unter einem Vorwande zurück.
Ein Bauerbursch
kam aus einem benachbarten Hause und beschäftigte sich, an dem Pfluge, den ich
neulich gezeichnet hatte, etwas zurecht zu machen. Da mir sein Wesen gefiel,
redete ich ihn an, fragte nach seinen Umständen, wir waren bald bekannt und,
wie mir's gewöhnlich mit dieser Art Leuten geht, bald vertraut. Er erzählte
mir, daß er bei einer Witwe in Diensten sei und von ihr gar wohl gehalten
werde. Er sprach so vieles von ihr und lobte sie dergestalt, daß ich bald
merken konnte, er sei ihr mit Leib und Seele zugetan. Sie sei nicht mehr jung,
sagte er, sie sei von ihrem ersten Mann übel gehalten worden, wolle nicht mehr
heiraten, und aus seiner Erzählung leuchtete so merklich hervor, wie schön, wie
reizend sie für ihn sei, wie sehr er wünschte, daß sie ihn wählen möchte, um
das Andenken der Fehler ihres ersten Mannes auszulöschen, daß ich Wort für Wort
wiederholen müßte, um dir die reine Neigung, die Liebe und Treue dieses Menschen
anschaulich zu machen. Ja, ich müßte die Gabe des größten Dichters besitzen, um
dir zugleich den Ausdruck seiner Gebärden, die Harmonie seiner Stimme, das
heimliche Feuer seiner Blicke lebendig darstellen zu können. Nein, es sprechen
keine Worte die Zartheit aus, die in seinem ganzen Wesen und Ausdruck war; es
ist alles nur plump, was ich wieder vorbringen könnte. Besonders rührte mich,
wie er fürchtete, ich möchte über sein Verhältnis zu ihr ungleich denken und an
ihrer guten Aufführung zweifeln. Wie reizend es war, wenn er von ihrer Gestalt,
von ihrem Körper sprach, der ihn ohne jugendliche Reize gewaltsam an sich zog
und fesselte, kann ich mir nur in meiner innersten Seele wiederholen. Ich hab'
in meinem Leben die dringende Begierde und das heiße, sehnliche Verlangen nicht
in dieser Reinheit gesehen, ja wohl kann ich sagen, in dieser Reinheit nicht
gedacht und geträumt. Schelte mich nicht, wenn ich dir sage, daß bei der
Erinnerung dieser Unschuld und Wahrheit mir die innerste Seele glüht, und daß
mich das Bild dieser Treue und Zärtlichkeit überall verfolgt, und daß ich, wie
selbst davon entzündet, lechze und schmachte.
Ich will nun
suchen, auch sie ehstens zu sehn, oder vielmehr, wenn ich's recht bedenke, ich
will's vermeiden. Es ist besser, ich sehe sie durch die Augen ihres Liebhabers;
vielleicht erscheint sie mir vor meinen eigenen Augen nicht so, wie sie jetzt
vor mir steht, und warum soll ich mir das schöne Bild verderben?
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