Warum ich dir
nicht schreibe? - Fragst du das und bist doch auch der Gelehrten einer. Du
solltest raten, daß ich mich wohl befinde, und zwar - kurz und gut, ich habe
eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht. Ich habe - ich weiß
nicht.
Dir in der
Ordnung zu erzählen, wie's zugegangen ist, daß ich eins der liebenswürdigsten
Geschöpfe habe kennen lernen, wird schwer halten. Ich bin vergnügt und
glücklich, und also kein guter Historienschreiber.
Einen Engel! - pfui!
Das sagt jeder von der Seinigen, nicht wahr? Und doch bin ich nicht imstande,
dir zu sagen, wie sie vollkommen ist, warum sie vollkommen ist; genug, sie hat
allen meinen Sinn gefangengenommen.
So viel Einfalt
bei so viel Verstand, so viel Güte bei so viel Festigkeit, und die Ruhe der
Seele bei dem wahren Leben und der Tätigkeit.
- Das ist alles
garstiges Gewäsch, was ich da von ihr sage, leidige Abstraktionen, die nicht
einen Zug ihres Selbst ausdrücken. Ein andermal - nein, nicht ein andermal,
jetzt gleich will ich dir's erzählen. Tu' ich 's jetzt nicht, so geschäh' es
niemals. Denn, unter uns, seit ich angefangen habe zu schreiben, war ich schon
dreimal im Begriffe, die Feder niederzulegen, mein Pferd satteln zu lassen und
hinauszureiten. Und doch schwur ich mir heute früh, nicht hinauszureiten, und
gehe doch alle Augenblick' ans Fenster, zu sehen, wie hoch die Sonne noch
steht.
- Ich hab's
nicht überwinden können, ich mußte zu ihr hinaus. Da bin ich wieder, Wilhelm,
will mein Butterbrot zu Nacht essen und dir schreiben. Welch eine Wonne das für
meine Seele ist, sie in dem Kreise der lieben, muntern Kinder, ihrer acht
Geschwister, zu sehen!
- Wenn ich so
fortfahre, wirst du am Ende so klug sein wie am Anfange. Höre denn, ich will
mich zwingen, ins Detail zu gehen.
Ich schrieb dir
neulich, wie ich den Amtmann S. habe kennen lernen, und wie er mich gebeten
habe, ihn bald in seiner Einsiedelei oder vielmehr seinem kleinen Königreiche
zu besuchen. Ich vernachlässigte das, und wäre vielleicht nie hingekommen,
hätte mir der Zufall nicht den Schatz entdeckt, der in der stillen Gegend
verborgen liegt.
Unsere jungen
Leute hatten einen Ball auf dem Lande angestellt, zu dem ich mich denn auch
willig finden ließ. Ich bot einem hiesigen guten, schönen, übrigens
unbedeutenden Mädchen die Hand, und es wurde ausgemacht, daß ich eine Kutsche
nehmen, mit meiner Tänzerin und ihrer Base nach dem Orte der Lustbarkeit
hinausfahren und auf dem Wege Charlotten S. mitnehmen sollte. -"Sie werden
ein schönes Frauenzimmer kennenlernen", sagte meine Gesellschafterin, da
wir durch den weiten, ausgehauenen Wald nach dem Jagdhause fuhren.
-"Nehmen Sie sich in acht", versetzte die Base, "daß Sie sich
nicht verlieben!" - "Wieso?" sagte ich. -"Sie ist schon
vergeben,"antwortete jene,"an einen sehr braven Mann, der weggereist
ist, seine Sachen in Ordnung zu bringen, weil sein Vater gestorben ist, und
sich um eine ansehnliche Versorgung zu bewerben". - Die Nachricht war mir
ziemlich gleichgültig.
Die Sonne war
noch eine Viertelstunde vom Gebirge, als wir vor dem Hoftore anfuhren. Es war
sehr schwül, und die Frauenzimmer äußerten ihre Besorgnis wegen eines Gewitters,
das sich in weißgrauen, dumpfichten Wölkchen rings am Horizonte
zusammenzuziehen schien. Ich täuschte ihre Furcht mit anmaßlicher Wetterkunde,
ob mir gleich selbst zu ahnen anfing, unsere Lustbarkeit werde einen Stoß
leiden.
Ich war ausgestiegen,
und eine Magd, die ans Tor kam, bat uns, einen Augenblick zu verziehen, Mamsell
Lottchen würde gleich kommen. Ich ging durch den Hof nach dem wohlgebauten
Hause, und da ich die vorliegenden Treppen hinaufgestiegen war und in die Tür
trat, fiel mir das reizendste Schauspiel in die Augen, das ich je gesehen habe.
in dem Vorsaale wimmelten sechs Kinder von eilf zu zwei Jahren um ein Mädchen
von schöner Gestalt, mittlerer Größe, die ein simples weißes Kleid, mit
blaßroten Schleifen an Arm und Brust, anhatte. Sie hielt ein schwarzes Brot und
schnitt ihren Kleinen rings herum jedem sein Stück nach Proportion ihres Alters
und Appetits ab, gab's jedem mit solcher Freundlichkeit, und jedes rief so
ungekünstelt sein "danke!", indem es mit den kleinen Händchen lange
in die Höhe gereicht hatte, ehe es noch abgeschnitten war, und nun mit seinem
Abendbrote vergnügt entweder wegsprang, oder nach seinem stillern Charakter
gelassen davonging nach dem Hoftore zu, um die Fremden und die Kutsche zu
sehen, darin ihre Lotte wegfahren sollte. -"Ich bitte um Vergebung",
sagte sie, "daß ich Sie hereinbemühe und die Frauenzimmer warten lasse.
Über dem Anziehen und allerlei Bestellungen fürs Haus in meiner Abwesenheit
habe ich vergessen, meinen Kindern ihr Vesperbrot zu geben, und sie wollen von
niemanden Brot geschnitten haben als von mir".
Ich machte ihr
ein unbedeutendes Kompliment, meine ganze Seele ruhte auf der Gestalt, dem
Tone, dem Betragen, und ich hatte eben Zeit, mich von der Überraschung zu erholen,
als sie in die Stube lief, ihre Handschuhe und den Fächer zu holen. Die Kleinen
sahen mich in einiger Entfernung so von der Seite an, und ich ging auf das
jüngste los, das ein Kind von der glücklichsten Gesichtsbildung war. Es zog
sich zurück, als eben Lotte zur Türe herauskam und sagte:"Louis, gib dem
Herrn Vetter eine Hand". - das tat der Knabe sehr freimütig, und ich
konnte mich nicht enthalten, ihn, ungeachtet seines kleinen Rotznäschens,
herzlich zu küssen.
"Vetter?"sagte
ich, indem ich ihr die Hand reichte," glauben Sie, daß ich des Glücks wert
sei, mit Ihnen verwandt zu sein?" -"O", sagte sie mit einem
leichtfertigen Lächeln, "unsere Vetterschaft ist sehr weitläufig, und es
wäre mir leid, wenn Sie der schlimmste drunter sein sollten". - Im Gehen
gab sie Sophien, der ältesten Schwester nach ihr, einem Mädchen von ungefähr
eilf Jahren, den Auftrag, wohl auf die Kinder acht zu haben und den Papa zu
grüßen, wenn er vom Spazierritte nach Hause käme. Den Kleinen sagte sie, sie sollten
ihrer Schwester Sophie folgen, als wenn sie's selber wäre, das denn auch einige
ausdrücklich versprachen. Eine kleine, naseweise Blondine aber, von ungefähr
sechs Jahren, sagte: "du bist's doch nicht, Lottchen, wir haben dich doch
lieber". - die zwei ältesten Knaben waren hinten auf die Kutsche
geklettert, und auf mein Vorbitten erlaubte sie ihnen, bis vor den Wald
mitzufahren, wenn sie versprächen, sich nicht zu necken und sich recht
festzuhalten.
Wir hatten uns
kaum zurecht gesetzt, die Frauenzimmer sich bewillkommt, wechselsweise über den
Anzug, vorzüglich über die Hüte ihre Anmerkungen gemacht und die Gesellschaft,
die man erwartete, gehörig durchgezogen, als Lotte den Kutscher halten und ihre
Brüder herabsteigen ließ, die noch einmal ihre Hand zu küssen begehrten, das
denn der älteste mit aller Zärtlichkeit, die dem Alter von fünfzehn Jahren
eigen sein kann, der andere mit viel Heftigkeit und Leichtsinn tat. Sie ließ
die Kleinen noch einmal grüßen, und wir fuhren weiter.
Die Base
fragte, ob sie mit dem Buche fertig wäre, das sie ihr neulich geschickt hätte.
-"nein", sagte Lotte,"es gefällt mir nicht, Sie können's
wiederhaben. Das vorige war auch nicht besser". - Ich erstaunte, als ich
fragte, was es für Bücher wären, und sie mir antwortete: - ich fand so viel
Charakter in allem, was sie sagte, ich sah mit jedem Wort neue Reize, neue
Strahlen des Geistes aus ihren Gesichtszügen hervorbrechen, die sich nach und
nach vergnügt zu entfalten schienen, weil sie an mir fühlte, daß ich sie
verstand.
"Wie ich
jünger war", sagte sie, "liebte ich nichts so sehr als Romane. Weiß
Gott, wie wohl mir's war, wenn ich mich Sonntags in so ein Eckchen setzen und
mit ganzem Herzen an dem Glück und Unstern einer Miß Jonny teilnehmen konnte.
Ich leugne auch nicht, daß die Art noch einige Reize für mich hat. Doch da ich
so selten an ein Buch komme, so muß es auch recht nach meinem Geschmack sein.
Und der Autor ist mir der liebste, in dem ich meine Welt wiederfinde, bei dem
es zugeht wie um mich, und dessen Geschichte mir doch so interessant und
herzlich wird als mein eigen häuslich Leben, das freilich kein Paradies, aber
doch im ganzen eine Quelle umsäglicher Glückseligkeit ist".
Ich bemühte
mich, meine Bewegungen über diese Worte zu verbergen. Das ging freilich nicht
weit: denn da ich sie mit solcher Wahrheit im Vorbeigehen vom Landpriester von
Wakefield, vom -- reden hörte, kam ich ganz außer mich, sagte ihr alles, was
ich mußte, und bemerkte erst nach einiger Zeit, da Lotte das Gespräch an die
anderen wendete, daß diese die Zeit über mit offenen Augen, als säßen sie nicht
da, dagesessen hatten. Die Base sah mich mehr als einmal mit einem spöttischen
Näschen an, daran mir aber nichts gelegen war.
Das Gespräch
fiel aufs Vergnügen am Tanze. -"wenn diese Leidenschaft ein Fehler
ist,"sagte Lotte, "so gestehe ich Ihnen gern, ich weiß mir nichts
übers Tanzen. Und wenn ich was im Kopfe habe und mir auf meinem verstimmten Klavier
einen Contretanz vortrommle, so ist alles wieder gut".
Wie ich mich
unter dem Gespäche in den schwarzen Augen weidete - wie die lebendigen Lippen
und die frischen, muntern Wangen meine ganze Seele anzogen - wie ich, in den
herrlichen Sinn ihrer Rede ganz versunken, oft gar die Worte nicht hörte, mit
denen sie sich ausdrückte - davon hast du eine Vorstellung, weil du mich
kennst. Kurz, ich stieg aus dem Wagen wie ein Träumender, als wir vor dem
Lusthause stille hielten, und war so in Träumen rings in der dämmernden Welt
verloren, daß ich auf die Musik kaum achtete, die uns von dem erleuchteten Saal
herunter entgegenschallte.
Die zwei Herren
Audran und ein gewisser N. N. - wer behält alle die Namen -, die der Base und
Lottens Tänzer waren, empfingen uns am Schlage, bemächtigten sich ihrer
Frauenzimmer, und ich führte das meinige hinauf.
Wir schlangen
uns in Menuetts um einander herum; ich forderte ein Frauenzimmer nach dem
andern auf, und just die unleidlichsten konnten nicht dazu kommen, einem die
Hand zu reichen und ein Ende zu machen. Lotte und ihr Tänzer fingen einen
Englischen an, und wie wohl mir's war, als sie auch in der Reihe die Figur mit
uns anfing, magst du fühlen. Tanzen muß man sie sehen! Siehst du, sie ist so
mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dabei, ihr ganzer Körper eine Harmonie,
so sorglos, so unbefangen, als wenn das eigentlich alles wäre, als wenn sie
sonst nichts dächte, nichts empfände; und in dem Augenblicke gewiß schwindet
alles andere vor ihr.
Ich bat sie um
den zweiten Contretanz; sie sagte mit den dritten zu, und mit der
liebenswürdigsten Freimütigkeit von der Welt versicherte sie mir, daß sie
herzlich gern deutsch tanze. -"Es ist hier so Mode,"fuhr sie fort,"daß
jedes Paar, das zusammen gehört, beim Deutschen zusammenbleibt, und mein
Chapeau walzt schlecht und dankt mir's, wenn ich ihm die Arbeit erlasse. Ihr
Frauenzimmer kann's auch nicht und mag nicht, und ich habe im Englischen
gesehen, daß Sie gut walzen; wenn Sie nun mein sein wollen fürs Deutsche, so
gehen Sie und bitten sich's von meinem Herrn aus, und ich will zu Ihrer Dame
gehen". - ich gab ihr die Hand darauf, und wir machten aus, daß ihr Tänzer
inzwischen meine Tänzerin unterhalten sollte.
Nun ging's an,
und wir ergetzten uns eine Weile an manigfaltigen Schlingungen der Arme. Mit
welchem Reize, mit welcher Flüchtigkeit bewegte sie sich! Und da wir nun gar
ans Walzen kamen und wie die Sphären um einander herumrollten, ging's freilich
anfangs, weil's die wenigsten können, ein bißchen bunt durcheinander. Wir waren
klug und ließen sie austoben, und als die Ungeschicktesten den Plan geräumt
hatten, fielen wir ein und hielten mit noch einem Paare, mit Audran und seiner
Tänzerin, wacker aus. Nie ist mir's so leicht vom Flecke gegangen. Ich war kein
Mensch mehr. Das liebenswürdigste Geschöpf in den Armen zu haben und mit ihr
herumzufliegen wie Wetter, daß alles rings umher verging, und - Wilhelm, um
ehrlich zu sein, tat ich aber doch den Schwur, daß ein Mädchen, das ich liebte,
auf das ich Ansprüche hätte, mir nie mit einem andern walzen sollte als mit
mir, und wenn ich drüber zugrunde gehen müßte. Du verstehst mich!
Wir machten
einige Touren gehend im Saale, um zu verschnaufen. Dann setzte sie sich, und
die Orangen, die ich beiseite gebracht hatte, die nun die einzigen noch übrigen
waren, taten vortreffliche Wirkung, nur daß mir mit jedem Schnittchen, das sie
einer unbescheidenen Nachbarin ehrenhalben zuteilte, ein Stich durchs Herz ging.
Beim dritten
englischen Tanz waren wir das zweite Paar. Wie wir die Reihe durchtanzten und
ich, weiß Gott mit wieviel Wonne, an ihrem Arm und Auge hing, das voll vom
wahrsten Ausdruck des offensten, reinsten Vergnügens war, kommen wir an eine
Frau, die mit wegen ihrer liebenswürdigen Miene auf einem nicht mehr ganz
jungen Gesichte merkwürdig gewesen war. Sie sieht Lotten lächelnd an, hebt
einen drohenden Finger auf und nennt den Namen Albert zweimal im Vorbeifliegen
mit viel Bedeutung.
"wer ist
Albert?" sagte ich zu Lotten, "wenn's nicht Vermessenheit ist zu
fragen". - Sie war im Begriff zu antworten, als wir uns scheiden mußten,
um die große Achte zu machen, und mich dünkte einiges Nachdenken auf ihrer
Stirn zu sehen, als wir so vor einander vorbeikreuzten. -"Was soll ich's
Ihnen leugnen," sagte sie, indem sie mir die Hand zur Promenade bot.
"Albert ist ein braver Mensch, dem ich so gut als verlobt bin". - nun
war mir das nichts Neues (denn die Mädchen hatten mir's auf dem Wege gesagt)
und war mir doch so ganz neu, weil ich es noch nicht im Verhältnis auf sie, die
mir in so wenig Augenblicken so wert geworden war, gedacht hatte. Genug, ich
verwirrte mich, vergaß mich und kam zwischen das unrechte Paar hinein, daß alles
drunter und drüber ging und Lottens ganze Gegenwart und Zerren und Ziehen nötig
war, um es schnell wieder in Ordnung zu bringen.
Der Tanz war
noch nicht zu Ende, als die Blitze, die wir schon lange am Horizonte leuchten
gesehn und die ich immer für Wetterkühlen ausgegeben hatte, viel stärker zu
werden anfingen und der Donner die Musik überstimmte. Drei Frauenzimmer liefen
aus der Reihe, denen ihre Herren folgten; die Unordnung wurde allgemein, und
die Musik hörte auf. Es ist natürlich, wenn uns ein Unglück oder etwas
Schreckliches im Vergnügen überrascht, daß es stärkere Eindrücke auf uns macht
als sonst, teils wegen des Gegensatzes, der sich so lebhaft empfinden läßt,
teils und noch mehr, weil unsere Sinne einmal der Fühlbarkeit geöffnet sind und
also desto schneller einen Eindruck annehmen. Diesen Ursachen muß ich die
wunderbaren Grimassen zuschreiben, in die ich mehrere Frauenzimmer ausbrechen
sah. Die klügste setzte sich in eine Ecke, mit dem Rücken gegen vor ihr nieder
und verbarg den Kopf in der ersten Schoß. Eine dritte schob sich zwischen beide
hinein und umfaßte ihre Schwesterchen mit tausend Tränen. Einige wollten nach
Hause; andere, die noch weniger wußten, was sie taten, hatten nicht so viel
Besinnungskraft, den Keckheiten unserer jungen Schlucker zu steuern, die sehr
beschäftigt zu sein schienen, alle die ängstlichen Gebete, die dem Himmel
bestimmt waren, von den Lippen der schönen Bedrängten wegzufangen. Einige
unserer Herren hatten sich hinabbegeben, um ein Pfeifchen in Ruhe zu rauchen;
und die übrige Gesellschaft schlug es nicht aus, als die Wirtin auf den klugen
Einfall kam, uns ein Zimmer anzuweisen, das Läden und Vorhänge hätte. Kaum
waren wir da angelangt, als Lotte beschäftigt war, einen Kreis von Stühlen zu
stellen und, als sich die Gesellschaft auf ihre Bitte gesetzt hatte, den
Vortrag zu einem Spiele zu tun.
Ich sah
manchen, der in Hoffnung auf ein saftiges Pfand sein Mäulchen spitzte und seine
Glieder reckte. -"Wir spielen Zählens!"sagte sie". Nun gebt
acht! Ich geh' im Kreise herum von der Rechten zur Linken, und so zählt ihr
auch rings herum, jeder die Zahl, die an ihn kommt, und das muß gehen wie ein
Lauffeuer, und wer stockt oder sich irrt, kriegt eine Ohrfeige, und so bis
tausend". - nun war das lustig anzusehen: sie ging mit ausgestrecktem Arm
im Kreise herum. "Eins", fing der erste an, der Nachbar
"zwei", "drei" der folgende, und so fort. Dann fing sie an,
geschwinder zu gehen, immer geschwinder; da versah's einer: Patsch! Eine
Ohrfeige, und über das Gelächter der folgende auch: Patsch! Und immer
geschwinder. Ich selbst kriegte zwei Maulschellen und glaubte mit innigem
Vergnügen zu bemerken, daß sie stärker seien, als sie den übrigen zuzumessen
pflegte. Ein allgemeines Gelächter und Geschwärm endigte das Spiel, ehe noch
das Tausend ausgezählt war. Die Vertrautesten zogen einander beiseite, das
Gewitter war vorüber, und ich folgte Lotten in den Saal. Unterwegs sagte
sie:"über die Ohrfeigen haben sie Wetter und alles vergessen!" - ich
konnte ihr nichts antworten. -"ich war", fuhr sie fort, "eine
der Furchtsamsten, und indem ich mich herzhaft stellte, um den andern Mut zu
geben, bin ich mutig geworden". - Wir traten ans Fenster. Es donnerte
abseitwärts, und der herrliche Regen säuselte auf das Land, und der
erquickendste Wohlgeruch stieg in aller Fülle einer warmen Luft zu uns auf. Sie
stand auf ihren Ellenbogen gestützt, ihr Blick durchdrang die Gegend; sie sah
gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge tränenvoll, sie legte ihre Hand auf
die meinige und sagte:"Klopstock!" - Ich erinnerte mich sogleich der
herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag, und versank in dem Strome von
Empfindungen, den sie in dieser Losung über mich ausgoß. Ich ertrug's nicht,
neigte mich auf ihre Hand und küßte sie unter den wonnevollsten Tränen. Und sah
nach ihrem Auge wieder - Edler! Hättest du deine Vergötterung in diesem Blicke
gesehen, und möcht' ich nun deinen so oft entweihten Namen nie wieder nennen
hören!
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